Weimers Woche: Ins linke Knie geschossen

Der Journalist war Chefredakteur der Tageszeitung „Die Welt“, des Politikmagazins „Cicero“ und des „Focus“. Er bezeichnet sich selbst als wertkonservativ.
Es ist genau zwei Jahre her, da erreichten die Grünen in den Umfragen 25, 26, 27 Prozent bei der Sonntagsfrage. Deutschland floh panikartig aus der Atomkraft, Kretschmann wurde im tief bürgerlichen Baden-Württemberg Ministerpräsident und die ganze Republik wähnte eine grüne Volkspartei am Horizont. Der Zeitgeist war öko-bio-green-nachhaltig von der Tomate bis zum Mercedes-Diesel.
Heute hat sich die Zustimmung für die Grünen glattweg halbiert. Von Monat zu Monat fallen die Umfragewerte. Glaubt man den Meinungsforschern, dann „erodiert“ die Zuneigung der Bevölkerung derzeit „sachpolitisch und emotional“. Das klingt nicht gut, und erste Grüne finden selber, dass man zusehends „FDPisiert“.
Die schleichende Schwächung der Grünen hat nur vordergründig damit zu tun, dass sich die Partei mit ihrer einseitigen Festlegung auf eine rot-grüne Regierungsoption in eine machtpolitische Sackgasse begibt. Der Treuebund mit einer schwächelnden SPD und einem chancenlosen Kanzlerkandidaten entzieht der Partei zwar den Wechselreiz, erklärt aber nicht diesen Abwärtstrend. Auch die aktuelle Kindermissbrauchsdebatte, die Leitfiguren der Partei von Daniel Cohn-Bendit bis Volker Beck schwer beschädigt, sorgt für Entfremdungen und emotionale Distanzierung.
Der eigentliche Grund für das Dahinwelken ist freilich anderer, nämlich strategischer Natur. Die Grünen haben die meisten ihrer Anliegen politisch erreicht. Deutschland ist heute umfassend ökologisiert – lebenspraktisch wie mental ist die Bionade-Republik mit flächendeckenden Windrädern, Gender- und Migrationsbeauftragten, Dosenpfandregeln und Konzerngeschäftsberichten auf Recycling-Papier Wirklichkeit geworden.
Der Ausstieg aus der Atomkraft wirkt wie der Schlusspunkt dieses politischen Rundum-Ergrünens. Die Kehrseite diese Entwicklung ist freilich, dass man die Grünen – nun da alle grün geworden sind - nicht mehr braucht. Sie haben sich gewissermaßen zu Tode gesiegt.
Die Grünen hatten im Bewusstsein ihrer erfüllten Mission eine interessante und eine fatale Option. Die interessante – eine Volkspartei neuen Stils werden, so wie das Winfried Kretschmann oder Boris Palmer wollten und verkörpern: wertkonservativ-offen, öko-bürgerlich, schwarz-grün.

Oder aber die fatale, die alt-linke Variante. Unter der Führung Jürgen Trittins hat sich die Partei just auf diesen Weg begeben. Trittin ist nicht nur als Person in das Macht-Vakuum der Nach-Joschka-Fischer-Zeit gestoßen und hat die süddeutsch-bürgerlichen Grünen marginalisiert. Er hat auch das programmatische Vakuum mit einem gezielten Linksruck gefüllt – und die Partei damit grundlegend geschwächt.
Trittins Idee, den Wahlkampf ausgerechnet auf eine große Umverteilungs- und Steuererhöhungsdebatte zu bauen, ist schon deshalb ein Fehler, weil es bereits linke Parteien gibt, die dieses Thema glaubwürdiger verkörpern. Wer linke Umverteilungspolitik will, der wird immer die Originale wählen. Obendrein träfen die Trittinschen Enteignungsgelüste just die gut verdienende Wählerschaft der Grünen selbst.
Der Niedergang in den Umfragen folgt in Wahrheit also einem schweren Verhaltensfehler. Es ist wie bei einem sympathischen Gastwirt, der seine Gäste rundherum zufrieden-satt gekocht hat und plötzlich geifernd beginnt, ihnen unverhohlen an die Portemonnaies zu grabschen. Kein Wunder, dass die grüne Kneipe an der linken Ecke dann plötzlich ungemütlich wird.





