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Belastung reduzieren Einfache Rezepte gegen Stress helfen nicht – das Verhalten muss geändert werden

Ob positiv oder negativ, dem Gehirn ist das egal: Stress ist Stress. Es unterscheidet lediglich zwischen akut und chronisch. Was man tun kann, bevor es heikel wird.
01.03.2019 - 11:38 Uhr Kommentieren
Wer sich von Zeit zu Zeit zurückzieht und die Abgeschiedenheit in der Natur sucht, gewinnt in der Regel Kraft und Klarheit. Quelle: dpa
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Wer sich von Zeit zu Zeit zurückzieht und die Abgeschiedenheit in der Natur sucht, gewinnt in der Regel Kraft und Klarheit.

(Foto: dpa)

Hamburg Von allem zu viel: Job, Social Media, Schnappatmung. All das Getöse. Dieses Gefühl, einer Welt im Wettlauf nicht mehr hinterherzukommen; das auf Tempo, Funktionalität, Planbarkeit, Effizienz und reich werden ausgerichtete Leben nicht mehr
wuppen zu können.

Was wirklich wichtig ist, zeigt sich gelegentlich in der Formel „guter Vorsatz“, gern zum Wechsel eines Jahres, mit all der sattsam bekannten Symbolik. Doch Zäsuren funktionieren nach anderen Rhythmen. Das gilt auch für das Bedürfnis nach weniger Stress.

Eigentlich ist dazu alles gesagt. Dennoch erreichen in regelmäßigen Erhebungen die Wünsche „Stress abbauen oder vermeiden“ Spitzenplätze. Eine Gute-Vorsätze-Umfrage der DAK zur Jahreswende 2019 hat dies für 62 Prozent von 3.529 Befragten ergeben
(Platz eins), für 2018 waren es 59 Prozent (ebenfalls Platz eins, 3.563 Befragte).

Es scheint, als will da etwas nicht so recht funktionieren. Vielleicht der Umstand, dass der Weg von der Be- zur Entlastung durchaus als kleine Reise zu verstehen sein kann? Eine Situation lässt sich nur verändern, indem man sich anders verhält als bisher, lautet eine Binse. Eine andere ist: Nicht von ungefähr wird im Sport der Sieg im Kopf entschieden. Zum einen geht es um Willenskraft, um das, was einen motiviert – in Gedanken, im Gefühl, im Körper, zum Handeln. Dann fehlt noch Übung.

Forscher sagen: Künftig wird Stress nicht mehr als Zeichen des Zuviel gedeutet, sondern als Unmöglichkeit, eine Balance herzustellen – zwischen ausgeprägten Stressphasen und genügend Zeit zur Erholung. Stress hat viele Gesichter und zahllose Gründe, akuter Stress ist nichts weiter als eine Anpassung des Organismus an Belastendes, eine gewisse mentale Anspannung erhöht die Aufmerksamkeit.

Heikel wird´s erst, wenn permanente Anforderungen in chronische Überforderung münden. Die langfristigen Folgen von Stress sind bekanntlich vielfältig, sie können über allgemeine Erschöpfung und Müdigkeit hinaus eine Fülle von körperlich-seelischen Problemen, Schmerzsyndrome und Autoimmunerkrankungen triggern.

Das Problem ist: Viele nehmen Dauerstress nicht ernst, weil sie den auch positiv erleben. Nach klassischer Definition ist Stress nicht nur negativ. Der negative „Dis“-Stresstyp reagiert mit einer blockierenden Erregung, der positive „Eu“-Stresstyp mit besonderer Konzentration. Hinzu kommen geschlechtstypische Unterschiede im Stressverhalten.

Solche Unterscheidungen spielen in der Forschung jedoch keine Rolle mehr. Weil: Stress ist Stress, positiver wirkt genauso wie negativer. Das Gehirn als Kommandozentrale startet eine Kettenreaktion, der Körper aktiviert alles, um mit der Situation fertig zu werden – egal, ob ein Feind angreift oder ein Vortrag zu halten ist. Die komplexen Prozesse im Kopf und Körper laufen jeweils mit enormer Geschwindigkeit ab.

Das Hirn unterscheidet lediglich zwischen akut und chronisch. Bei kurzzeitigem Stress schaltet es in erster Linie jene Nervenzellen scharf, die die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin benutzen. Bei chronischem Stress mit zum Beispiel Angstsymptomen ändern sich die psychosomatischen Reaktionen und andere Hormone wie Cortisol werden ausgeschüttet, immer in Unmengen.

Die Frage „Ist Stress ungesund?“ lässt sich dann eindeutig mit Ja beantworten. Der populärste Stress ist nach Ansicht von Stressforschern der Arbeitsstress, am nachhaltigsten wirken die Pflege eines Angehörigen und der Verlust eines geliebten
Menschen durch Tod.

Forscher sagen: Künftig wird Stress nicht mehr als Zeichen des Zuviel gedeutet, sondern als Unmöglichkeit, eine Gleichgewicht zwischen ausgeprägten Stressphasen und genügend Zeit zur Erholung herzustellen. Quelle: dpa
In der Balance

Forscher sagen: Künftig wird Stress nicht mehr als Zeichen des Zuviel gedeutet, sondern als Unmöglichkeit, eine Gleichgewicht zwischen ausgeprägten Stressphasen und genügend Zeit zur Erholung herzustellen.

(Foto: dpa)

Niemand kann sich dem Stresshormon-Flash entziehen: Der Blutdruck steigt, das Herz rast, tief durchatmen, eine mehr oder minder beängstigende Energie entwickeln und los geht´s – gegen wen oder was auch immer. Wer sich mit seinen Stressoren
auseinandersetzen möchte, dem hilft indes nicht so sehr das Stochern im äußeren Nebel, sondern Kontakt zu sich selbst. Ein Blick auf die eigenen Anteile oder Einstellungen kann helfen, sich aus jenen Umständen zu befreien, in denen man sich gern als Opfer sieht.

„Man muss überdies von einem bequemen Rezeptdenken Abschied nehmen, der Suche nach situationsunabhängig gültigen Prinzipien, die für alle gelten können – immer und überall,“ hat der Erfinder der Kommunikationspsychologie, Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun, mal gesagt. Was bleibe, sind gedankliche Rahmen, Werkzeuge zum Entdecken von Ansätzen, mit denen man sich am besten identifizieren kann – und die im Idealfall auch dem Umfeld zugute kommen. Drei Werkzeuge:

1. JOMO statt FOMO: Ruhig etwas verpassen

Die Angst etwas zu verpassen (Fear of Missing out, FOMO) soll die erste „Social Media Krankheit“ sein, mit Symptomen wie: ständig online, immer im Austausch, Augenblicksgier. Und mit Rast- bis hin zur Schlaflosigkeit, wenn das Mobilfon-Ladekabel mal verlegt wurde und der Akku leer ist. Laut einer Studie der rheinischen Fachhochschule Köln von 2018 sind „Fomotiker“ meist Kinder und junge Erwachsene, deren Bedürfnisse nach Anerkennung und Autonomie, Zufriedenheit und Zugehörigkeit nicht erfüllt sind. Wenig abwegig erscheint eines wie das andere auch in höheren Altersgruppen.

Da passt es, dass Offline-Zeiten beliebter werden: Telefon aus, Laptop schließen, jegliche Informationsflut stoppen. Das ist immerhin für jeden Zweiten der bis 29-Jährigen in der DAK-Umfrage (siehe oben) eine Option. Für sie gilt JOMO, Joy Of Missing Out. Wer lernt, nichts zu verpassen und sich nicht verpflichtet zu fühlen, zu gewissen Zeiten erreichbar zu sein – zum Beispiel nach Feierabend –, kann in jeder Hinsicht abschalten und so den eigenen Stresspegel (und den des Partners bzw. der Familie) erheblich senken.

2. Wohlwollend denken: Perspektive wechseln

Wohlwollen, Wertschätzung, emotionale Wärme, kluge Worte sind die „4 W“ im Miteinander. Weiß jeder, na ja, fast jeder. Wer diesen Idealen folgt, findet gewissermaßen einen Schlüssel zur Stressfreiheit, selbst dann, wenn es hoch her geht. Der Schlüssel
heißt Serotonin, jener Botenstoff, der im Gehirn für gute Gefühle sorgt. Leider sieht der Alltag häufig anders aus: Negative Gedanken erzeugen oder verschärfen Stress.

Mit mentalen Techniken lässt sich daran arbeiten, die eigene Person in stresserzeugenden sozialen Situationen realistischer wahrzunehmen. Es gibt gezielte Übungen, in denen es darum geht, sich und anderen gegenüber mehr Freundlichkeit und Mitgefühl zu
entwickeln. Durch Meditieren wiederum lassen sich automatisch auftauchende destruktive Gedanken und Überzeugungen identifizieren, bewerten, umwandeln.

In was? Vielleicht in das Annehmen dessen, was ist. In die Fähigkeit, einem anderen bewertungsfrei zuzuhören. In die Möglichkeit, Prioritäten und Grenzen zu setzen. In die Chance, Herausforderungen als solche zu betrachten und nicht als Zumutung. Durch Los-, Weg- oder Zulassen kann kreative Kraft entstehen und letztlich eine Haltung, die Dinge des Lebens sportlicher zu nehmen. In dem Sinne kann es nicht schaden, sportlich zu sein und alle Bewegungen bewusst auszuführen. Das heißt, auf das „Wie“ des
Tuns zu achten.

3. Rückzug: Sich immer mal ausklinken

Wie wichtig Momente des Innehaltens sind, zeigt sich, wenn wir abseits von Aktivitäten – oder Aktionismus – und vielen Leuten zur Ruhe kommen. Solche Rückzüge eignen sich für Entspannung und Reflexion. Die Art und Weise, ob und wie sich jemand mit sich beschäftigt, ob man sich mag und akzeptiert, ist wichtig für den Wunsch zu entstressen und sich gesund und munter zu fühlen.

Wer sich von Zeit zu Zeit zurückzieht und für einige Stunden, Tage oder auch Wochen die Abgeschiedenheit in der Natur sucht, kann konzentriert Gedanken sammeln, an einem Problem oder einer Aufgabe arbeiten, gute Selbstgespräche führen. Oder in „ruhiger Wachheit“ abwarten, bis sich Erkenntnisse von selbst einstellen. Je harmonischer die Umgebung ist, umso besser. Das Ergebnis solcher Erfahrungen ist ein Mehr an Kraft und Klarheit. Und ein gelassener machendes Wissen, auch allein sein zu können.

Mehr: Die wichtigsten Warnsignale und wie Sie Stress abbauen und zu mehr Gelassenheit finden können, lesen Sie in unserem Dossier zum Thema Stress.

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