Gastkommentar: Deutschland steckt in der Effizienzfalle

Winfried Felser (l.) ist Internetunternehmer, Zukunftsforscher und Autor. Guido Schmidt ist Management-Berater, Unternehmer und Philosoph.
Die Erschließung von Massenmärkten mit immer effizienteren Produkten hat in den letzten Jahrzehnten Wohlstand im industriellen Maßstab erzeugt.
Aber, so wie das Ende des Verbrennermotors absehbar ist, so geht auch das dominante Leitbild der Effizienz als Mantra einer industriellen Gesellschaft seinem natürlichen Ende entgegen.
In einer globalisierten Welt steigen immer mehr Länder zu Innovatoren auf und erschweren uns mit unseren „Alt-Industrien“ und ideenlosen Grenzoptimierungen eine positive Zukunftsprognose. Deutschland und die Wirtschaft brauchen ein neues Geschäftsmodell.
Eine neue Perspektive, die nicht nur ökologische Notwendigkeiten abbilden kann, sondern auch wieder echte Wettbewerbsvorteile generiert.
Wir müssen uns aus einer Effizienzfalle befreien und uns gemeinsam auf die Suche nach „wahrer Exzellenz“ machen. Dabei ist Eile angesagt, um vom Erkennen der Notwendigkeit ins Handeln zu gelangen.
1. Das Scheitern in der Effizienzfalle
Alles ist so schön effizient, dass jeglicher Service, meistens die Qualität und in jedem Fall die Exzellenz verloren gegangen ist. Wir können täglich und überall, Beispiele für alle nur denkbaren Formen des Scheiterns einer effizienzbasierten Ordnung finden. Mit zunehmendem Unverständnis erleiden wir die negativen Auswüchse eines Effizienzwahns.
• Pakete, die uns nicht mehr direkt erreichen, sondern vom Boten kosteneffizient hinterlegt werden und uns zu Hinterherläufern degradieren.
• Kaufhäuser, die nach endlosen Schließungen und Effizienzrunden möglichst ohne Personal und Service auskommen sollen. So ist alles schön dekoriert und leistungsmäßig verwahrlost.
• Kundenservicecenter, die uns vorgaukeln nur gerade im Moment überlastet zu sein, obwohl jeder weiß, dass auch beim nächsten Versuch die gleiche Ansage wieder zu hören sein wird und man am Ende genervt aus der Warteschleife fällt.
• Bahnfahrten, die aus Effizienzgründen in geschlossenen Reisezentren beginnen, um dann in überfüllten Zügen ohne funktionierende Restaurants ihren verspäteten, servicereduzierten Fortgang zu finden.
• Krankenhäuser, die als moderne Gesundheits-Effizienz-Tempel, so getrimmt sind, dass wir kollektiv stundenlange Wartezeiten erleiden, um am Ende von einer effizienten Verwaltung fallpauschal abgerechnet zu werden.
Auch die von der Wirtschaft selbst verordnete Transformation ist nichts anderes als eine Monstranz der Veränderung, die bei näherem Hinsehen wieder nur der Effizienzsteigerung huldigt. Denn letztendlich dient die Transformation der Optimierung „veralteter“ Prozesse und organisiert digital, dass immer mehr Aufgaben an den Kunden und Nutzer ausgelagert werden.
2. Wirtschaft: Zukunftsfähigkeit durch wahre Exzellenz in co-kreativen Ökosystemen
Wenn eine Entwicklung ihren Zenit überschritten hat, dann sind auch die Instrumente dieser Ära für die Zukunft nicht mehr wirksam. Der Dreisprung des klassischen Managements aus Analyse, Planung und Umsetzung bringt wenig Neues hervor und schiebt wichtige Veränderungen auf die lange Bank.
Wir müssen grundlegend neu denken. Als Unternehmen, als Wirtschaft und als Gesellschaft. Der Fortschritt verlangt neue Lösungen, die agiler, innovativer, kleinteiliger, dezentraler oder auch andersartig sind. Die neuen Schlagworte heißen Exzellenz und Ökosysteme.

Wir müssen uns aus einer Effizienzfalle befreien und uns gemeinsam auf die Suche nach „wahrer Exzellenz“ machen, meinen Felser und Schmidt.
Wahre Exzellenz ist keine Grenzoptimierung, sondern ein Anspruch, Dinge wirklich neu und disruptiv zu machen. Es geht darum, außerhalb des gewohnten Rahmens – nach Watzlawik – Lösungen zweiter Ordnung zu finden, die nicht das Spiel, wohl aber das Spielfeld neu definieren. Dazu muss man die gewohnten Denkpfade verlassen und dem Erfolg von morgen die Tür öffnen.
In diesem Sinne sind klassische Branchendefinitionen und etablierte Geschäftsmodelle als „altes Spiel“ zu verstehen. Jetzt ist es notwendig, einen neuen Kosmos (Kosmos ist die griechische Göttin der Ordnung) zu schaffen, der die Potenziale der Zukunft im Sinne eines Metaprofits schafft.
Ko-Kreation und dezentrale Ökosysteme sind der neue Kosmos, in dem Potenziale im Sinne von Metaprofit entstehen. Der immer stärker regulierende Staat folgt aber noch immer dem Dogma „Big is Beautiful“. Er glaubt dogmatisch an die industriellen Monolithen. Und er selbst, der Staat als solcher, lebt in der Wahnvorstellung, dass ein bürokratischer Apparat, wenn er denn nur die Tugenden des Managements beherzigt, die Wirtschaft vordenken kann.
Doch hier müssen wir klar widersprechen. Kein noch so aufgeblähter Staat kann – selbst mit den besten Leuten nicht – so gute und vor allen Dingen so innovative Ideen und Lösungen kreieren wie die Vielfalt der Wirtschaft und der Gesellschaft. Die co-kreative Zusammenarbeit vieler kleiner Wirtschaftssubjekte bringt das Neue in die Welt und sieht Chancen dort, wo die Effizienzkünstler der industriellen Hochherrschaft die Abkehr vom göttlichen Pfade sehen.
3. Politik: Freiheit für eine neue Ökonomik statt Regelungswut zur Absicherung der alten Industrieökonomik
Was ist also zu tun? Jeder Einzelne muss für sich überprüfen, ob die bisherigen Anstrengungen in der Effizienzfalle eine Tür in die Zukunft aufstoßen, oder ob es nicht doch des andersartigen neuen Kosmos im Sinne „wahrer Exzellenz“ bedarf.

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Der Staat muss erkennen, dass die Zukunft in der Vielfalt, dem intellektuellen Potenzial und dem Mut der vielen liegt. Co-kreative Ökosysteme müssen das neue Wirtschaftsparadigma werden und die Zeit der „Dinosaurier“ des blühenden 20. Jahrhunderts als Leitbild ablösen.


Dazu brauchen wir nicht mehr Regelungen, sondern weniger. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir in den letzten Jahrzehnten eine Wirtschaftspolitik betrieben haben, die die Risiken von industriellen Großbetrieben durch überbordende Regulierung einzugrenzen versuchte. Die Wirtschaft muss aber jetzt entfesselt und nicht gefesselt werden.
Die Autoren:
Guido Schmidt ist Management-Berater, Unternehmer und Philosoph.
Winfried Felser ist Internetunternehmer, Zukunftsforscher und Autor.
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