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Niederländer über Loveparade-Todeskampf „Ich werde sterben“

Im Prozess um die Loveparade-Katastrophe hat der erste ausländische Zeuge ausgesagt. Der 29-jährige Niederländer überlebte – die Polizei lachte ihn aus.
06.02.2018 - 18:19 Uhr Kommentieren
Fahnen, die die Nationalität der Opfer der Loveparade zeigen, wehen an der Gedenkstätte für die Loveparadeopfer in Duisburg. Quelle: dpa
Loveparade-Prozess

Fahnen, die die Nationalität der Opfer der Loveparade zeigen, wehen an der Gedenkstätte für die Loveparadeopfer in Duisburg.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Als er dachte, dass auch er jetzt stirbt, als er keine Kraft mehr hatte, sich nicht länger gegen das Gewicht der Körper über ihm stemmen konnte, deren Gliedmaßen ihm die Luft abdrückten, als alles beißen und drücken nicht mehr half, da hörte er die Melodie: „Sweet Dreams“ von den Eurythmics -– als Techno-Version. Da habe er plötzlich Schuhe gesehen, sei mit Wasser bespritzt worden und jemand habe versucht, ihn aus dem Stapel von Körpern zu ziehen.

Es ist absolut still am Dienstag im großen Saal des Düsseldorfer Kongresszentrums. Der 29-jährige Niederländer aus Zwolle berichtet im Loveparade-Prozess als erster ausländischer Zeuge so beklemmend von seinen eineinhalb Stunden Überlebenskampf, dass sogar seine Dolmetscherin unterbrechen muss, schluchzt und mit den Tränen kämpft. Dabei hatte alles gut angefangen, als er mit seinem Freund Jan-Willem an jenem Samstag mit dem Auto nach Duisburg fuhr. Sie freuten sich aufs Spektakel, das Wetter war super, die Leute tanzten auf Dächern.

Doch sei es auf dem Weg zur Loveparade voller und voller geworden. Schon vor der Schleuse, die dem Tunnel zum Gelände vorgeschaltet war, staute sich eine enorme Menge. Als ein Rettungswagen durchgefahren sei, sei er mit dem Freund endlich in den Tunnel gelangt. Doch kurz nachdem er auf die berüchtigte Rampe abgebogen war, ging nichts mehr.

Die Menschenmenge habe ihn in Wellen nach rechts und links geschoben. Er habe den Boden unter den Füßen verloren, sei langsam nach hinten und zu Boden gedrückt worden. Das habe mehrere Minuten gedauert. Er habe es nicht verhindern können. Von den seitlichen Mauern der Rampe hätten Polizisten tatenlos auf sie herabgeschaut. „Die Leute haben verzweifelt geschrien und die haben nur zugesehen und gewunken.“

Da habe er plötzlich seinen Freund Jan-Willem wiedergesehen. Er habe direkt neben ihm auf dem Boden gelegen. Sein vorher hochrotes Gesicht sei blau angelaufen gewesen, die Augen quollen hervor. „Ich habe mehrmals an seinem Hals nach dem Puls gefühlt, aber da war keiner.“

Auch der junge Mann rechts von ihm, ein Deutscher namens Ingo, habe irgendwann gesagt: „Ich werde sterben.“ „Wirst du nicht“, habe er ihm gesagt. Aber kurz darauf habe er auch ihn für tot gehalten. Er selbst habe vor Schmerz geschrien, in die Gliedmaße gebissen, die ihn zu ersticken drohten, scheinbar alles vergebens. „Da kommt keine Hilfe mehr“, habe er irgendwann gedacht. „Die ganze Zeit sah ich den toten Jan-Willem da liegen, habe an seine Familie gedacht.“

Zwei Feuerwehrleute hätten ihn schließlich geborgen. Er habe vor den Leichen gestanden, hyperventiliert und schließlich angefangen zu weinen. Als er nachschauen wollte, ob sein Freund vielleicht doch noch wiederbelebt werden konnte, habe ihn die Polizei zurückgehalten: „Jetzt konnten sie plötzlich doch etwas machen.“

Der Deutsche neben ihm, Ingo, habe mit gebrochenem Bein überlebt. Er habe noch ein T-Shirt darum gewickelt, was wohl sinnlos gewesen sei. Auf der Wache hätten die Polizisten herumgewitzelt und sich über sein Deutsch lustiggemacht. „Ich fand das ziemlich unangemessen.“

Danach habe er mit der Mutter Jan-Willems zum zweiten Mal telefoniert und ihr da gesagt, was er beim ersten Mal nicht fertig gebracht hatte: „Das schlimmste Telefonat meines Lebens“. Sie habe geschrien, er habe gehört, wie ihr das Telefon aus der Hand gefallen sei.

15 Ärzte, Psychologen und Psychiater habe er seitdem konsultiert. Er leide unter Depressionen: „Bis zum heutigen Tage habe ich jeden Tag damit zu tun. Die Flashbacks sind nie weggegangen. Aber inzwischen sehe ich sein Gesicht nicht mehr, wenn er in meinen Träumen zurückkommt.“ Er sei arbeitslos, krank geschrieben.

Beim Loveparade-Unglück am 24. Juli 2010 in Duisburg waren 21 Menschen erdrückt und mindestens 652 verletzt worden. Der Prozess des Landgerichts Duisburg gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Beschäftigte des Veranstalters Lopavent hatte im Dezember begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung vor.

  • dpa
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