
Im Jahr 1919 verteilen Schuljungen überall in Deutschland Wahlflugblätter.
Kaum zieht sich die Regierungsbildung in Berlin über einige Monate hin, ist schon wieder die Rede von ihnen: den berüchtigten "Weimarer Verhältnissen". Aber warum wurde die erste deutsche Republik ausgerechnet nach einer thüringischen Provinzstadt benannt? Die oberflächliche Antwort auf diese Frage steht in den meisten Geschichtsbüchern: Die verfassungsgebende Nationalversammlung tagte 1919 in Weimar, weil in Berlin die Lage zu unruhig war. Demnach wäre das 1933 gescheiterte demokratische Experiment von Anfang an mit dem Ruch der Notgeburt behaftet.

Das Buch beschäftigt sich mit dem Geburtsort der ersten deutschen Republik.
Doch die landläufige Begründung stimmt nicht, weist der promovierte Verfassungshistoriker Heiko Holste in seinem akribisch recherchierten Buch nach. Anhand von Archivmaterialen zeigt er, dass die Entscheidung, die Nationalversammlung nicht in Berlin tagen zu lassen, in eine Zeit relativer Ruhe in der Hauptstadt fiel. Hauptbeweggrund waren vielmehr die antipreußischen Ressentiments, die in vielen Teilen des Reiches herrschten.
Föderaler Ausgleich
Ihnen wollte Präsident Friedrich Ebert (SPD) begegnen, indem er die Nationalversammlung an einen Ort außerhalb Preußens verlegte. Bewerber für diese Rolle gab es viele, doch Weimar war am Ende der ideale Kompromiss: weit genug weg von Preußen wie auch von Frankreich, nah genug an Bayern, aber nicht zu katholisch. Für Holste zeigt sich an dieser Wahl das Element des föderalen Ausgleichs, das die Weimarer Republik zwar nicht retten konnte, aber der späteren Bundesrepublik zu Stabilität verhalf - und noch immer verhilft.
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