Ausstellungen Die rheinische Galerienszene erwacht zu neuem Leben

Blick in seine Ausstellung „Zugunruhe“ in der Galerie Capitain mit „Holy Water (li.) und „Callao“ (re.). Der in Mexiko lebende Franzose verarbeitet Textilien aus Wischmopps in seinen modernen Tapisserien.
Köln, Bonn Die Erleichterung war riesig, als am ersten Juniwochenende 2021 die Kölner Galerien endlich wieder Besucher ohne Coronatest empfangen durften. Einen überwältigenden Auftritt legt Gisela Capitain mit ihrer Einzelschau Yann Gerstberger hin. Alles glüht von Farbe, und halb abstrakte Formen tanzen auf Wänden, Tapisserien und Collagen. Der in Mexiko lebende Franzose hat in zweieinhalbwöchigem Malfuror ein Gesamtkunstwerk geschaffen, von dem nach Ausstellungsende die Wandteppiche und Collagen übrig bleiben werden.
Mit 38.000 Dollar sind die großen Teppiche ausgepreist. Weder gewebt noch geknüpft setzen sie sich aus den textilen Bestandteilen von Wischmopps zusammen, die auf eine Plane geklebt, übernäht und collagiert wurden. Schöner kann ein Putzlappen nicht enden. 9000 Dollar sollen die kleineren Collagen kosten. Zu sehen sind sie bis voraussichtlich Mitte Juli.
„Seit März 2020 hatte ich geschlossen“, erzählt Thomas Zander, der im Kölner Süden an der Schönhauser Straße seine „Essentials“ auffährt, eine Zusammenstellung herausragender Werke von zehn Künstlern der Galerie. Sie soll während der langen Laufzeit bis 27. August immer wieder neu gehängt werden und damit zeigen, auf welchem Fundament die inzwischen 25-jährige Galeriearbeit steht.
Zander, der seinen Corona bedingten Umsatzausfall mit mindestens 60 Prozent beziffert, nutzte die Zeit. Er stellt die Weichen für die Eröffnung einer Dependance in New York und investierte: in die Produktion neuer Bücher – es gibt in New York keinen Kunstbuchladen, die Website und die Arbeit an seinem Programm, das sich bislang stark auf US-Künstler, und hier besonders auf Fotografen, stützte.
Allein vier Künstlerinnen werden von ihm neuerdings vertreten: die polnische, in England lebende Fotokünstlerin Joanna Piotrowska, die US-Medienkünstlerin Allana Clarke und zwei deutsche Künstlerinnen, die auch an der aktuellen Gruppenausstellung teilnehmen, Sabine Moritz, sie ist verheiratet mit Gerhard Richter, und Christiane Baumgartner.

Mit dem Stecheisen herausgehauen: das Objekt "A flower in trading and profit August 1932" von 2020
Sabine Moritz‘ jüngste, abstrakte Bilder überrumpeln das Auge mit ihrem Reichtum an bewegt und rhythmisch aufgetragenen Farben. Und sie brechen Zanders Programm auf, in dem die Affinität zur Fotokunst und zum minimal Puristischen die Akzente setzt. Für das atelierfrische, über zwei mal zwei Meter große Gemälde „Galateia II“, sind 80.000 Euro angesetzt.
Christiane Baumgartners großformatige Holzschnitte wiederum spiegeln das Interesse des Galeristen an hybriden künstlerischen Arbeitsweisen, die Übersetzungsprozesse in der medial vermittelten Welt zum Thema haben. Dem gerahmt fast drei Meter breiten Exemplar „Storm at Sea“ (2013) liegt eine vom Bildschirm fotografierte Explosion auf See zu Grunde. Kostenpunkt: 32.000 Euro.
Geknittert und gepresst
Geknickt, geknüllt, geknittert und gepresst, geritzt, geschlagen und durchbohrt. Das widerfuhr Papier in den Händen des „Zero“-Künstlers Oskar Holweck (1924–2007). Bei Martin Kudlek sind seine ebenso strukturierten wie zart anmutenden Verletzungen der Oberfläche neu zu entdecken – zu Preisen zwischen 4000 und 16.000 Euro.
An ihrer Seite zeigt Martin Kudlek, der in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert, die Papierobjekte von Jonathan Callan (Jg. 1961). Auch bei dem Briten ist eine gewisse Gewalttätigkeit im Spiel, wenn Callan beispielsweise mit einem Stecheisen ein gefundenes Rechnungsbuch so lange bearbeitet, bis sich über einer Doppelseite eine Blüte erhebt. Das Ergebnis hat, gelb koloriert, ausgesprochenen Charme und ist ein Hingucker. Es kostet 6600 Euro – mindestens bis zur Sommerpause.

Blick in die Ausstellung "daue r" Alex Grein in der Galerie Gisela Clement, Bonn, 2021
Fotografie ist ein Thema – bei Karsten Greve die Herbert Liszt-Schau mit 80 Italienbildern und bei Julian Sander die sozialkritischen Bildnisse von Rosalind Fox Solomon. Und es gibt die ersten Galerieausstellungen mit Non Fungible Token (NFT). Auf den Hype um die Kunst auf Krypto-Basis haben Nagel Draxler und Priska Pasquer jeweils mit einer Gruppenschau reagiert.
Während die vom NFT-Experten Kenny Schachter kuratierte Ausstellung bei Nagel Draxler neben Videobildschirmen Prints und graffitiartige Schriftzüge an der Wand zeigt, findet die „Offshore-Show“ bei Pasquer im digitalen Raum statt, wo sie auf Clubhouse diskutiert, auf digitalen Plattformen gehandelt und mit digitaler Währung bezahlt werden kann. Zehn Prozent der Verkaufserlöse aus dieser Ausstellung will die medienkunstaffine Galeristin an grüne Stromanbieter spenden.

Das 1-Kanal-Video "Aglais io" (2021) gibt es in einer Auflage von 5 Exemplaren.
Für eine interessante medienkünstlerische Position lohnt sich der Abstecher nach Bonn, wo Gisela Clement der Düsseldorfer Künstlerin Alex Grein eine Einzelschau eingerichtet hat. Etwas sperrig, kalt und konstruiert wirkt die Installation „Speicher“, der fototheoretische Gedanken zur Bildwerdung und -auflösung zu Grunde liegen.
Eine fesselnde Reise mit Google Earth versprechen dagegen vier Videoarbeiten im gegenüber liegenden Raum. Protagonist ist jeweils ein in seiner Art bedrohter Schmetterling, der im scheinbaren Flug zu seinem Herkunftsort Regionen überquert, an denen der Mensch in die Natur eingegriffen hat. Wie groß die Flächen sind, die er versiegelte, zerstörte oder verunreinigte, wird erst aus der Vogelperspektive klar. 5.600 Euro kostet die 11-minütige, in 5er-Edition aufgelegte Arbeit ohne technisches Equipment (bis 22. August).
Am Freitag, den 25. Juni veranstalten 20 Galerien und Stiftungen die „Lange Sommer-nacht der K1 Galerien Köln“. Alle sind bis 23 Uhr geöffnet. Zusätzlich bieten sie auch am Samstag, 26. Juni gesonderte Öffnungszeiten von 12 bis 20 Uhr an. Das Programm wird auf Instagram, Facebook und der Webseite k1-galerien-koeln.de angekündigt.
Mehr: Gallery Weekend Berlin: Kunstkauf mit Coronatest
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