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Expertengespräch „Wir kommen an Langzeitstromspeichern nicht vorbei“

Der Dax-Konzern Linde sucht nach immer neuen Lösungen, um den CO2-Ausstoß zu senken. Zwei Experten des Unternehmens über Klimawandel, saubere Energie und geeignete Speichertechnologien.
05.03.2014 - 10:14 Uhr 15 Kommentare
Dr. Andreas Opfermann (l.) und Dr. Sebastian Muschelknautz. Quelle: Linde

Dr. Andreas Opfermann (l.) und Dr. Sebastian Muschelknautz.

(Foto: Linde)

Der Erderwärmung schreitet voran, der Klimawandel macht sich bemerkbar. Welchen Beitrag kann Linde leisten, um dem Klimawandel entgegenzuwirken und die CO2-Emissionen zu senken?
Opfermann: Zum einen senken wir unsere eigenen Emissionen. Zum anderen versetzen wir aber auch unsere Kunden in die Lage, ihren Kohlendioxidausstoß zu reduzieren. Dabei erschließen wir ganz neue Geschäftsfelder. Aber bei allem Fortschritt bei erneuerbaren Energien: Die Stromversorgung stützt sich weltweit zu rund 30 Prozent auf Kohle. Experten schätzen den Bedarf an neuen, fossil befeuerten Kraftwerken bis 2020 alleine in Europa auf etwa 170.000 Megawatt. Während also der Anteil der Erneuerbaren steigt, nimmt der CO2-Ausstoß trotzdem weiter zu.

Was unternehmen Sie dagegen?
Opfermann: Die wichtigsten Schlagworte sind Carbon Capture Storage, also die Abscheidung und Speicherung von CO2, Flüssigerdgas (LNG) und alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff oder biogene Kraftstoffe.

Muschelknautz: Linde hat schon früh Technologien eingesetzt, die sich durch hohe Energieeffizienz und somit geringen „CO2-Footprint“ auszeichnen. Nehmen wir das Beispiel LNG: Alles, was mit Erdgas zusammenhängt, wird insofern als klimafreundlich eingestuft, als das bei der Energieerzeugung mit Erdgas 40 Prozent weniger CO2-Emissionen entstehen als mit Kohle. In den USA spielt Schiefergas eine bedeutende Rolle. Dort bringt Linde seine Technologien ein, um das Gas zu reinigen und umweltfreundlich zur weiteren Verarbeitung einzusetzen.

Sie sprechen von mehreren Technologien. Welche gibt es denn noch?
Muschelknautz: Eine andere klimafreundliche Technologie ist Gas-to-Liquids, kurz GTL. Dabei wird Erdgas zunächst in Synthesegas und schließlich in Flüssigtreibstoff umgewandelt. Dieses Verfahren kann auch mit Biomasse anstelle von Erdgas eingesetzt werden: Das bedeutet zwar eine aufwendige Aufbereitung der Biomasse, aber gleichzeitig eine weitgehend CO2-neutrale Kraftstofferzeugung. All diese Verfahren erzeugen Synthesegas als Zwischenprodukt. Das ist ein Grundstoff der chemischen Industrie mit hohen Wachstumsraten; es wird zum Beispiel zur Erzeugung von Methanol und Düngemitteln verwendet.

Was ist der Ausgangsstoff für Synthesegas?
Muschelknautz: Als Einsatzstoff kommen viele Rohstoffe, wie zum Beispiel das eben erwähnte Erdgas beziehungsweise Biomasse, aber auch Schweröl, Kohle oder Petrolkoks bis hin zu Glyzerin infrage. Kurz gesagt, können fast alle flüssigen, gasförmigen oder festen Einsatzstoffe mit ausreichendem Kohlenstoffgehalt verwendet werden. Synthesegas wird typischerweise mit dem Reformierungsverfahren unter Dampfzugabe oder aber mit Hilfe der exothermen Partialoxidation erzeugt. Bei Letzterem ist entweder reiner Sauerstoff oder aber Luft als Sauerstoffträger erforderlich. Synthesegas ist zusammen mit Ethylen das wichtigste Zwischenprodukt in dieser Industrie. Weltweit werden jährlich 530 Millionen Kubikmeter Synthesegas produziert - mit einer Wachstumsrate von mehr als acht Prozent.

Alternative Kraftstoffe, bald auch in der Schifffahrt

Welche Potenziale sehen Sie in der Industrie, um CO2-Emissionen zu senken?
Opfermann: Zuerst wollen wir unsere eigene Effizienz steigern. Wir konnten unseren Kohlendioxidausstoß in den vergangenen Jahren schon deutlich senken. Als nächstes schauen wir auf die bestehenden Märkte und Kunden, die ihre Emissionen ebenfalls reduzieren müssen bzw. wollen. Und schließlich blicken wir in die Zukunft, in der saubere Energie eine immer wichtigere Rolle spielen wird.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Opfermann: Nehmen Sie den Treibstoff für Schiffe. Schiffe verbrennen heute Schweröl, das bis zu 30 Prozent weniger als Rohöl kostet, dafür aber mit einem bis fünf Prozent Schwefel belastet ist. Zum Vergleich: Wir haben bei Autos mittlerweile Emissionen in der Größenordnung von zehn ppm, also 10 Molekülen pro 1 Millionen. Damit sind die Schwefeldioxidemissionen bei Schiffen ungefähr eintausend Mal höher. So lange jetzt nicht die Politik sagt „das wollen wir nicht“, so wie es beim Auto vor mehr als 20 Jahren geschehen ist, wird die Schifffahrt das Schweröl weiter nutzen – schließlich herrscht gerade dort ein enormer Kostendruck. Jetzt hat aber zum ersten Mal in Europa die Internationale Seeschifffahrts-Organisation beschlossen, im Jahr 2015 Emissionsgrenzen einzuführen. Dadurch werden alternative Kraftstoffe wie LNG interessant.

Das klingt doch gut.
Opfermann: Ja, aber nun taucht ein Henne-Ei-Problem auf: keine Schiffe, keine Infrastruktur - keine Infrastruktur, keine Schiffe. Dieses Problem geht Linde mit Unternehmen aus so unterschiedlichen Bereichen wie Bunkering, Reedereien und Häfen an, die klassischerweise nicht zu unseren Partnern gehören. Beispielsweise haben wir mit Marquard & Bahls, dem zweitgrößten Bunker-Supplier der Welt, vor einem Jahr ein Gemeinschaftsunternehmen für die Versorgung von Schiffen mit Flüssigerdgas (LNG) in der Ost- und Nordsee gegründet. Das erste große Schiff, das bereits auf Flüssigerdgas umgerüstet wurde und seit 2013 in Betrieb ist, ist eine Roll-on-Roll-off-Fähre der Viking Line in Stockholm mit einem Verbrauch von deutlich mehr als 10.000 Tonnen.

Mit Vollgas durch Australien

Wie funktioniert das Verfahren auf diesem Schiff?
Opfermann: Wir betanken diese Fähre nicht an der Mole, sondern fahren mit einer Bunkerbarge zum Schiff und betanken es in der Zeit, in der es ent- und beladen wird. Das dauert nur 45 Minuten. Nun haben wir in Stockholm eine erste LNG-Betankungsinfrastruktur, die andere Schiffe ebenso nutzen können. So können wir eine solche Infrastruktur nach und nach auch in anderen Häfen aufbauen.
LNG ist ein schönes Beispiel, um unsere Expertise entlang der gesamten Wertschöpfungsketten aufzuzeigen. Nehmen wir den LNG-Transport auf großen Schiffen, die diese zum Beispiel von Katar nach Japan oder von Afrika nach Europa transportieren. Diese Schiffe nutzen das Boil-Off-Gas für ihren Antrieb.

Können Sie das kurz erklären?
Opfermann: Für den Transport kühlt man Erdgas auf etwa minus 160 Grad Celsius herunter, es wird flüssig und beansprucht damit nur noch ein Sechshundertstel seines ursprünglichen Volumens. Aufgrund von Wärmeverlusten verdampft nun aber während des Transports ein kleiner Anteil des LNG wieder, es entsteht so genanntes Boil-Off-Gas. Mit Linde-Technologien können mit diesem Boil-Off-Gas die Schiffsmotoren angetrieben werden. Dann gehen wir einen Schritt weiter in der Wertschöpfungskette, zum Anlande-Terminal der LNG-Tanker. Hier wird das LNG wieder in gasförmiges Erdgas zurückverwandelt, um es in Gaspipelines einzuspeisen. Bei diesem Prozess können wir die anfallende thermische Energie in Strom verwandeln. Schließlich stellen wir LNG nicht nur Schiffen, sondern auch schweren LKWs zur Verfügung. Da diese oft lange Strecken fahren, lohnt sich hier eine Umrüstung von Diesel- auf Erdgasbetrieb.

Muschelknautz: Wir schauen sehr genau, inwieweit diese Prozesse wirtschaftlich umsetzbar sind. Beispielsweise ist es wegen des billigen Erdgases in den USA attraktiv, Lastwagen auf Erdgas umzustellen. Dazu bedarf es aber geeigneter Antriebe für die Trucks. Denn mit Erdgas als Treibstoff gehen ca. zehn Prozent der Leistung verloren. Die neuen Antriebe, die von den Motorenherstellern in den USA entwickelt werden, müssen entsprechend stärker ausgelegt werden, um diesen Leistungsverlust kompensieren zu können.

Opfermann: Meist entwickeln wir solche Projekte gemeinsam mit Partnern. Ein Beispiel ist ein Projekt mit Volvo und DHL in Großbritannien. Volvo will seine Trucks mit einem Gas-Diesel-Kraftstoffmix auf die Straße bringen. DHL sucht umweltfreundlichere, effiziente Transportlösungen. Mit einem LNG-Antrieb kann man bis zu 30 Prozent CO2-Emissionen einsparen. Bei der Verbrennung entstehen gegenüber Diesel 90 Prozent weniger Schwefel- und etwa 80 Prozent weniger Stickoxide. Schwermetalle oder Rußpartikel werden überhaupt nicht freigesetzt. Deshalb haben wir für das DHL-Gelände nahe Sheffield eine LNG-Tankanlage entworfen und gebaut.

Muschelknautz: Es geht immer schrittweise in die Zukunft. In Australien konnten wir mehrere Fuhrbetriebe davon überzeugen, sich zu einer LNG-Initiative zusammenzuschließen. Wir haben entlang der wichtigen Highways von Brisbane nach Melbourne ein Netzwerk aus Tankstellen und LNG-Verflüssigungsanlagen installiert. Für die Spediteure kann sich je nach Motor- und Kilometerleistung die Umrüstung bereits nach wenigen Jahren rechnen.

Sozusagen mit Vollgas durch Australien.
Opfermann: Ja, und das funktioniert bei entsprechendem Angebot sogar auch mit Biogas. In Kalifornien haben wir zum Beispiel mit dem Partner Waste Management eine LNG-Anlage installiert, die Flüssigerdgas auf Bio-Basis erzeugt. Waste Management ist, wie der Name schon verrät, ein Abfallentsorgungsunternehmen. Seine Müllfahrzeuge fahren nun mit LNG, das aus dem gesammelten Abfall erzeugt wird.

Stromversorgung in Entwicklungsländern sichern

Auch die Energieerzeugung steht im Fokus von Linde. Wie äußert sich das?
Muschelknautz: In den Schwellen- und Entwicklungsländern ist es vordringlich, Infrastrukturen aufzubauen. Dazu zählt eine gesicherte Stromversorgung. In Ländern wie z.B. Tansania oder Pakistan steht Erdgas zur Energieerzeugung nicht ausreichend zur Verfügung. GE ist hier über Partner an uns herangetreten, um gemeinsam zu überlegen, welche Rohstoffe sinnvoll einzusetzen sind, um Strom zu erzeugen und die Infrastruktur dadurch weiterzuentwickeln.

Welche Rohstoffe sind das?
Muschelknautz: Biomasse aus Abfallstoffen oder auch Kohle werden diskutiert. Daraus soll Synthesegas entstehen, das dann in Strom verwandelt wird. Die Synthesegas-Erzeugung bietet den Vorteil, dass das anfallende CO2 einfach aus dem Prozessgas abgetrennt und gegebenenfalls in nahegelegene Erdölfelder für eine effizientere Erdölgewinnung – englisch ‚Enhanced Oil Recovery‘ - verwendet werden kann. GE bietet Gasturbinen-Kombi-Kraftwerke an, die typischerweise mit Erdgas betrieben werden. Unsere Rolle ist es, einen Synthesegasgenerator zu entwickeln, der das Gas für die Gasturbine bereitstellt.

Wo gibt es noch Beispiele für Energieerzeugung?
Muschelknautz: In Stahlwerken, zum Beispiel. Die Energiekosten bei der Stahlproduktion sind immens hoch. Nach dem Gießen muss der Stahl erneut auf rund 1.200 Grad Celsius erwärmt werden. Pro Tonne werden dadurch letztlich 1,3 bis 2 Gigajaule Energie benötigt – so viel, wie in einem Blitz steckt. Der Energieanteil beträgt in manchen Ländern bis zu 40 Prozent der gesamten Kosten. Mit den Technologien von Linde können wir einen Hochofen mit reinem Sauerstoff versorgen. Sauerstoff als Brenngas ist energieeffizienter als Luft. Wir gewinnen den Sauerstoff, in dem wir in sogenannten Luftzerlegungsanlagen den Stickstoff aus der Luft entfernen. Wenn dies nicht geschieht, wird ein Großteil der Energie bei der Erhitzung unnötigerweise dafür verwendet, den Stickstoffballast der Luft mit zu erhitzen.

Opfermann: Das gleiche Prinzip mit anderer Wirkung: Lebensmittelunternehmen, die Produkte für die Tiefkühltruhe liefern. Zum Beispiel Erdbeeren. Wir liefern den Firmen nicht nur den Flüssigstickstoff zum Schockgefrieren, sondern die gesamten Anlagen. Kühlung mit flüssigem Stickstoff geht schneller als klassische Kühlung. Das Wasser gefriert in den Zellen blitzartig. Der Vorteil: Es bilden sich nur winzige Kristalle, die die Zellhaut nicht verletzen können. Beim Auftauen verlieren die Erdbeeren dann keine Flüssigkeit.

Die Energiespeicher der Zukunft entwickeln

Apropos Aufbewahren: Kommen wir zur Speicherung von Energie aus erneuerbaren Quellen. Wie ist da der Stand der Dinge?
Opfermann: Das ist eines der großen Themen in Deutschland. Es ist klar, dass wir nicht nur neue Stromtrassen brauchen. Ab einem Anteil der Erneuerbaren von 40 bis 60 Prozent kommen wir an einem Langzeitstromspeicher nicht mehr vorbei, auch nicht durch einen beschleunigten Stromleitungsausbau. Pumpspeicherkraftwerke sind eine Lösung als Langzeitspeicher, aber in Deutschland nur noch in äußerst begrenztem Umfang zu errichten.

Infografik Wie Energie sich speichern lässt



Welche Möglichkeiten gibt es außerdem noch?
Opfermann: Eine aus unserer Sicht viel versprechende Lösung bei Lastspitzen ist der Power-to-Gas-Ansatz. Mit dieser Umwandlung von regenerativem Strom in Wasserstoff haben Sie zwei Möglichkeiten: Wasserstoff lässt sich mit einem Anteil von derzeit gut fünf Prozent in das Erdgasnetz einspeisen. Oder, und das ist die attraktivere Lösung, der Wasserstoff lässt sich stofflich nutzen: mit Brennstoffzellen-betriebenen Autos. Dadurch wird der Strommarkt mit dem Kraftstoffmarkt gekoppelt. Auch Luftverflüssigung taugt als Energiespeicher. Die Luftverflüssigung ist ein Verfahren zur Gastrennung, vor fast 130 Jahren von Carl von Linde entwickelt. Damit können wir inklusive Wiederverstromung einen guten Wirkungsgrad von 50 Prozent erreichen.

Muschelknautz: Solche Lösungen sind keine neue Wissenschaft, sondern beruhen auf bereits bewährten Technologien. Wir berechnen die verschiedenen Szenarien, um herauszufinden, wann und unter welchen Umständen sich der Einsatz eines solchen Energiespeichers lohnt.

Opfermann: Ein Beispiel dafür sind die Linde-Wasserstoff-Tankstellen. Mit fünf weiteren Partnern haben wir uns in der Initiative H2Mobility zusammengeschlossen: Air Liquide, Daimler, OMV, Shell, Total und Linde. Heute gibt es erst 15 öffentliche Wasserstofftankstellen in Deutschland, bis zum Jahr 2023 soll eine Wasserstoff-Infrastruktur mit mehr als 400 H2-Tankstellen entstehen. Bereits innerhalb der kommenden vier Jahre werden die ersten 100 Wasserstoff-Stationen in Betrieb gehen. Toyota, die mit BMW eine Koalition in der Hybridtechnologie begonnen haben, aber auch Daimler, GM, Honda und Hyundai sind bei der Entwicklung schon lange aktiv.

Herzlichen Dank für das Gespräch.