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Anton Lorenz Die Geschichte des Mannes hinter den Bauhaus-Stühlen

Anton Lorenz agierte als Lizenzhändler von Stahlrohrmöbeln. Zum Bauhaus-Jubiläum schlägt ein Museum das kaum bekannte Kapitel der Wirtschaftsgeschichte auf.
05.04.2019 - 10:59 Uhr Kommentieren

Weil am Rhein „Diese metallmöbel sollen nichts anderes als notwendige apparate modernen lebens sein“, verkündete der Bauhaus-Entwerfer Marcel Breuer 1927 noch ziemlich verhalten. Dabei revolutionierten die Entwürfe aus Stahlrohr gerade die Möbel-Geschichte. Einen Stuhl ohne Hinterbeine, wie ihn ein Jahr zuvor der holländische Architekt Mart Stam entwickelt hatte, war zuvor undenkbar. Breuers B3, genannt „Wassily“, Mies van der Rohes Freischwinger MR10 oder Stams Stuhl S43 sind Klassiker des Alltags geworden – bis in unsere Tage.

Im Vitra Design Museum in Weil am Rhein erzählen sie momentan eine andere Geschichte als die von den bahnbrechenden Bauhaus-Ideen. Die Ausstellung „Anton Lorenz. Von der Avantgarde zur Industrie“ beleuchtet ein Stück Wirtschaftsgeschichte, das sich hinter den Kulissen der Bauhaus-Akteure abspielte.

Es ging schon Ende der 1920er-Jahre um Plagiate und Lizenzen, Urheberrechte und Tantiemen. Schlüsselfigur in den Jahren des Aufbruchs und der Experimente war der Ungar Anton Lorenz. Umtriebiger Lizenzhändler, Unternehmer, Manager und auch ein bisschen Designer. Während seiner Jahre in den USA ab 1939 arbeitete er vor allem als Entwickler verstellbarer Möbel wie des Fernsehsessels Barcalounger.

Taktieren mit Patenten

Mit einem Blick in den Warenkatalog der Berliner Metallwarenfabrik Josef Müller fing die Geschichte an. Lorenz war damals Geschäftsführer des Stahlrohrmöbelherstellers Standard Möbel, die Marcel Breuer und der Architekt Kalman Lengyar 1926/27 gegründet hatten. Bei der Konkurrenz, Müller realisierte die Entwürfe von Mies van der Rohe, entdeckte er einen Hocker.

Eindeutig ein Breuer-Entwurf. Lorenz intervenierte, Müller nahm den Hocker aus dem Programm. Die Bedeutung von Musterschutz und Urheberrechten hatte Lorenz spätestens nach dieser Episode verstanden. Aber er war auch einer der Ersten, die das wirtschaftliche Potenzial des neuen Möbeltyps erkannten und daran teilhaben wollten.

Wenige Wochen vor der Gründung seiner eigenen Firma Deutsche Stahlrohrmöbel, kurz Desta, im Jahre 1929 übertrug ihm Mart Stam die alleinigen Nutzungsrechte an seinen Entwürfen. Ein weiterer Schachzug: Als Breuer und Lengyar 1928 Standard Möbel auflösten, beantragte er bereits, wie ein Schreiben von 1928 zeigt, die Übertragung der Breuer-Patente auf Desta.

Seit 1989 besitzt das Vitra Design Museum den Nachlass dieses Mannes, der jahrzehntelang die Schnittstelle zwischen Entwerfern und Produzenten bildete. Vom Schweizer Architekten Le Corbusier hatte er einen Korb bekommen. Alvar Aalto hingegen trug ihm an, in Deutschland Herstellung und Vertrieb seiner stapelbaren Stahlrohrsitze zu übernehmen.

Lorenz war als Lizenzhändler ein geschickter Strippenzieher. Und scheute sich nicht, die Entwürfe seiner Designer zur Verkaufsreife zu führen. In seiner eigenen Schlosserei entstanden Versuchsmodelle, um einen eher steifen Entwurf Breuers zu einem federnden Freischwinger werden zu lassen. Darin sah er „den richtigen Weg für die Ausnutzung der im Werkstoff Stahlrohr ruhenden Kräfte“.

Der Mann war ein umtriebiger Lizenzhändler, Unternehmer und auch Designer. Quelle: Vitra Design Museum, Nachlass Anton Lorenz
Anton Lorenz

Der Mann war ein umtriebiger Lizenzhändler, Unternehmer und auch Designer.

(Foto: Vitra Design Museum, Nachlass Anton Lorenz)

Mies van der Rohe, der schon im September 1927 das Café der Ausstellung „Samt und Seide“ mit federnden Stahlrohrmöbeln ausgestattet hatte, erteilte ihm damals noch eine Absage. Dass es erst in den 1930er-Jahren zur Zusammenarbeit beider kam, erklärt der Mies-van-der-Rohe-Spezialist Wolf Tegethoff im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Mies hatte erkannt, dass Josef Müller den Anforderungen eines internationalen Vertriebs nicht mehr gewachsen war.“ Stahlrohrmöbel bewegten sich auf der Erfolgsschiene.

Lizenz für Mies-Entwürfe

Die Firma Thonet, bei der Mies nun seinen Freischwinger mit den halbkreisförmigen Vorderbeinen herstellen ließ, setzte mit allen produzierten Stahlrohrmöbeln im Jahr 1938 etwa 850.000 Reichsmark um. Das wären heute etwa 2,5 Millionen Euro. Fünf Prozent von dieser Summe forderte Lorenz als Lizenzgebühr für die Mies-Entwürfe.

„Die Ausstellung macht deutlich, dass der Durchbruch des modernen Designs nicht nur von genialen Entwürfen abhing. Genauso wichtig waren Unternehmen, Rechtsfragen, Patente und Produktionsverfahren“, sagt Kuratorin Susanne Graner. 34 laufende Meter Archivakten hat sie ausgewertet.

Die ausgestellten Zeichnungen, Briefe und Werbeprospekte sind nur die Spitze des Eisbergs. Lorenz“ Rolle auf dem Stahlrohr-Parkett ist mit dieser Ausstellung noch lange nicht restlos ausgelotet. Eine dunkle Seite bleibt der Umgang mit den Entwürfen Hans Luckhardts, der zeitweise fest in die Produktion von Desta integriert war. Die Liege LS22 beispielsweise, 1930/31 von Luckhardt entworfen, weist nach dem Verkauf aller Desta-Lizenzen an Thonet als Urheber plötzlich Anton Lorenz aus.

Das Ein-Linien-System des „8239“ von ca. 1931 begeistert Sammler und brachte bei Quittenbaum 28.500 Euro (inkl. Aufgeld). Quelle: Quittenbaum Auktionen
Erich Dieckmann

Das Ein-Linien-System des „8239“ von ca. 1931 begeistert Sammler und brachte bei Quittenbaum 28.500 Euro (inkl. Aufgeld).

(Foto: Quittenbaum Auktionen)

Lorenz“ Erbe wirkt nach. Das Geschäft mit den Reeditionen ist immer noch lukrativ und umkämpft. Die Möbel gelten bis heute als radikal modern und verkaufen sich bis Korea. Die Firma Tecta wirbt damit, dass ihre Modelle ganz nah an den Bauhaus-Entwürfen angelehnt sind. „Wir sind damit aus dem Schussfeld des Plagiats heraus“, sagt Tecta-Geschäftsführer Christian Drescher.

Die Firma Thonet hingegen will gar nicht erst von Reedition sprechen. „Mit Ausnahme der Nachkriegsjahre, in denen Thonet mit dem Wiederaufbau der Produktion und der Deckung des Bedarfs an einfachen Möbeln beschäftigt war, produziert Thonet die Bauhausklassiker seit Ende der 1920er“, teilte Thonet-Co-Geschäftsführer Brian Boyd dem Handelsblatt mit. Die erfolgreichsten Modelle der Firma mit Sitz in Frankenberg sind die Freischwinger von Mart Stam und Marcel Breuer, einst Lorenz-Schützlinge.

Die Euphorie für Bauhausklassiker scheint sich vor allem bei Reeditionen niederzuschlagen. Die Preise auf dem Vintage-Design-Markt hingegen sind relativ bescheiden angesichts der Bedeutung der Objekte.

Ein paar Top-Auktionspreise (inklusive Aufgeld) der letzten drei Jahre: Ein früher Lounge Chair B 35 von Marcel Breuer aus Thonet-Produktion erzielte bei Wright in Chicago 4.500 US-Dollar, Breuers Sitzmaschine B 25, von der nur vier Exemplare bekannt sind, brachte im Dorotheum 27.500 Euro. Und Breuers „Wassily“-Stuhl erlöste bei Christie’s in London 6.900 Pfund. Bei Phillips lag 2014 der Preis für einen Vintage-Freischwinger MR10 von Mies van der Rohe bei 8.600 Pfund.

Wir sind aus dem Schussfeld des Plagiats heraus. Christian Drescher, Tecta-Geschäftsführer

Askan Quittenbaum vom Auktionshaus Quittenbaum wundert sich über die Diskrepanz: „Deutsches Design der Bauhaus-Ära wird international gesammelt, aber eine internationale Dynamik hat sich nicht entwickelt.“ Die 27.500 Euro für Erich Dieckmanns Stahlrohr-Loungesessel 8239 im raffinierten Ein-Linien-System im vergangenen Juni bei Quittenbaum markieren das preisliche Obersegment. Dass Reeditionen die Preise verderben, sieht Quittenbaum nicht.

In Frankreich hingegen investieren Sammler beispielsweise weitaus mehr für Möbel Jean Prouvés, dessen Lizenzen ebenfalls sehr begehrt sind. Seit Jahren legt Vitra einige Stuhl- und Tischmodelle des Franzosen auf. Ulrich Fiedler, Händler und Kenner von Bauhaus-Vintages, sieht eine andere Preisbremse: „Man kann keinen Markt kreieren, wenn man keinen Nachschub hat.“ Breuers Wassily-Chair aus der Frühzeit liegt bei ihm um 70.000 Euro.

Der Kunstmarkt bleibt dennoch am Bauhaus dran, gerade im Jubiläumsjahr. Quittenbaum in München und Grisebach in Berlin setzen im Mai und Juni ihre Auktionen unter das Motto „100 Jahre Bauhaus“. Und Ulrich Fiedler wird im September in einer Ausstellung ausschließlich Objekte präsentieren, die in den Werkstätten des Bauhauses hergestellt wurden.

„Anton Lorenz. Von der Avantgarde zur Industrie“ bis 19. Mai 2019 im Vitra Design Museum.

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