
Reuters meldete fälschlicherweise eine Senkung des Leitzins auf unter 0,00 Prozent. Zwei Minuten später folgte die Korrektur.
DüsseldorfMario Draghi hat am Donnerstag die Märkte verblüfft. Die Europäische Zentralbank senkt unter anderem den Leitzins überraschend von 0,05 auf 0,00 Prozent. Doch der deutsche Dienst der Nachrichtenagentur Reuters meldet um 13.45 Uhr: „EIL-EZB greift zu drastischen Mitteln – Leitzins jetzt negativ “. Das war sehr schnell – aber leider falsch.
Denn 0,00 Prozent ist nicht negativ und für einen Wirtschaftsinformationsdienst von Weltrang peinlich. Denn auf die Schlagzeilen der Agentur reagieren mitunter Märkte. Nur zwei Minuten später kam eine überarbeitete Fassung: „KORRIGIERT-EIL–EZB-Leitzins erstmals bei null Prozent (Korrigiert Überschrift. Leitzins bei null Prozent, nicht negativ).“
„Die EZB hat heute abermals ein umfangreiches Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht und setzt ihren immer expansiveren Kurs fort. So wurden die Zinssätze zurückgenommen und die QE-Maßnahmen ausgeweitet. Wir gehen davon aus, dass eine Abkehr von diesem Pfad - zumindest bis auf weiteres - nicht in Sicht ist.“
„Doktor Draghi hat die Dosis deutlich erhöht. Wie von uns befürchtet, hat er die Geldpolitik der EZB leider deutlicher gelockert als die meisten erwartet hatten. Diese Geldpolitik wird kaum in der Realwirtschaft ankommen. Denn die Nebenwirkungen sind massiv. Das Produktivitätswachstum lässt nach, weil auch unrentable Investitionen wegen der niedrigen Zinsen attraktiv erscheinen. Es steigt das Risiko, dass es in Deutschland am Immobilienmarkt zu Überhitzungen kommt. Außerdem wird der Anreiz für Euro-Länder gesenkt, notwendige Reformen durchzusetzen. Alles in allem verschlechtert diese lockere Geldpolitik langfristig die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, so dass sie sich heute schon zurückhalten. Die Medizin wird nicht wirken, auch wenn man die Dosis erhöht.“
„Die EZB-Entscheidung bedeutet eine überraschend massive Ausweitung der Geldpolitik. Sie unterstreicht jedoch auch die Sorge der EZB über die schwächer werdende europäische Wirtschaft.“
„Es ist vollkommen unnötig, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Geldhahn heute noch weiter aufgedreht hat. Die Notenbank überzeichnet die Deflationsrisiken. Der Geldmarkt im Euro-Raum ist durch die EZB-Politik faktisch stillgelegt. Wirtschaftsreformen sowie die Sanierung von Bankbilanzen werden verschleppt. Doch auf all diesen Feldern hat die EZB heute noch einmal eine Schippe draufgelegt.“
„Mit ihren heute verkündeten Maßnahmen ist die EZB ihrem monetären Kurs extrem treu geblieben. Allerdings zeugt das große Bündel an Maßnahmen von einer enormen Nervosität seitens der obersten Währungshüter. Denn auch sie müssen sich eingestehen, dass ihre Geldpolitik bislang die Wirkung verfehlt hat. Die Bilanz ist ernüchternd: So ist es der EZB nicht einmal gelungen, die am leichtesten von ihr zu beeinflussenden Indikatoren in die gewünschte Richtung zu drehen.“
„Die EZB beschleunigt ihre geldpolitische Irrfahrt. Die heutige Zinsentscheidung der EZB verstärkt den Abwärtsstrudel für die Sparer. Langfristige Altersvorsorgekonzepte werden ebenso entwertet wie zinsabhängige Institute in risikoreichere Geschäfte gedrängt werden. Es ist absolut unnötig, die deutsche Kreditwirtschaft zu einer umfangreicheren Kreditvergabe zu nötigen.“
„Es handelt sich um eine weitere massive geldpolitische Lockerung. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit QE (geldpolitische Lockerung) halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Ausweitung der Anleihekäufe die Inflation nachhaltig erhöhen wird. Der Markt für Unternehmensanleihen ist in Europa zu klein, als dass sich aus deren Einbeziehung ein großer Effekt ergeben dürfte. Gleichzeitig setzt die weitere Senkung der Einlagenzinsen die Erträge der Banken noch stärker unter Druck.
Ich halte Instrumente wie die langfristigen Kreditlinien (TLTROs), die direkt an der Kreditvergabe ansetzen, für sinnvoller als den weiteren Ankauf von Anleihen. Allerdings hängt auch hier die Wirksamkeit davon ab, ob es überhaupt eine Kreditnachfrage gibt, die zu befriedigen ist.“
„Die EZB hat sich noch tiefer in die Sackgasse manövriert. Mit größter Sorge sieht die Versicherungswirtschaft, dass die Notenbank ihre schon extrem expansive Geldpolitik noch weiter signifikant gelockert hat. Denn immer mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass diese monetären Anreize ihr Ziel nicht erreichen. Besonders deutlich wurde das seit Jahresbeginn auf den Aktienmärkten oder beim Euro-Wechselkurs, wo Verluste beziehungsweise eine Aufwertung im krassen Gegensatz zur Haltung der Geldpolitik standen.
Schlimmer noch: Mittlerweile ist sogar zu befürchten, dass diese unorthodoxe Geldpolitik das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich beabsichtigt ist - nämlich mehr Wachstum und eine höhere Inflation. Die Notenbank läuft daher zunehmend Gefahr, von den Risiken und Nebenwirkungen ihres Tuns eingeholt zu werden. Wir appellieren erneut nachdrücklich an EZB-Präsident Mario Draghi, die geldpolitische Strategie im Euro-Währungsgebiet im Interesse von Wirtschaft und Haushalten neu zu denken.“
Zerknirscht zeigt sich ein Mitglied der Redaktionsleitung von Reuters in Berlin und erklärt gegenüber dem Handelsblatt den Fehler: „Wir hatten eine Meldung vorbereitet und mussten diese ändern. Dabei ist vergessen worden, die Headline zu korrigieren.“ Im Klartext heißt das: Reuters hatte tatsächlich einen negativen Leitzins erwartet, zu dem es aber nicht kam.
Ein schwacher Trost: Ein ähnlicher Fehler war im vergangenen Jahr auch der britischen Financial Times passiert. Sie hatte im Dezember sogar noch Minuten vor der stets pünktlich um 13.45 Uhr verbreiteten Zinsentscheidung gemeldet, dass die EZB die Zinsen unverändert lasse. Das war nicht nur zu früh, sondern auch falsch. Die EZB hatte im Dezember stattdessen beschlossen, den Einlagezins von minus 0,2 Prozent auf minus 0,3 Prozent zu senken.
Die Financial Times entschuldigte sich damals für den Fehler und erklärte, es seien zwei unterschiedliche Berichte zur Zinsentscheidung vorbereitet worden – und aus Versehen sei der falsche Text und auch noch vor der eigentlichen Uhrzeit veröffentlicht worden. Ein automatisierter Prozess habe den Text dann über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet. Der Publikationsprozess werde geprüft, um solche Fehler zukünftig zu unterbinden.
Auf den falschen Tweet hatten damals die Währungsmärkte sensibel reagiert. Die Reuters-Panne hatte keine vergleichbaren Auswirkungen, da sie nur im deutschsprachigen Dienst passierte.