
Mylan hatte 2007 bereits für knapp fünf Milliarden Euro das Generikageschäft von Merck übernommen.
FrankfurtDer Darmstädter Pharma- und Spezialchemiekonzern Merck befindet sich bei dem geplanten Verkauf seiner Sparte Consumer Health offenbar auf der Zielgeraden. Er führt fortgeschrittene Gespräche mit dem US-Konzern Mylan, wie die Agentur Reuters berichtete. Sie könnten nach Informationen aus Unternehmenskreisen in der nächsten Woche abgeschlossen werden.
Der Kaufpreis für die Sparte, die mit rezeptfreien Gesundheitsprodukten zuletzt 911 Millionen Euro Umsatz erzielte, dürfte sich danach zwischen 3,5 und vier Milliarden Euro bewegen. Merck wollte sich nicht zu den Meldungen äußern.
Der Traditionskonzern, der in diesem Jahr sein 350-jähriges Bestehen feiert, könnte indessen mit einem solchen Deal rechtzeitig vor seinem Jubiläum einen weiteren wichtigen Schritt in der Transformation zu einem innovationsbasierten Pharma- und Lifescience-Spezialisten vollziehen.
Für Merck wäre ein erfolgreicher Verkauf ein wichtiger Schritt, um die Nettoverschuldung von derzeit gut zehn Milliarden Euro deutlich zu reduzieren. Das würde dem Konzern wieder größeren Spielraum geben, um in anderen Segmenten, etwa dem Pharmageschäft oder im Bereich Performance-Materialien (Flüssigkristalle, Pigmente) wieder zu akquirieren und die Forschung auszubauen.
Vor drei Jahren hat Merck den amerikanischen Laborzulieferer Sigma-Aldrich übernommen und damit sein Lifescience-Geschäft deutlich erweitert. Dadurch stieg allerdings auch die Nettoverschuldung deutlich an. Ein Kaufpreis von mehr als 3,5 Milliarden Euro für die Consumer-Sparte wäre da ein relativ ansehnlicher Preis, der etwa dem Vierfachen des Umsatzes entspricht.
Die Consumer-Health-Branche befindet sich derzeit relativ stark in Bewegung. Zuletzt verkaufte Novartis seinen Anteil von 36,5 Prozent am Consumer-Health-Gemeinschaftsunternehmen für 13 Milliarden Dollar an den Partner Glaxo Smithkline. Das entspricht etwa dem 3,6-Fachen des Umsatzes und dem 18-Fachen des Betriebsgewinns (Ebitda).
Auch der US-Pharmariese Pfizer will sich von seiner Consumer-Sparte trennen, ebenso wie zuvor bereits der US-Pharmakonzern Merck & Co (der keinerlei Verbindung zur deutschen Merck-Gruppe hat) und der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Das Geschäft von Boehringer hat der französische Pharmariese Sanofi übernommen, die Consumer-Sparte von Merck & Co erwarb bereits 2014 der Bayer-Konzern.
2014 kaufte Bayer das Unternehmen Merck & Co. Consumer Care – für 14,2 Milliarden US-Dollar (etwa 10,2 Milliarden Euro). Merck stellt rezeptfreie Medikamente her. Vor der Übernahme war eine Kartellfreigabe erforderlich, weil Bayer dadurch in Europa an die Spitze im OTC-Bereich rückte. Für den Konzern war es der zweitgrößte M&A-Deal der Geschichte. Bereits zwei Jahre später gab Bayer zu, in der Due Diligence Schwächen übersehen zu haben – und investierte nach.
Ebenfalls 2014 gab es den zweiten Megadeal in der Branche: Für 14,5 Milliarden US-Dollar kaufte Novartis den Krebsmedikamente-Hersteller GSK Krebsmittel. Das Joint Venture enthielt von Anfang an die Option eines vorzeitigen Ausstiegs – von dem der Schweizer Konzern Novartis Anfang des Jahres Gebrauch machte. Der Zusammenschluss erzielte 2017 rund zehn Milliarden Dollar (8,7 Milliarden Euro) Umsatz und wurde so zur weltweiten Nummer zwei im Consumer-Health-Bereich.
Für 16,5 Milliarden US-Dollar (etwa 14,8 Milliarden Euro) konnte Pfizer 2015 den Konkurrenten Hospira übernehmen. Der Narkosemittel-Hersteller vertrieb bis 2011 einen Wirkstoff, der in den USA vorrangig für Hinrichtungen benutzt wurde. Da Hospira ein Konkurrenzprodukt in Europa vermarktete, musste die EU-Kommission zustimmen.
Das kalifornische Biopharma-Unternehmen Pharmacyclics konzentriert sich auf die Entwicklung von Krebstherapien. 2015 wurde bekannt, dass AbbVie den Konzern sowie seinen führenden Krebswirkstoff Ibrutinib übernehmen wolle. Auch Johnson & Johnson und Novartis hatten einst ihr Interesse angemeldet, unterlagen AbbVie aber in einer Bieterschlacht. Die Übernahme wurde noch im gleichen Jahr abgewickelt. 19,8 Milliarden US-Dollar wurden gezahlt.
Das US-Amerikanische Unternehmen Forest Laboratories ist dafür bekannt, vor allem europäische Produkte auf dem amerikanischen Markt zu verkaufen. Eines der meistverkauften Produkte ist das Antidepressivum Citalopram. 2014 übernahm Generika-Hersteller Actavis den Konkurrenten – für 20,8 Milliarden US-Dollar (etwa 18,2 Milliarden Euro).
In eine neue Größenordnung bei den Pharmaübernahmen stieß Johnson & Johnson im Jahr 2017 vor: Für 29,8 Milliarden US-Dollar übernahm der Healthcare-Konzern die Schweizer Arzneimittelfirma Actelion. Im Sommer genehmigte die EU-Kommission die Übernahme, verband die Zustimmung aber mit einigen Auflagen. Weil beide Konzerne ähnliche Schlafmittel-Produkte herstellen, muss J&J nach dem Willen der Kommission Maßnahmen gewährleisten, die den Wettbewerb in Europa sicherstellen.
Bereits 2015 begannen die Versuche der britischen Shire, den US-Rivalen Baxalta zu übernehmen. Nach monatelangem Werben und mehreren Angeboten war der Deal Anfang 2016 dann in trockenen Tüchern: 35,6 Milliarden US-Dollar (29,5 Milliarden Euro) zahlten die Briten auf dem Höhepunkt ihrer Einkaufstour für den Hersteller von Medikamenten zur Behandlung seltener Krankheiten. Zuvor hatten sie bereits NPS für rund fünf Milliarden und Dyax für sechs Milliarden gekauft.
2015 kaufte die Ratiopharm-Mutter Teva die Generikasparte des US-Konzerns Allergan. 39,6 Milliarden US-Dollar kostete die Übernahme den weltgrößten Generika-Anbieter; verschaffte ihm gleichermaßen eine signifikante Marktmacht. Das war ein Trostpflaster für die Israelis: Zuvor war eine andere geplante Übernahme gescheitert und Teva musste sein 40-Milliarden-Dollar-Angebot für den US-Konkurrenten Mylan zurückziehen.
Den absoluten Höhepunkt erreichte die Übernahmewelle in der Pharmabranche 2014: Für 66 Milliarden US-Dollar (53 Milliarden Euro) kaufte Actavis den Botox-Hersteller Allergan und benannte sich in Allergan plc um. Eine Übernahme durch den Rivalen Pfizer war kurz zuvor an Widerstand aus der Politik gescheitert.
Für etliche der führenden Anbieter entwickelt sich das Consumer-Health-Geschäft derzeit eher unbefriedigend. Die Wachstumsraten haben sich deutlich vermindert - auf null bis zwei Prozent. Bayer verbuchte zuletzt sogar Einbußen in der Sparte. Hintergrund ist vor allem eine verschärfte Konkurrenzsituation auf dem US-Markt, wo kleinere Anbieter über den Online-Vertrieb den etablierten Marken zusehends stärkere Konkurrenz machen.
Merck befindet sich mit seiner Consumer-Sparte in einer tendenziell günstigeren Position, da sich die Firma vor allem auch Europa, Lateinamerika und Asien konzentriert, in den USA dagegen kaum vertreten ist. Die Sparte ist Teil der Gesundheitssparte von Merck, die insgesamt knapp sieben Milliarden Euro Umsatz erzielt, den Löwenanteil davon mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Für das vergangene Jahr meldete Merck ein Wachstum im Consumer-Bereich von währungsbereinigt 7,6 Prozent, was die aktuelle Marktentwicklung deutlich übertreffen dürfte.
Für Mylan dürfte das Geschäft nicht zuletzt deshalb interessant sein, weil man so die Abhängigkeit vom US-Geschäft weiter verringern kann. Der US-Konzern mit zuletzt zwölf Milliarden Dollar Umsatz hatte sich in dem Bereich in den letzten Jahren bereits durch die Übernahme der schwedischen Meda verstärkt.
Merck hat zudem schon einmal gute Erfahrungen mit dem US-Konzern gemacht. Vor zehn Jahren übernahm Mylan das Generika-Geschäft von Merck. Damals zahlten die Amerikaner knapp fünf Milliarden Euro.
0 Kommentare zu "Rezeptfreie Medikamente: Merck steht kurz vor milliardenschwerem Sparten-Verkauf an US-Konzern"
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.