Ausstellung in der Berlinischen Galerie Ferdinand Hodler: Dauergast in den Berliner Avantgarde-Galerien

In diesem extremen Querformat (Ausschnitt), gemalt 1889-1890, nehmen die verschiedenen Ausprägungen des Schlafs von inniger Ruhe bis zum Horror weckenden Albtraum Gestalt an.
Berlin Es ist ein dunkles, symbolgeladenes Werk. Sieben Aktfiguren liegen schlafend hingestreckt auf schwarzem Tuch. Ein Paar ist eng umschlungen, eine Frau krümmt sich im Traum, ein Mann wirkt im Schlaf ganz entspannt, eine Dreiergruppe bildet schlummernd eine Einheit. Die Bildmitte besetzt eine schwarz vermummte gespenstische Gestalt, vor der ein Liegender entsetzt zurückweicht. Es sind die verschiedenen Ausprägungen des Schlafs von inniger Ruhe bis zum Horror weckenden Albtraum, die in „Die Nacht“ Gestalt annehmen.
Ferdinand Hodler, seit hundert Jahren einer der populärsten Maler der Schweiz, hatte seinen künstlerischen Durchbruch in Berlin. Das dokumentiert eine Hodler-Schau in der Berlinischen Galerie, die über 50 vorwiegend aus Schweizer Museen stammende Werke zusammenführt.
In einer deutschen Retrospektive 1999 waren die Katalogautoren noch davon ausgegangen, dass Hodlers Nobilitierung 1891 über den Pariser Salon du Champ-de-Mars erfolgte, nachdem sein wichtigstes Frühwerk „Die Nacht“ zuvor als gegen die Sittlichkeit verstoßendes Bild aus den Ausstellungssälen des Genfer Frühjahrssalons entfernt worden war.
Das monumentale Gemälde figuriert 1898, nachdem es ein Jahr zuvor die Goldene Medaille I. Klasse im Münchner Glaspalast erhalten hatte, aber auch auf der Großen Berliner Kunstausstellung.
Wenig bekannt ist, dass Hodler in Berlin seinen endgültigen Durchbruch erlebte. Zwischen 1899 und 1914 gehörte er zu den gefeierten Künstler in den Ausstellungen der Berliner Secession. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg war er in nicht weniger als fünf Kunsthandlungen der deutschen Hauptstadt ausgestellt, allen voran als Dauergast im Kunstsalon Paul Cassirer.

Die fünf sitzenden Aktfiguren bewegen Arme und Rumpf wie in einem selbstentrückten Tanz.
An der Stirnwand gegenüber der „Nacht“ zieht das zehn Jahre später entstandene Breitformat „Der Tag“ die Blicke des Besucher auf sich. Fünf auf einer tuchbedeckten Blumenwiese sitzende Aktfiguren bewegen in choreografischer Manier Arme und Rumpf.
Es liegt eine beschwörende Selbstentäußerung und Distanz in diesen körpersprachlichen Posen – so als blende und verspanne sie die Tageshelle. Ein ähnlich ausdrucksstarkes allegorisches Gemälde ist die „Heilige Stunde“. Vier Frauen sitzen in verdrehter Pose in einem Rosenhag. Die Blicke der außen Sitzenden sind dominant auf den Betrachter gerichtet, die beiden Hauptfiguren schauen verinnerlicht.
Eine gewisse Verkrampfung ist zwar allen eigen. Sie ist aber malerische Momentaufnahme eines mit markanter Körpersprache verbundenen Ritus, wie ihn der rhythmisch-expressive Ausdruckstanz pflegte.

1904 entstand diese markante Landschaft unter lichtem Wolkenhimmel (Ausschnitt).
Das Gemälde, von dem es auch Fassungen mit nur einer Sitzfigur gibt, wurde 1995 bei Kornfeld in Bern für 2,5 Millionen Schweizer Franken zugeschlagen. In den letzten zehn Jahren waren es vor allem die Landschaftsgemälde Hodlers, die weit höhere Preise erzielten: etwa eine Montanalandschaft von 1915, die 2013 bei Sotheby’s in Zürich 8 Millionen Schweizer Franken brutto erlöste.
Berühmte Sujets wie „Der Mäher“ und „Der Redner“ fehlen nicht. Die Berliner Schau ist aber auch reich an Porträts, die zum Teil gut bezahlte Auftragswerke waren. Zwar ist hier keines der Bildnisse der sterbenden Lebensgefährtin Valentine Godé-Darel präsent, die Hodler von November 1914 bis Januar 1915 malte und zeichnete. Aber es gibt ein bewegendes Porträt der sterbenden Augustine Dupin, der Mutter seines Sohnes Hector.
Eine markante Landschaft ist die in sattem Blaugrün gemalte, von hellen Wolkenstreifen durchzogene Ansicht des Thuner Sees im Blick vom Hügel aus, der das Ufer als einen von Spielzeughäuschen umsäumten Halbkreis zeigt.
In die Ausstellung sind Bilder zeitgenössischer Künstler integriert, die neben Hodler in den Secessions-Ausstellungen vertreten waren. Lovis Corinths duftiger Impressionismus im Bildnis seiner Frau Charlotte Berend setzt starke Kontraste zu den kantig konturierten sitzenden Frauen Hodlers; und zwei konträre tänzerische Posen werden in Eugen Spiros „Merline“ und Hodlers Rückenfigur „Fröhliches Weib“ gegenübergestellt.
In blumenreicher Landschaft wie ein Fremdkörper eingesenkt erscheint das Paar in Hans Thomas „Sommer“, während Hodlers Sommerlandschaft mit dem jungen, von Wolkenbündel abgesetzten Kastanienbäumchen wieder als Symbol zu nehmen ist: Landschaft als Lebensraum, der blühend und wachsend erhebt.
Als Hodler 1914 einen Protest Genfer Persönlichkeiten gegen die deutsche Beschießung der Kathedrale von Reims unterzeichnete, wurde er aus allen deutschen Künstlerverbänden ausgeschlossen. Doch das tat seinem Ruhm keinen Abbruch. Die große Ausstellung 1917 im Kunsthaus Zürich mit 606 Werken bestätigte zwei Jahre vor seinem Tod seine Ausnahmestellung im Pantheon der frühen Moderne.
Die Ausstellung läuft bis 17. Januar 2022. Der Katalog im Wienand Verlag kostet 34,90 Euro.
Mehr: Schweizer Künstler Ferdinand Hodler: Der malende Stratege
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