Geschäftsmodelle und Strategien Digitalisierung, aber richtig - Dos and Don'ts
Düsseldorf, München Wer früher eine neue Waschmaschine brauchte, der ging meist zu einem Fachhändler. Bei größeren, kostspieligen Anschaffungen wünschte man sich oft noch die professionelle und persönliche Beratung vor Ort. Doch durch die Corona-Pandemie werden auch solche Anschaffungen inzwischen oft online getätigt. Und wer nicht alles direkt zahlen möchte, der erhält beim Check-Out gleich den passenden Kredit und Ratenvereinbarung vom Onlinehändler dazu. Eigentlich war dies ein klassisches Metier der Banken, aber das Beispiel zeigt, wie traditionelle Geschäftsmodelle ins Wanken geraten und neue Kundenschnittstellen entstehen.
Doch der Bankensektor ist mit diesem Phänomen nicht allein. Vergleichsportale für Versicherungen ersetzen den Makler. Ein Küchenmaschinenanbieter verkauft Rezepte per Download und löst Kochbücher ab. Der Kochbox-Lieferdienst hält seine Kunden aus dem Supermarkt um die Ecke fern und garantiert dieselbe Qualität und Frische wie im Laden. Beispiele für solch teils radikale Veränderungen von Geschäftsmodellen gibt es in allen Branchen. Die neuen Mitstreiter haben zwei Gemeinsamkeiten: große Teile ihres Geschäftsmodells sind digitalisiert und sie richten sich konsequent an den Wünschen des Kunden aus. Das sollte klassischen Anbietern Warnung, aber auch Inspiration sein.
Christian Tölkes, Managing Director für Cloud-Strategien bei der Unternehmensberatung Accenture, und Nikolai Stankau, Director des Business Development EMEA beim Softwarehersteller Red Hat, begleiten vor allem Kunden aus dem Finanzsektor auf ihrem Digitalisierungsweg. Angesichts der aktuellen Herausforderungen und der neuen Mitstreiter ist das Ziel ihrer Arbeit inzwischen nicht nur die bereits bestehenden Prozesse und Praktiken zu digitalisieren, sondern wenn möglich direkt ein zusätzliches digitales Geschäftsmodell zu finden. „Der erste Schritt ist dabei immer der Blick auf die bereits existierende IT-Infrastruktur. Oft ist diese über Jahre gewachsen und ein Flickenteppich. Eine einheitliche Struktur hilft jedoch bei der Digitalisierung“, erklärt Nikolai Stankau.
80 Prozent der benötigten Infrastruktur für neue Anwendungen seien oftmals bereits in der Cloud vorhanden und neue Geschäftsmodelle oder Ideen müssten dann nur noch über die Schwelle getragen werden, so Tölkes. „Wir haben festgestellt, dass die Cloud eine gute Grundlage sein kann. Aber eben nicht nur für das Auslagern bereits vorhandener IT-Infrastruktur, sondern auch um neue Digitalisierungsprojekte schnell umzusetzen“, ergänzt er.
Doch was sich einfach anhört, bedarf eben auch der richtigen Idee. Meist fehlt in Unternehmen schlicht die Zeit, sich über neue Ansätze auszutauschen und sie voranzutreiben. Ein modernes, offeneres Mindset wünscht sich daher Nikolai Stankau. Die IT wurde in vielen Unternehmen in den letzten Jahren verschlankt und das räche sich nun. Freiräume, Workshops, kleine Innovationszellen in Unternehmen – alles Möglichkeiten, um Innovationen zu fördern.
Beide Experten sind der Meinung, dass der Wettbewerb zwischen klassischen Finanzanbietern und neuen Mitstreitern sich in den nächsten Jahren noch deutlich verschärfen wird. Es gilt daher, neue Kundenschnittstellen zu besetzen. „So kann zum Beispiel der Versicherungskonzern direkt im Reisebuchungsprozess eine Reiseversicherung anbieten. Wenn es dann zu einer Annullierung durch die Fluggesellschaft oder den Reiseanbieter kommt, kümmert sich die Versicherung automatisch um die Abwicklung. So entsteht eine positive Interaktion mit dem Kunden“, erzählt Stankau.
Christian Tölkes sieht das ähnlich. „Das besetzen neuer Kundenschnittstellen, vor allem bei Drittanbietern, ist der eine Trend den wir sehen. Der andere ist, dass Finanzdienstleister die Geschäftskunden wiederentdecken. Zu Recht, denn hier kann noch gutes Geschäft gemacht werden und die Möglichkeiten für Digitalisierung sind längst noch nicht ausgeschöpft“.
Wer noch mehr über die Stolpersteine und Trends bei der Digitalisierung des Finanzsektors hören möchte, der findet die komplette Hearconomy-Folge auf allen gängigen Podcast Portalen oder im Podcast-Player dieses Artikels.