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Vor 100 JahrenDie Seebrücke riss Dutzende in den Tod

Das Ufer im Blick ertranken sie, weil kaum einer schwimmen konnte: Vor 100 Jahren riss eine einstürzende Seebrücke auf Rügen Dutzende Schaulustige in die Ostsee. Als Konsequenz wurde die DLRG gegründet. 28.07.2012 - 10:07 Uhr Artikel anhören

Die Seebrücke von Binz auf der Ostseeinsel Rügen 1910. Vor 100 Jahren riss der einstürzende Landungskopf der Binzer Seebrücke Dutzende Schaulustige in die Ostsee.

Foto: picture alliance

Binz. Das Ertrinken sei Mode - und nicht das Schwimmen, beklagte Johann Christoph Friedrich GutsMuths in einer Zeit, als die ersten deutschen Seebäder an Nord- und Ostsee entstanden. Der Pädagoge und Turn-Großvater verfasste 1798 mit seinem „Kleinen Lehrbuch der Schwimmkunst im Selbstunterrichte“ einen leidenschaftlichen Appell für das Schwimmen.

Doch sein Wunsch, das Schwimmen künftig zu einem „Hauptstück der Erziehung“ zu machen, scheiterte an der postulierten Sittsamkeit der Biedermeier-Ära, an der Prüderie der wilhelminischen Gesellschaft. Menschen strömten in Massen an Seen und Küsten, doch für die Gefahren, die das Meer barg, waren sie unzureichend gerüstet - auch noch ein Jahrhundert nach Drucklegung des Schwimm-Lehrbuches.

Am 28. Juli 1912 - knapp vier Monate nach dem Untergang des Luxusdampfers Titanic - ereignete sich im Seebad Binz auf Rügen einer der tragischsten Unfälle der deutschen Badetourismus-Geschichte. Bis zu eintausend Ausflügler und Badegäste hatten sich auf der 560 Meter langen Seebrücke versammelt, als am Abend der Dampfer „Kronprinz Wilhelm“ am Landungssteg anlegte.

Das Unglück führte zur Gründung der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG). Die beiden Rettungsschwimmer überwachen hier den Ostseestrand in Binz auf Rügen.

Foto: ap

Unter der Last von bis zu 100 Menschen brach der Brückenkopf der Seebrücke zusammen und riss die überraschte Menge in die Tiefe. „Ein ängstliches Hilfegeschrei der Versinkenden ertönte zu den ahnungslosen Menschen“, beschreibt das „Rügensche Kreis- und Anzeigenblatt“ einen Tag später das Chaos.

Die Passanten auf der Brücke - „bemächtigt einer ängstlichen Bestürzung“ - versuchten mit Stangen und Leitern die hilflos im Wasser treibenden Menschen zu retten. Das sichere Ufer im Blick ertranken 14 Menschen. Zwei starben in den folgenden Tagen an den Verletzungen. Als Konsequenz aus dem Unglück wurde im Oktober 1913 in Leipzig die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) gegründet.

Trauermarsch am 31. Juli 1912 zur Beisetzung des verunglückten Amtsdieners Päper.

Foto: picture alliance

Nach DLRG-Angaben konnten zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung schwimmen. Noch im Unglücksjahr 1912 ertranken Schätzungen zufolge 5000 Deutsche. Retten lernen, so die Forderung im Gründungsaufruf, müsse daher die Hauptaufgabe der neuen Gesellschaft werden. Zugleich warben Schwimmvereine für ihren Sport, der im Schatten von Fußball und Turnen stand.

Die Zahl der Ertrunkenen sank auf 410 im Jahr 2011 - vor allem, weil die Deutschen lernten, sich im Element Wasser zu bewegen. Heute können über 80 Prozent der Bevölkerung schwimmen, allerdings rund zehn Prozent weniger als noch Ende der 1980er Jahre.

Den Abwärtstrend führt DLRG-Präsident Klaus Wilkens auf die zunehmend schlechteren Bedingungen im Schulschwimmunterricht zurück. „Nur rund 15 Prozent der Kinder lernen heute in der Grundschule schwimmen.“ Kommunen schlössen Bäder, weil sie deren Unterhalt nicht mehr finanzieren könnten. Zudem werde nur jedes fünfte Kind von einem Schwimmlehrer und damit fachgerecht unterrichtet.

Als „beängstigenden Trend“ bezeichnen Sportwissenschaftler die Entwicklung, dass Lehrer inzwischen das „Seepferdchen“ als Nachweis für die Schwimmfähigkeit gelten lassen. „Das Seepferdchen dient lediglich der Schwimmvorbereitung. Die Kinder können sich maximal eine Bahn über Wasser halten“, sagt die Diplom-Pädagogin Carolin Ingelmann vom Karlsruher Forschungszentrum für den Schulsport und den Sport von Kindern und Jugendlichen. Sie verweist auf Studien, wonach inzwischen 50 Prozent der Kinder als Nichtschwimmer aus der Grundschule gehen.

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Die DLRG, mit 1,1 Millionen Förderern und Mitgliedern die größte Wasserrettungsorganisation der Welt, und andere Verbände plädieren dafür, die Schwimmausbildung über vier Jahre in der Grundschule anzubieten. „Anders als die Leichtathletik dient das Schwimmen der Daseinsvorsorge“, sagt DLRG-Sprecher Martin Janssen.

Jeder Schüler müsse mindestens das Schwimmabzeichen in Bronze erwerben - 200 Meter in 15 Minuten. Sollte die Schwimmfähigkeit weiter abnehmen, könnte die Zahl der Ertrunkenen zunehmen.

dpa
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