Kolumbien Der unheimliche Koka-Boom

Der Kokabauer auf dem Kokamarkt im bolivianischen Sacaba.
Sacaba Sinforoso Ladesma ist ganz begeistert von seinen Kokablättern, gerade wenn es einen Schlangenbiss gegeben hat. „Du musst sie im Mund kauen und auf die Wunde spucken, schon geht der Schmerz weg.“ Der Kokabauer steht mit einem großen Sack am Kokamarkt von Sacaba, der Hauptstadt der tropischen Chapare-Region in Bolivien.
Nach jahrelangem Rückgang hat die Anbaufläche für die Koka-Pflanze in Südamerika zuletzt um 30 Prozent zugelegt, hat gerade der neue Weltdrogenbericht der Vereinten Nationen (UN) festgestellt. Rund 250 Millionen Menschen konsumieren weltweit Drogen - in Europa wird pro Jahr Kokain für 5,7 Milliarden Euro abgesetzt. Und wenn die Zeichen nicht trügen, droht nun eine massive Zunahme der Kokainproduktion.
Was hat das mit Sinforoso Ladesma in Sacaba zu tun? Er sagt, er baue nur für den legalen Konsum an - das seit Jahrhunderten praktizierte Kauen von Kokablättern, um Ermüdungen bei der Feldarbeit oder in den Minen vorzubeugen. Aber wo seine Blätter hingehen, weiß er nicht.
Es ist ein abgesperrter Bereich, hier hat die Dirección General de la Hoja de Coca e Industrialización (DIGCOIN) das Sagen. DIGCOIN ist eine Polizeieinheit, die die Kokaproduktion kontrollieren soll, nachdem Präsident Evo Morales die US-Antidrogeneinheit DEA aus dem Land geworfen hat. Morales war selbst lange Kokabauer im Chapare.
Bis zu 2000 Säcke werden hier jeden Tag gewogen, den Bauern wird das Geld ausbezahlt, aktuell rund 1200 Bolivianos (150 Euro) je Sack mit 50 Libras (23 Kilo). Mehr als das Zehnfache dessen, das Bauern im Hochland bekommen, die das wegen der Nährstoffe und Mineralien als „Superfood“ gefeierte Inkakorn Quinoa anbauen. Dies zeigt, warum es so lukrativ ist, Koka anzubauen, im Jahr sind drei Ernten möglich.
DIGCOIN-Polizisten, die anonym bleiben wollen, beteuern, die Koka werde von hier auf die Kokamärkte der Region verteilt - für den legalen Konsum. Der Leitspruch der Morales-Regierung lautet: „La hoja de Coca no es droga“; „das Kokablatt ist keine Droge“. Produkte wie Kokatee und Kokaschokolade will Morales zum Exportschlager machen.
Das Problem: Die Koka aus dem Chapare ist so scharf, sprich alkaloidhaltig, dass sie im Mund brennt und kaum zum Kauen geeignet ist - anders als die Koka aus den Yungas, dem traditionellen Anbaugebiet, etwas höher gelegen. Daher hilft die Chapare-Koka sogar beim Lindern von Wunden und Bissen, wie es Ladesma schildert.
Im Chapare wird erst seit den 1980er-Jahren Koka angepflanzt, als tausende Minenarbeiter im Zuge neoliberaler Reformen im Hochland arbeitslos wurden und hierhin in die Tropen umzogen. Nach einer UN-Schätzung gehen 94 Prozent der Chapare-Koka in die Kokainproduktion - gerade wegen des sehr hohen Alkaloidanteils.
Nun wird aber mit einem von Morales unterzeichneten Gesetz die legale Anbaufläche von 12 000 auf fast 22 000 Hektar ausgeweitet, davon sollen 14 300 Hektar auf die Yungas und 7300 auf das Chapare entfallen. Hinzu kommen tausende Hektar illegale Flächen. Wenn aber die Chapare-Koka kaum zum Konsum taugt, könnte dies die Kokainproduktion deutlich erhöhen - es entsteht aus einer Vermischung von Chemikalien und Kokablättern.
Frage an Kokabauer Ladesma, wie man verhindern will, dass die Produktion von Drogen steigt. Antwort: „Ich weiß es nicht.“ Nach Analyse der US-Behörden hat sich die Kokainproduktion Boliviens in den vergangenen zehn Jahren schon ohne das Gesetz auf 255 Tonnen verdoppelt. Es geht oft über Mittelamerika in die USA oder nach Europa. In den USA liegt der Straßenverkaufspreis bei etwa 80 Dollar pro Gramm - diese Preise und die Möglichkeit von drei Ernten im Jahr regen Kokabauern nicht gerade zum Anbau von Ananas und Orangen an.
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