Nicht immer gehen die Versuche der Trickbetrüger so glimpflich aus: Trotz unermüdlicher Information durch Polizei, Medien und Präventionsstellen werden jährlich hunderte Senioren in Deutschland durch den Enkeltrick um ihr Geld gebracht, die Ermittler gehen von jährlichen Schäden in Millionenhöhe aus. Scheitert die deutsche Gesellschaft am Phänomen Enkeltrick?
„Diese Art von Betrug wird auch durch eine gesellschaftliche Entwicklung begünstigt“, sagt Kim Freigang, Pressesprecher der Polizei Dortmund. „Viele ältere Menschen sind allein, vereinsamt, Enkel und Kinder wohnen weit weg in anderen Bundesländern.“ Da seien viele bei aller Vorsicht von der Freude überwältigt, wenn sich mal jemand bei ihnen meldet. „Und das nutzen die Täter dann schamlos aus.“
Zusätzlich spielen altersbedingte Erkrankungen wie Schwerhörigkeit und Demenz hinein. Die Trickbetrüger schlagen aus dem dringenden Bedürfnis der Senioren nach Wertschätzung und Anerkennung teils Summen von mehreren zehntausend Euro pro Opfer heraus. Einige Senioren zahlen diese Summen aus Hilfsbereitschaft und weil sie durch die Betrüger auf einer sehr emotionalen Ebene angesprochen werden.
Der Trick funktioniert immer ähnlich, wie die Polizei weiß. Die Banden sind in drei Hierarchien strukturiert, es gibt Anrufer, Logistiker und ein Abholerteam. Der Anrufer steht oben in der Hierarchie und telefoniert sich durch Listen alter Telefon-CDs. Er wählt gezielt alt klingende Namen wie Erna, Helga oder Waldemar aus und meldet sich mit einem einfachen „Hallo Oma“, oder aber – noch perfider – mit einem unverfänglichen „Na, rate mal, wer da ist...?“
Sechs goldene Regeln gegen Enkeltrickbetrüger
So werden Senioren erst einmal in ein lockeres Gespräch verstrickt, um Hinweise über eventuelle echte Enkel zu bekommen, etwa durch Rückfragen: „Stefan, bist du das?“ An diese Informationen versucht er mit einer Legende anzuknüpfen und kommt dann zu seinem eigentlichen Anliegen: Der Geldforderung. Meist täuscht der angebliche Enkel Geldnot vor.
Appelliert wird an die Hilfsbereitschaft und die familiäre Solidarität der Opfer. Diese geht schließlich so weit, dass die Betroffenen sich bereit erklären, das Geld an ihnen unbekannte, angebliche Freunde des Enkels zu übergeben – die Abholer, deren Aktion von den Logistikern telefonisch angewiesen und koordiniert wird. Hat die Geldübergabe stattgefunden, verteilen die Banden das Geld in kürzester Zeit, Anruferhandys vernichten sie. Es sollen möglichst wenig Spuren hinterlassen werden.
Familienclans aus dem Ausland
Rente? Ohne mich! - Senioren drängen zurück ins Berufsleben
„Das sind einige Familienclans, die das Land gebietsweise unter sich aufgeteilt haben. Und die finanzieren sich fast ausschließlich mit solchen Straftaten“, sagt Andreas Gerdon. Der Kriminalhauptkommissar leitete bis 2014 die Gruppe „Cash Down II“ bei der damaligen Landespolizeidirektion Karlsruhe, die auf den Enkeltrick spezialisiert war.
Seine Einheit war die bundesweit größte dieser Art und agierte nicht nur bundeslandübergreifend, sondern auch international – hatte also einen sehr guten Überblick über die Strukturen und das Vorgehen der Betrüger. In den meisten Fällen agieren die Familienclans aus dem Ausland, laut Gerdon am häufigsten aus Polen, doch seine Kollegen und er trafen in den Ermittlungen etwa auch auf italienische Familien.
Die Betrüger gehen hochprofessionell vor, so zielen sie in einigen Regionen Deutschlands nicht mehr nur auf die deutschen Senioren ab, teils rufen in Gebieten mit großem Migrantenanteil auch fremdsprachige Anrufer bei betagten Zuwanderern an und setzen somit zusätzlich auf die nationale Verbundenheit.
Zumeist sitzen jedoch akzentfrei deutsch sprechende Personen in osteuropäischen Ländern wie Polen und telefonieren ihre Listen ab. Für Ermittler wie Gerdon und seine Kollegen ist dies ein großes Problem: Wenn es sich zudem um polnische Staatsbürger handelt, werden diese meist für ihre Taten nicht nach Deutschland ausgeliefert (siehe Infobox).
Die gefährlichsten Städte Deutschlands
So kommen Ermittler in Deutschland meist nur an die Abholer heran – kleine Fische, die innerhalb der international agierenden Netzwerke schnell ersetzt werden. Durch den Wegfall der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung in Deutschland seit 2010 könnten die Verbrechen nur noch sehr viel schwerer verfolgt werden, argumentiert Andreas Gerdon, der für eine Wiedereinführung der Datenspeicherung plädiert.
Diese Maßnahme könne Telefonate wie die der Enkeltrickbetrüger nachvollziehbar machen. Nach den Attentaten auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo flammte die Diskussion über die Datenspeicherung jüngst wieder auf, eine Wiedereinführung erscheint jedoch aufgrund der massiven Kritik an der Störung der Anonymität und Privatsphäre der Bürger aktuell eher unwahrscheinlich.
Ein noch größeres Problem dürfte sein, dass es in Sachen Enkeltrick kein bundesweit koordiniertes Vorgehen gibt. Es existieren weder überregionale Statistiken zu den Betrugsfällen noch gibt es eine überregionale Taskforce.
Angesichts mangelnder übergreifender Strukturen und Schutzmöglichkeiten durch die Strafverfolgungsbehörden lautet die Devise: Potenziell Betroffene müssen sich am besten selbst schützen.
Tipps gegen den Enkeltrickbetrug
Echtheit des Gesprächs überprüfen
Die Lieblinge der Autodiebe
Barbara John verfolgt die Idee der Selbsthilfe und der zivilen Prävention schon seit mehr als zehn Jahren. Die Seniorin betreibt den Blog Pfiffige Senioren, der Hinweise gibt, wie man sich vor Trickbetrügern schützen kann.
John glaubt an die langfristige Wirkung der Präventionsbemühungen: „Immer wieder liest man, dass deshalb Senioren bei diesen Anrufen den Hörer auflegen. Auch die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Banken hat schon einiges verhindert.“ Tatsächlich sind immer mehr Bankberater aufmerksam, fragen Senioren bei auffällig großen Abhebungen nach dem Verwendungszweck und liefern die in der Nähe wartenden Betrüger der Polizei so teils direkt ans Messer.
Das ist einer der zentralen Ratschläge, die auch Polizisten und Präventionsmitarbeiter immer wieder geben: Bei Geldforderungen am Telefon sollten Betroffene einen Rückruf aushandeln und sich dann zunächst unter den bekannten Nummern selbst bei den Verwandten melden, um die Echtheit des Gesprächs zu überprüfen (Weitere Tipps siehe Infoboxen).
Erfolge der Polizei gegen Enkeltrick-Betrüger
Letztlich sieht Barbara John den Kampf gegen den Enkeltrick aber als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dieser Idee folgt sie mit ihrem Blog, das Kontaktdaten zu Hilfe- und Beratungsstellen bei Trickbetrug aufzeigt und auf dem sie mit ihren eigenen Artikeln Hinweise und Tipps im Umgang mit Betrügern gibt.
John fordert, dass man die älteren Gesellschaftsmitglieder wieder mehr einbeziehen, an sie denken sollte: „Ganz wichtig ist, dass Bezugspersonen wie jüngere Nachbarn, Verwandte oder das Pflegepersonal die oft allein lebenden Senioren für diese Themen sensibilisieren – also sich kümmern“, so John.
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