Jerusalem Die Hauptstadt der Bärte

„Die jüdische Bartkultur ist Tausende von Jahren alt.“
Jerusalem Vollbärte, Schnauzbärte, Backenbärte - Gesichtsbehaarung jeglicher Art liegt weltweit gerade im Trend. In Jerusalem, wo Juden, Christen und Muslime auf engstem Raum zusammenleben, war das Tragen eines Bartes jedoch nie irgendwelchen modischen Strömungen unterworfen, drückte es doch religiösen Mystizismus, Nationalismus und Männlichkeitsideale aus. Für Männer jeden Glaubens kann der Bart ein Statement sein. Er reflektiert soziale Sitten, manchmal sogar politische Ansichten.
Für Eitan Press ist es eine spirituelle Reise, sich einen Bart wachsen zu lassen. Darin kommen alte Werte des jüdischen Mystizismus zum Ausdruck, zugleich werden damit aber moderne Männlichkeitsauffassungen hinterfragt. Der 40-Jährige betreibt das Unternehmen „Aleph Male“, das wohlriechende Balsame für Bärte herstellt. Für ihn verkörpere ein Mann mit einem Bart jemand, der seinen Mitbrüdern helfe, sagt Press, der selber einen majestätischen, roten Vollbart trägt. „Wenn ein Mann sich einen Bart wachsen lässt, dann obliegt es ihm, mit mehr Freundlichkeit, Mitgefühl und Sensibilität für seine Umwelt zu handeln, denn er trägt in seinem Gesicht eine göttliche Qualität“, sagt er.
Die Düfte seiner Pasten und Salben, die er auf dem Markt Mahane Jehuda in Jerusalem feilbietet, nehmen jüdische Feste und Bräuche auf. Ein Balsam mit Zitrusnote ist dem Fest Sukkot gewidmet, das im Herbst zum Gedenken an die Wanderung der Juden durch die Wüste begangen wird. Ein anderes Balsam hat die Aromen von Nelke und Zimt, Gewürze, die bei der Hawdalah verwendet werden, jenem religiösen Ritual, das am Samstagabend bei Nachteinbruch das Ende des Sabbats und den Beginn der neuen Woche kennzeichnet.
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„Die jüdische Bartkultur ist Tausende von Jahren alt. Moses hatte einen Bart, König David hatte einen Bart“, sagt Press. „Der Brauch jüdischer Männer, ihr Haar und ihren Bart mit geweihten Ölen zu salben, geht auf die Bibel zurück.“
Im 3. Buch Mose werden Männer dazu angehalten, sich nicht mit einer Klinge zu rasieren und ihren Bart nicht ganz abzuschneiden. Während das jüdische Recht die Verwendung von Elektrorasierern oder Scheren zum Trimmen eines Bartes erlaubt, gibt es einige Sekten, in denen jegliches Handanlegen an den Bart verboten ist.
Michael Silber, ein Professor der Hebräischen Universität Jerusalem, hat zum Thema Bärte geforscht. In einigen orthodoxen jüdischen Gemeinschaften sei das Haar so heilig, dass die Männer ihre Bärte nicht einmal kämmten, sagt er. Sie hätten Angst, dabei Haare auszureißen. Strähnen, die auf natürliche Weise ausfielen, würden oft in Gebetsbüchern aufbewahrt. Für die Frommen, die solche Lehren folgten, seien Bärte „ein Kanal der Göttlichkeit“, der sie mit Gott verbinde, sagt Silber.
Doch auch in anderen Religionen spielen Bärte eine wichtige Rolle. Suheir Dubai, ein muslimischer Gelehrter und Imam in der Stadt Nablus im Westjordanland, verweist darauf, dass sich muslimische Männer Vollbärte aus religiösen Gründen wachsen ließen. Schnauzbärte seien dagegen in der weltlichen Kultur verwurzelt.
Einige ließen sich Oberlippenbärte wachsen, um mächtige Führer zu imitieren wie den früheren irakischen Machthaber Saddam Hussein, sagt er. Einige autokratische Regierungen im Nahen Osten seien dafür bekannt gewesen, ihren Gefangenen die Schnauzbärte abzuschneiden, um sie so zu erniedrigen. In Syrien, Jordanien und dem Libanon würden einige Männer sogar bei ihrem Schnurrbart schwören.
Die muslimischen Barttraditionen gehen auf den Propheten Mohammed zurück, der im 7. Jahrhundert seine Anhänger dazu aufrief, Vollbärte zu tragen und ihre Schnauzbärte als Ausdruck der Bescheidenheit zu stutzen. Mit dem Aufschwung des politischen Islams vor rund drei Jahrzehnten wurden die Vollbärte zunehmend populär.
Aber auch unter christlich-orthodoxen Priestern, die in ihren langen, wehenden Roben durch die Gassen der Jerusalemer Altstadt wandeln, sind lange, buschige Bärte weit verbreitet. Sie sehen ihre Bärte als Zeichen der Hingabe an Gott und als Huldigung an Jesus, der traditionell mit Bart dargestellt wird.
In Jerusalem kann das Tragen eines Bartes aber auch politische Haltungen ausdrücken. „In den 80er Jahren begann Religion, sich immer mehr mit politischen Orientierungen zu verbinden“, sagt Silber. „Das spiegelt sich wider im Aufkommen des Bartes unter den eher rechtsgerichteten und religiös orientierten Juden wie auch Muslimen.“
Doch viele Männer mit Bart haben auch ganz einfache Motive dafür. Der Bart gefällt ihnen einfach. Dabei ist es nicht immer so einfach, wie es aussieht, einen Bart zu haben, wie Barbier Tal Johnson aus der israelischen Stadt Holon sagt. „Man kann nicht damit essen. Es gibt eine Menge Dinge, die wirklich schrecklich sind. So wie Hummus. Oder Spiegeleier, die noch flüssig sind. Du musst dich danach waschen. Das ist alles sehr kompliziert“, sagt er. Was aus seiner Sicht ganz besonders schrecklich beim Essen mit Bart ist? Suppe!
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In der jetzigen Zeit geht nur noch glattrasiert.