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Digitalisierung: Mehr Wissen aus großen Datenmengen.

Wolf Lichtenstein „Big Data ist heilbar“

Wolf Lichtenstein, CEO DACH-Region beim US-Softwareanbieter SAS, über gute Nachrichten aus Daten, Kundenträume und das Potenzial von Social Media.
30.11.2015 Update: 15.12.2015 - 14:00 Uhr
Quelle: SAS

(Foto: SAS)

Wie schätzen Sie das Maß ein, in dem Big Data Analytics im Bankenbereich genutzt wird?

W. Lichtenstein: Gut und schlecht zugleich. In Sachen Betrugs- und Risiko(big)daten-Analytics sind die Banken auf dem Weg Bestnoten zu bekommen; in allen anderen Bereichen aber werden sie keinem Numerus Clausus standhalten können. Lassen Sie es mich salopp formulieren: Big Data ist heilbar. Und zwar mit der entsprechenden Big Data Analytics. Was meine ich damit? Banken haben verstanden, dass Analytik und ein guter Prozess sinnvoll sind, und ahnen, dass sie in Software investieren müssen. Banken wissen auch, dass in ihren (Big) Daten etwas Gutes schlummert. Sie wissen aber nicht, wie sie an die guten Nachrichten aus ihren Daten herankommen sollen. Dass sie in Sachen Betrug und Risiko gute Fortschritte machen, liegt nicht zuletzt an der Regulatorik wie z.B. BCBS239, Stresstestpflicht, MaRisk Novellen oder der Libor Krise – also Druck von außen. Doch in Sachen Kundenmanagement hakt es. Wenn die Branche beispielsweise wissen will, wie sie ihre Kunden besser bedienen kann, nutzen sie das Potenzial von Analytics nicht. Und das wird mittelfristig fatale Folgen haben. Denn da stehen die Fintechs nicht mehr nur in den Startlöchern. Sie sind bereits losgaloppiert und hantieren mit Daten von Kunden herum, die sie a) gar nicht kennen und b) gar nicht kennen wollen. Das Geschäft mit den Daten macht den Fintechs eben kein Problem, weil sie mit innovativeren Systemen arbeiten. Ihr Geschäftsmodell besteht aus 100 Prozent Datenanalyse. Und erschwerend kommt hinzu, dass die Fintechs (noch) keinen regulatorischen Zwängen unterliegen. Die Banken sollten sich beeilen. Also: Banken sind was Analytiks betrifft nicht innovativ aus sich selber heraus, sondern sie sind immer getrieben durch Druckwellen. Hier sollten sie natürlicherweise agiler werden.

Können Sie bei Kunden aus dem Finanzbereich ein wachsendes Interesse an Big Data Analytics feststellen?

Durchaus. Vor allem, wenn wir unser Big Data Lab-Konzept vorstellen. Das ist quasi ein vertrauensschaffender Icebraker. In einem Big Data Lab können Unternehmen mit Big Data verschiedenste Experimente, Prozesskontrollen, Qualitätskontrollen, Prüfungen, Messungen oder Kalibrierungen durchführen, aber auch ihre innovativen Ideen verproben, um zu schauen, welcher Effekt sich hinsichtlich der Digitalisierungsstrategie ergibt, oder welche neuen Prozess- oder Produktideen valide sind. Genau an dieser Stelle wird auch der große Unterschied zwischen disruptiven Startups wie den Fintechs und etablierten Unternehmen sichtbar: Startups verwenden genau diesen experimentellen Ansatz und sind in der Lage, Ideen schnell zu validieren oder ebenso schnell zu verwerfen (Fail fast). Das Big Data Lab soll etablierten Unternehmen helfen, genau diese Fähigkeit zu gewinnen. Der von SAS mit dem Big Data Lab geschaffene Feinraum ist steril und sicher. Kunden wollen die digitale Revolution zwar umsetzen, aber erst einmal wissen, welche Investition auf sie zukommt. Denn zunächst scheint die Amortisierung dieser Investition eher unsicher als sicher. Sobald sich die Experimente aber dann als praxistauglich erweisen, können sie schnell auf die Straße gebracht werden. Denn die Werkzeuge haben Schnittstellen zu den produktiven Infrastrukturen des Unternehmens
Die MunichRE ist Big Data Lab-Kunde von SAS.

Gibt es denn bereits Banken, die in ihrer Kundenansprache Big Data Analytics in fortschrittlicher Weise einsetzen?

Es gibt durchaus Banken, die sich der Multikanal-Herausforderung in ihrem Marketing stellen. Dabei geht es um die bessere Vernetzung der einzelnen Kommunikationskanäle. Wir als Kunden träumen ja davon, entsprechend unserer ganz speziellen Lebenssituationen von unserer Bank angesprochen zu werden. Ich zum Beispiel will keinen Flyer in meinem Briefkasten haben, von dem mich eine lächelnde junge Dreikopffamilie vom Hausbau überzeugen will. Mein Berater kennt mich, und er weiß, wer ich bin und wo ich stehe in meinem Leben. Und er weiß, dass ich sein Wissen über mich gerne in meiner gesamten Werbeansprache seiner Bank an mich wiedergespiegelt bekommen möchte. Ich als Kunde denke nicht in Kanälen. Ich möchte relevante und stimmige Information – egal ob über Telefon, Internetbanking oder Beratung in der Filiale.

 

Laut der Studie „Wettbewerbsfaktor Analytics 2015“ nutzen ja nur etwa ein Fünftel der Unternehmen Daten aus Social Media. Welche Möglichkeiten bietet die vermehrte Nutzung dieser Daten?

Das Thema social media spielt eine ganz immense Rolle. Theoretisch ist das Potenzial enorm. Unsere Kunden könnten ganz neue Services etablieren, wenn sie analysieren würden, wer wann wie über was ein Urteil abgibt. Es werden Produkte und Services branchenübergreifend revolutioniert. Doch wir dürfen hier nicht zu euphorisch sein, gerade in Deutschland. Niemand darf ungefragt in den Daten anderer rumwildern. Und diese Tatsache schränkt die Möglichkeiten ein. Deshalb beläuft sich die Auswertung auf ein Fünftel der Unternehmen, weil die Unternehmen viel zu große Angst haben, sich datenrechtlich in einer Grauzone zu bewegen. Doch es gibt viel Potenzial bei Daten, die frei im Netz verfügbaren sind. Da liegen Zeitungartikel quasi auf der Straße zur Auswertung bereit. Möchte ich als Bank nun abschätzen, ob ich einem kleinen Unternehmer seinen Kredit gewähre, aber nicht weiß, dass zwei Zeitungen kürzlich von drohender Kurzarbeit bei diesem Unternehmen berichtet haben, mag es geschehen, dass ich auf meinem genehmigten Kredit sitzen bleibe, weil die Firma nicht auf-, sondern abgestiegen in die Insolvenz ist. Mit Textanalytics wäre dem Kreditgeber das bspw gar nicht passiert, denn die Software kann automatisch die richtigen Informationen über einen Kreditanwärter filtern. Und das macht sie mit ganz allgemein im Netz verfügbaren Daten, nichts Geheimnisvolles. Es ist ja wichtig, die relevanten Daten zu haben. Ein Mensch scheitert spätestens beim zweiten Medienartikel. Fintechs machen das übrigens jetzt schon automatisiert. Die speichern sich alles, was ich als www-Surfer mir anschaue. Dann passen sie das Angebot an und sogar die Preise.