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Lenze-Innovationsvorstand Frank Maier „Woher sollen die ganzen Software-Leute kommen?“

Die Digitalisierung verändert die Arbeit in der Produktion und kostet Jobs. Andererseits fehlen IT-Fachkräfte für die Industrie der Zukunft. Ein dramatisches Problem, meint Lenzes Innovationsvorstand Frank Maier.
02.05.2017 - 11:00 Uhr
© Lenze

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Herr Maier, was schätzen Sie, wie viel Arbeit lassen Automatisierung und Digitalisierung für den Menschen übrig, wenn Industrie 4.0 Wirklichkeit wird?
Ich betrachte Industrie 4.0 als eine evolutionäre Weiterentwicklung dessen, was die letzten 60 Jahre schon passiert ist. Nämlich kontinuierliche Produktivitätssteigerung durch höhere Grade von Automatisierung. Wir hatten 1952 rund 15 Millionen Arbeitnehmer in der Industrieproduktion. Seitdem hat sich die Produktivität um den Faktor 12 gesteigert. Ohne Automatisierung hätten wir diese Steigerung niemals erreichen können, dafür müssten wir heute 120 Millionen Arbeitnehmer haben. Ich glaube, über zehn Jahre werden 15 bis 20 Prozent der Arbeitsplätze verloren gehen.

Zu einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen gibt es schon einige Studien. Demnach sind beispielsweise in Deutschland 55 Prozent der Arbeiten in der Produktion potenziell automatisierbar, was etwa 4,4 Millionen Beschäftigten entspricht. Sind Automatisierung, Digitalisierung und Co. Jobkiller?
Ja und nein. Wir hatten einmal 15 Millionen, heute sind es 7,3 Millionen Beschäftigte. Da kann man natürlich sagen, es wurden Jobs gekillt. Nur: Wenn wir es nicht gemacht hätten, dann wäre gar keiner mehr übrig. Ich glaube auch, dass 55 Prozent automatisierbar sind, doch nicht alles, was möglich ist, ist auch wirtschaftlich. Das wird ein wesentlich sanfterer Prozess als von vielen prognostiziert. Man muss auch unterscheiden zwischen manuellen Tätigkeiten im Werk und denen, die mehr im intellektuellen Bereich stattfinden, etwa Produktionsengineering oder Logistikplanung. Da brauchen wir eher mehr Leute, weil wir sonst wegen des demografischen Wandels nicht mehr in der Lage sind, eine industrielle Produktion sauber hochzuhalten.

Wie wird sich die Arbeitswelt ganz konkret im Zuge von Industrie 4.0 verändern?
Es werden mehr und mehr digitale Methoden eingesetzt werden. Wir werden unsere reale Welt weiter digitalisieren und auch mehr in einer virtuellen Welt tun. Die gute Nachricht aber ist, dass der Mensch in dieser nicht alleine überleben wird, sondern er muss an irgendeiner Stelle den Übergang in die Realität schaffen, und der wird auch weiterhin von Menschen bewältigt werden. Im Engineering wird die Arbeit zunehmen – Stichwort Losgröße 1. Gleichzeitig erhöht sich sicherlich der Druck auf die Arbeit für Geringqualifizierte.

Welche Rolle wird der Mensch noch spielen in der Arbeitswelt von morgen?
Mehr eine koordinierende, steuernde, überwachende und weniger eine tuende. Aber eins ist auch klar: Die menschenleere Fabrik, wie in den Siebzigern diskutiert, wird es nicht geben.

Wie weit ist die Transformation der Arbeit heute – 2017 – schon vorangeschritten?
Das ist ein kontinuierlicher Prozess, der seit der Erfindung des Transistors 1947 im Gange ist. Das ist ja die technische Instanz, die Digitalisierung möglich gemacht hat. In den nächsten zehn Jahren werden die Themen Digitalität, Künstliche Intelligenz, Robotik weiter an Bedeutung zunehmen. Aber wenn Sie mich fragen, was in 30 Jahren ist, verweigere ich die Antwort. Das wird mir als Techniker zu spekulativ.

„Wir überschätzen die Attraktivität Deutschlands“

Wie bekommen Unternehmen in Zukunft den Spagat hin, sich der Innnovation nicht zu verschließen, aber auch Arbeitsplätze zu schaffen?
Neue Technologien erreichen einen Grad an Komplexität, der für den einzelnen Menschen zunehmend schwierig zu beherrschen ist. Also müssen wir als Ingenieure einen Weg finden, Komplexität so zu kapseln, dass es beherrschbar bleibt. Gleichzeitig muss es uns gelingen, Tätigkeiten, für die es zunehmend schwierig wird, Fachkräfte zu finden, in ihrer Komplexität so zu reduzieren, dass sie einfacher ausgebildete Leute machen können – über Technologie. Doch die muss erst mal beschafft werden. Da frage ich mich: Wo kommen denn bitte die ganzen Software-Leute her?

Bahnt sich ein Fachkräftemangel an?
Ich glaube, Anbahnen ist vornehm untertrieben. Das ist ein Problem, das wir in seiner Dramatik noch gar nicht erfasst haben. Ein Beispiel: Deutschland bildet derzeit im Jahr 40.000 bis 50.000 IT-Ingenieure und Fachinformatiker aus. Bitkom meldet allein 50.000 offene Stellen jedes Jahr. Das heißt, nur die Handvoll großer Unternehmen, die in der Bitkom organisiert sind, schluckt das gesamte Angebot. Und da ist noch keine Bank dabei, keine Versicherung, kein Internethändler, kein Industrieunternehmen wie Lenze.

Was müssen Wirtschaft und Politik tun, um dem entgegenzuwirken?
Jeden Cent, den das Land hat, in Bildung und Ausbildung investieren und IT- und Software-Engineering privilegiert behandeln. Etwa durch mehr Studienplätze. Gleichzeitig müssen wir werben, auf junge Leute zugehen, damit sie sich mehr für Technik interessieren. Doch selbst wenn wir und die Politik einen super Job machen bei Aus- und Weiterbildung und Investitionen in IT, brauchen wir meines Erachtens auch Fachkräfte-Zuzug. Allerdings überschätzen wir gerade dramatisch die Attraktivität Deutschlands für diese Art von Leuten. Wir glauben ja, wenn wir die Grenzen öffnen und die Fachkräfte rein lassen, werden wir überschwemmt. Doch wir sind für die hochqualifizierten IT-Ingenieure eher uninteressant.

Woran liegt das?
Wir sind vom Temperament her eher kühl. Wir haben keine so hohe Bezahlung wie in der öffentlichen Diskussion gelegentlich gesagt wird. Verglichen mit anderen Ländern verdient ein junger IT-Ingenieur nicht disproportional viel. Mit anderen Worten: Wenn ein junger Inder oder Pole sich bei uns bewirbt, aber auch in England und den USA, wird er einen Unterschied finden, und der ist nicht zu unseren Gunsten. Wir haben eine relativ hohe Steuer- und Abgabenquote, sehr viel Bürokratie und ein kompliziertes Arbeitsrecht. Aus unserer ersten und zweiten industriellen Revolution haben wir Schutzmechanismen, die für diese Art von Fachkräften einfach nicht mehr wirken, sogar kontraproduktiv sind. Das haben wir in Deutschland noch nicht verstanden. Solche kreativen Leute mit einer gelinden Form von Verrücktheit empfinden Regulierung als Gängelei. Wir müssen flexibler werden, um attraktiver zu sein.