Antiquariatsmessen Seltene Schätzchen

Das zweite Heft wurde 1907 für die Wiener Werkstätte gestaltet.
Stuttgart Gemälde sind immer Unikate, Bücher fast nie. Das ist die Krux der Antiquare – sie müssen Preise finden und rechtfertigen für Objekte, die einen kaum objektivierbaren Wert haben. Ein traditionelles Mittel der Preisfindung ist die Messe, auf der verschiedene Anbieter oft gleiche oder ähnliche Waren anbieten. Als etabliertes Duo sind die Antiquariatsmesse in Stuttgart (64 Aussteller) und die Antiquaria in Ludwigsburg (54 Aussteller) eine wichtige Referenz für den deutschsprachigen Raum.
Wie in allen Bereichen, ist jedoch auch auf dem Markt für alte Bücher und Graphik das Internet ein Konkurrent, der das eingespielte Gefüge durcheinanderbringt. Beliebigkeit, Kriterienlosigkeit und kaum überprüfbare Behauptungen erschweren erfahrenen Sammlern wie Einsteigern die Orientierung. Wenn etwa die einschlägigen Internetportale für antiquarische Bücher für den Suchbegriff „selten“ sechsstellige Ergebnisse ausgeben, werden die Schwächen des virtuellen Marktes augenfällig.
An genau diesem Wort und seiner inflationären Verwendung durch seine Standeskollegen hat der Hildesheimer Antiquar Lothar Hennighaus seine „überfällige Polemik“ festgemacht, die er im Selbstverlag herausgegeben hat und sowohl online wie in Stuttgart anbietet: „Für ‚selten’ lassen sich keine Zahlen angeben. Der Begriff darf bei antiquarischen Büchern nur gebraucht werden im Vergleich und in Bezug zu einem Referenzrahmen/Ereignishorizont, der sich durch den Autor, den Verlag, das Alter, die Auflagenhöhe der Originalausgabe, die spezifische Geschichte, den Census, das Marktvorkommen, den Benutzer und die Besonderheiten des Titels definiert.“ Mit einem Preis von zwölf Euro reiht sich das hübsch gemachte Büchlein am unteren Ende der Preisskala ein – trotz seiner augenzwinkernd auf 199 Exemplare limitierten Seltenheit.

Für die Illuminationen des Münchner Meisters der Legenda Aurea, entstanden 1425 bis 1450, werden 880.000 Euro veranschlagt.
Ohnehin schon Seltenes wird noch rarer, wenn eigenhändige Ergänzungen hinzukommen, wie bei den beiden (einzigen erschienenen) Programmheften des berühmten Wiener Kabaretts „Fledermaus“, von denen eines ein künstlerisch begabter Besucher, wahrscheinlich der Secessions-Künstler Josef Anton Engelhardt, während der Vorstellung mit Bleistiftskizzen versehen hat. Daniela Kromp aus München bietet die beiden Höhepunkte Wiener Buchkunst zusammen für 40.000 Euro an.
Selten darf ruhigen Gewissens „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ von Lucas Cranach dem Älteren genannt werden, den C.G. Boerner aus Düsseldorf mitbringt, sind von dem Holzschnitt im zweiten Zustand doch weniger als ein Dutzend Drucke nachweisbar (130.000 Euro).
Einzigartigkeit hingegen dürfen die illuminierten Handschriften für sich beanspruchen, die Heribert Tenschert aus Ramsen in der Schweiz regelmäßig präsentiert; in diesem Jahr ist es ein Stundenbuch aus dem Paris des frühen 15. Jahrhunderts für Jean Troussier, einen bretonischen Adligen. Die 20 Miniaturen stammen vom Meister der Münchener Legenda Aurea, eine etwas spätere Darstellung des Fegefeuers vom Meister von Dunois (880.000 Euro).
Rar, bedeutend und inhaltlich wenig rühmlich ist der Brief Martin Luthers an den Propst der Berliner Nikolaikirche aus dem Jahr 1543, in dem der Reformator gegen die Juden wettert. Inlibris aus Wien und Kotte Autographs aus Roßhaupten bieten das Schriftstück an ihrem Gemeinschaftsstand auf der Antiquaria für 450.000 Euro an. Preislich und zeitlich sticht ihre Offerte etwas heraus aus dem übrigen Angebot, das in Ludwigsburg durchschnittlich jünger und preiswerter ist als das der Schwester in Stuttgart.
So bietet hier das Antiquariat Johann Anton Schantl aus Wien das zweite Programmheft der „Fledermaus“ allein für 9.000 Euro an. Meistereinbände der Wiener Werkstätten gibt es ebenfalls, wie einen roten Ledereinband von Josef Hoffmann für 10.000 Euro.
Neben den Bereichen Geografie und Graphik finden sich auf der Messe auch Kuriositäten wie Miniaturgloben ab 380 Euro bei Kunsthandel Brugsch und Lehmanns Colonialwaren aus Berlin oder alte Spiele wie „La bonne aventure de la petite Bohèmienne“, ein magnetisches Wahrsagespiel aus Frankreich bei Cartorama aus Ediger-Eller an der Mosel für 490 Euro.
Mit dem Antiquaria-Preis für Buchkultur wird in diesem Jahr der Mainzer Verlag Hermann Schmidt gewürdigt. Dessen „Werke zeigen, dass auch in der digitalen Welt Gestaltung, Typografie und Illustration auf höchstem Niveau tradiert und weiterentwickelt werden können“, so die Jury in ihrer Begründung. Das Preisgeld beträgt 10.000 Euro.
Die Antiquaria in der Musikhalle Ludwigsburg läuft noch bis Samstag, den 27.1., geöffnet am Fr., den 26.1. von 11 bi 19 Uhr, am Sa., den 27.1. bis 17 Uhr; die Stuttgarter Antiquariatsmesse im Württembergischen Kunstverein, Stuttgart, läuft bis Sonntag, den 28.1., geöffnet am Fr., den 26.1. 11 bis 19:30 Uhr, Sa., den 27.1. bis 18 Uhr, So., den 28.1. bis 17 Uhr.
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