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Inklusion

Menschen mit Behinderung sind stärker von Arbeitslosigkeit bedroht.

Inklusion in 2020 Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderung erreicht Höchststand

Das Inklusionsbarometer der Aktion Mensch zeigt: Das Jahr 2020 macht viele der bisherigen Etappenziele zunichte. Nicht nur ein aktuelles, sondern auch ein strukturelles Problem. Denn Menschen mit Behinderung suchen viel länger einen neuen Job.
01.12.2020 - 09:49 Uhr Kommentieren

Den richtigen Job zu finden, ist schwer. Und noch schwerer, wenn man eine Behinderung hat. Das können beispielsweise eine Spastik, die sich durch gelegentliche Zuckungen äußert, oder eine Gehbehinderung sein - so wie bei Dagmar Greskamp. Sie kann gut auf einer Tastatur schreiben, aber weniger gut mit der Hand einen Stift führen. Greskamp trinkt stets durch einen Strohhalm, da sie sonst zu viel von ihrem Getränk verschütten würde. Sie hat aber auch erfolgreich studiert – und musste dennoch viel länger als ihre Studienkolleg*innen warten, bis sie im Arbeitsleben angekommen ist.

Den richtigen Job zu behalten, ist noch schwerer. Keine Frage, das Jahr 2020 unter dem Einfluss einer globalen Pandemie hat Auswirkungen auf den gesamten Arbeitsmarkt – und zwar keine guten. Eine Gruppe, die in der Diskussion darüber gerne übersehen wird, ist die der schwerbehinderten Arbeitslosen. Denn auch die bekommen die Konsequenzen der angespannten Lage zu spüren. Und zwar in vielen Fällen noch gravierender: Denn Menschen mit Behinderung, die ihren Job verlieren, finden viel schwerer einen neuen als Arbeitslose ohne Behinderung. Langzeitarbeitslosigkeit ist hier die Folge und ein großes Problem. Im Schnitt suchen schwerbehinderte Arbeitslose 100 Tage länger nach einer neuen Stelle.

Referentin für Inklusion und Arbeit bei der Aktion Mensch. Quelle: Aktion Mensch
Dagmar Greskamp

Referentin für Inklusion und Arbeit bei der Aktion Mensch.

(Foto: Aktion Mensch)

Um für Sichtbarkeit für diese Gruppe zu sorgen, veröffentlicht die Sozialorganisation Aktion Mensch jedes Jahr gemeinsam mit dem Handelsblatt Research Institute das Inklusionsbarometer Arbeit, das die Lage von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt betrachtet. In diesem Jahr mit einer Besonderheit: Denn für gewöhnlich beziehen sich die veröffentlichen Zahlen auf das Vorjahr. Doch aufgrund der besonderen und drängenden Situation, die 2020 verursacht hat, gibt es schon jetzt einen Zwischenstand für das laufende Jahr. Und der zeigt: Im Oktober dieses Jahres liegt die Anzahl der arbeitslosen Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland um rund 13 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Damit sind derzeit 173.709 Menschen mit Behinderung ohne Arbeit – der höchste Wert seit 2016.

„Diese Entwicklung macht uns Sorgen “, sagt Dagmar Greskamp, Referentin für Inklusion und Arbeit bei der Aktion Mensch. „Denn sie macht die Errungenschaften der vergangenen Jahre wieder zunichte.“ Zuletzt konnte das Inklusionsbarometer eine positive Entwicklung für die vergangenen Jahre verzeichnen.

Inklusionsbetriebe waren besonders stark von Lockdown-Maßnahmen betroffen

Natürlich ist die Zahl der Arbeitslosen insgesamt in diesem Jahr gestiegen. Im März 2020 lag die Arbeitslosenquote noch bei 5,1 Prozent, im Oktober waren es 6,0 Prozent und im August sogar bei 6,4 Prozent. Menschen mit Behinderung betrifft die wachsende Arbeitslosigkeit besonders stark, da sie häufig in Branchen arbeiten, die sehr unter den Lockdown-Maßnahmen gelitten haben: Inklusionsbetriebe, also solche, die zu 30 bis 50 Prozent Menschen mit Behinderung beschäftigen, gibt es besonders oft in der Gastronomie, Hotellerie oder im Catering-Bereich.

„48 Prozent der Inklusionsbetriebe waren direkt betroffen, 20 Prozent indirekt durch Zulieferung, zum Beispiel“, sagt Dagmar Greskamp. Deshalb hat die Aktion Mensch im Rahmen ihrer Corona-Soforthilfe für Inklusionsunternehmen finanzielle Unterstützung in Höhe von bis zu 20.000 Euro pro Betrieb zur Verfügung gestellt.

Doch auch unabhängig von der Pandemie ist die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung ein drängendes Thema. Denn die Gesellschaft altert, auch Arbeitnehmer*innen werden immer älter. Und viele Schwerbehindertenausweise werden für Menschen ausgestellt, die eine schwere Krankheit hinter sich haben. Und die Wahrscheinlichkeit, eine solche Krankheit zu bekommen, steigt mit dem Alter.

Nach dem Studium war Dagmar Greskamp fünf Monate lang arbeitslos. Ihren ersten Job erhielt sie dann bei einem Verein, im Rahmen eines durch die EU geförderten Projektes. Lange arbeitete sie in Teilzeit, obwohl sie das gar nicht wollte. Bei der Aktion Mensch ist sie jetzt seit fünf Jahren in Vollzeit beschäftigt.

„Inklusion wird natürlich noch nicht selbstverständlich gelebt“, sagt Greskamp. Sie findet, dass mehr Unternehmen sich trauen sollten, sich mit der Inklusion von Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Oft fehle es einfach an Aufklärung darüber, wie das gelingen kann und welche Unterstützung es gibt. „Wir haben zum Beispiel mit einem Malerbetrieb zusammengearbeitet, der einen gehörlosen Angestellten ins Team geholt hat. Und dann wurden der gesamten Belegschaft durch Fördermittel Kurse in Gebärdensprache finanziert. Heute arbeiten dort vier gehörlose Menschen.“ Man müsse vielmehr auf die eigentliche Qualifikation und die Talente eines Menschen blicken als auf seine offensichtliche Besonderheit.

Sie könne es zwar nachvollziehen, sagt Dagmar Greskamp, aber es störe sie schon, dass ihre Behinderung ständig im Mittelpunkt steht. Die Kommiliton*innen, die sie im Studium immer nur auf ihre Behinderung angesprochen haben, seien nicht ihre Freunde geworden. „Ich habe zum Beispiel auch eine Familie und andere Interessen. Menschen mit Behinderung erleben es aber immer wieder, dass sie auf dieses eine Thema reduziert werden. Und deshalb oft nur im Umfeld der Behindertenarbeit einen Job finden.“ Dagmar Greskamps Sohn ist heute acht Jahre alt. Seine Antwort, wenn Freunde fragen, was denn mit seiner Mama sei: Die Mama zuckt, na und?

Lesen Sie hier zehn Gründe, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen.

Weitere Informationen gibt es im "Wegweiser Inklusion im Betrieb" von der Aktion Mensch und dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA).