Ausstellungsräume: Das große Sterben der kleinen Galerien

In der Kölner Galerie Ginerva Gambino stellt Front Desk Apparatus aus New York Werke von Heinz Grappmayr, Willem Oorebeek und Seth Price aus.
London. Die in Berichten zirkulierenden Zahlen über das florierende Wachstum des Kunstmarktes speisen sich vor allem aus Auktionsergebnissen und lassen oftmals übersehen, dass sich eine der wichtigsten Plattformen der Kunstzirkulation schon seit Jahren in der Krise befindet: die klassische Galerie.
Hierbei soll diese als Ort verstanden werden, der sich der Vermarktung, Betreuung, Organisation, sowie Präsentation von Künstlern und ihren Objekten widmet. Im Idealfall führt dies zu einer langjährigen fruchtbaren Symbiose von Künstler, Galerist und Sammler.
Ein Beispiel par excellence im New York der 1960er Jahre war Leo Castelli, der mit seinem Programm die Karrieren einer ganzen Generation amerikanischer Künstler wie Jackson Pollock, Andy Warhol oder Donald Judd kreierte. Oder zeitgleich der legendäre Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela mit Joseph Beuys und Gerhard Richter.
Todesliste im Internet
Dass die Glanzzeit der Programmgalerie zu einem Ende kommt, hat sich bereits im Zuge der Finanzkrise von 2008 abgezeichnet, als es eine Internet-Todesliste von New Yorker Galerien unter dem Titel „R.I.P“ (rest in peace) gab. Bereits hier waren es vor allem Galerien, die sich jüngeren Kunstpositionen widmeten und sich nach der starken Expansion der vorhergegangenen Jahre dem Finanzdruck in der Rezession nicht anpassen konnten.
In den Folgejahren schlossen immer wieder wichtige Programmgalerien, was oftmals allerdings entweder den Nachwehen der Krise, schlechtem Geschäftsgebaren oder persönlichen Entscheidungen zugeordnet wurde. Besonders Galeristinnen — wie zum Beispiel Giti Nourbaksch in Berlin — hatten genug: Sie kündigte 2012 die Schließung ihrer Galerie durch ein YouTube-Video an, in dem sie ekstatisch zu Udo Lindenberg tanzte und einfach nur „Thank you“ sagte. Sie zog Konsequenzen aus dem Filz des Berliner Galeriensystems, eine Entscheidung, die allerdings schon damals auch auf die globalen Veränderungen im Markt hindeutete.
Heute lässt sich die Entwicklung nicht mehr auf Einzelfälle reduzieren. 2017 listete Sarah Douglas für Artnet Schließungen von Programmgalerien seit 2012 auf, und neue Zahlen sprechen von 40 bis 50 Prozent von Galerien, die am Existenzminimum operieren. Jedoch sind mittlerweile nicht nur kleinere Galerien betroffen, spätestens die Pressemeldungen etablierter Galerien wie von Andrea Rosen und nun auch Cheim & Read in New York lassen aufhorchen; hier wird geschlossen, Standort gewechselt, Wirtschaftsmodelle geändert – und das auf hohem Niveau.
Andrea Rosen war eine der führenden New Yorker Galerien, die durch die Repräsentanz des Nachlasses von Felix Gonzales-Torres bekannt wurde. Sie teilt sich diesen nun mit der Galerie David Zwirner und stellt die „Repräsentanz lebender Künstler in einem typischen permanent öffentlichen Raum ein“. Kürzlich verkündete Cheim & Read, ebenfalls ein 25-Jahre alter Mammut der Branche, die unter anderen Joan Mitchell oder Louise Bourgeois bekannt machten, den Umzug in ein „Büro“ an der Upper East Side.
Der Trend nimmt auch London, Berlin oder Zürich nicht aus, von Madrid ganz zu schweigen. Die eskalierende Geschwindigkeit der Entwicklung deutet hierbei auf strukturelle Wandelerscheinungen hin, die sich nicht mehr mit dem Verweis auf steigende Mietpreise und die Folgen der Gentrifizierung allein erklären lassen. Was ist los?
Kommen in fast jedem Einzelfall kumulative Faktoren zusammen, so werden drei Gründe immer wieder zitiert: steigende Fixkosten, neben Mietkosten vor allem auch durch immer mehr Messebeteiligungen. Hinzu kommen das immer geringere Potenzial, mit der Galerie im kleinen Bereich überhaupt ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell generieren zu können und die Aufspaltung des Marktes in den Olymp der global aufgestellten dominierenden Megagalerien à la Gagosian, Pace oder Zwirner — und dem Rest.
Bruce Haines, ehemals Galerist von Ancient & Modern in London, zitiert harte Fakten: „Wir verkauften (als Haines Mayfair) drei Arbeiten aus acht Ausstellungen im Wert von 4.000 bis 15.000 Pfund. Das war für die Lage nicht genug.”
Das Aus für die innovative Erstgalerie
Die Machtkonzentration der Großen darf nicht unterschätzt werden. Sie haben genug Kapital, auf allen Messen zu tanzen und das sich immer schneller drehende Karussell des Marktes global zu bespielen. Andrea Rosen etwa verlor schon vor ihrer Schließung den Fotokünstler Wolfgang Tillmans an Zwirner. Wenn Zugpferde, die vor allem von jüngeren Galerien aufgebaut werden, an größere Galerien wechseln, bedeutet das oftmals das Aus für die risikofreudige, innovative Erstgalerie. Vorbei sind auch die Tage, als Sammler nach dem Neuesten hechelten. Für viele zählt heute der globale Markenname der Galerie auf einer Großmesse mehr als der Name des Künstlers.
Gibt es Auswege aus der Krise? Dass es sich tatsächlich um eine Krise handelt wird immer klarer, weil nun auch Messen selbst die Auswirkungen zu spüren bekommen. Die amerikanische New Art Dealers Alliance (NADA), die seit Jahren hochqualitative Satellitenmessen mit neuen Positionen in Miami und New York betreibt, sagte gerade die nächste New York -Ausgabe ab, da sich ihre Mitglieder Messen nicht mehr leisten können. Aber auch Art Basel, Fiac, Armory und Frieze werben nun durch neue Preismodelle, in denen im Prinzip die großen Galerien mehr als die kleinen zahlen. Die durchschnittlich fünf Prozent, die Galerien so eventuell sparen, erscheinen allerdings wie ein Tropfen auf dem heißen Stein: zu wenig, zu spät?

Ein Detail der Installation „Kierkegaardashian“ im Berliner Projektraum „Lodger“.
Das Interesse an den kleinen Galerien, das auch David Zwirner betont, der eine „Messesteuer“ für Großgalerien fordert, ist hier jedoch auch knallhartes Eigeninteresse. Denn es sind die am Puls der Zeit operierenden kleinen Galerien, die die wichtigen Künstler der Zukunft entdecken und fördern, bevor die Großen sie abkassieren. Im Gespräch mit dem Handelsblatt beschreibt es Dr. Thomas Waldschmidt, Kunstberater und Vorsitzender des Kunstvereins Köln: „Der Druck auf die kleinen Galerien nimmt zu, sie sind ja das Essentiellste und der Urschlamm für den Ausstellungs- und den Kunstmarktbetrieb. Wir brauchen den Urschlamm“.
Natürlich verschwindet die Kreativität nicht, aber sie wird im komplexen Markt schwerer zu finden sein. Spricht NADA von einem kuratierten Begleitprogramm zur Armory anstelle einer Messe oder zeigt der New Yorker Front Desk Apparatus (Beratungsfirma, Projektraum und Brand Agency) als Teil von Okey Dokey in Düsseldorf bei Ginerva Gambino eine Gruppenausstellung, so spürt man den Einsatz der Jungen, in Parallelwelten zu operieren. Da wird von Kooperation und Austausch geredet, von neuen Formen der Vermittlung, von flexiblen Projekten anstelle langjähriger Repräsentanz. Diese sollen als Alternativen zur Misere fungieren.
Neustart ohne Raum
Gerade gründete sich in Berlin das Office Impart, zwei ehemalige Galerieangestellte von Eigen+Art, die alternativ Kunst vermitteln wollen – kuratierte Projekte, Sammlerreisen, Beratungstätigkeit – zugeschnitten auf das individuelle Projekt. In der Zeitschrift Monopolbetonen sie: „Wir starten ohne Raum, wir werden keinen festen Künstlerstamm haben, denken freier über Ausstellungsformate nach und werden viel über Kooperationen arbeiten.“

Auch die Londoner Künstlerin Natalie Dray nahm die Sache in die eigene Hand. Um ihre Werke zu zeigen gründete sie Her Gallery, ein Projekt, das seit einem Jahr immer wieder Orte wechselt und bei dem sie sich und anderen Möglichkeiten gibt, Arbeiten “in einem Raum zu zeigen, in dem Leute Ideen teilen, nachdenken und sich engagieren“. Dass sich das nicht negativ auf ihre eigenen Werke auswirkt, zeigt ihre derzeitige Ausstellung in Blain|Southerns Projektraum „Lodger“.
All diesen Alternativmodellen für die „Post-Galerie“ ist gemein, dass sie vereinzelte Netzwerke bilden, die intern funktionieren und das System hinterfragen, deren Nachhaltigkeit aber noch schwer absehbar und vielleicht auch zweifelhaft ist.
Der Kölner Kunstberater Waldschmidt betont: „Diese Projekte sind sympathisch, aber werden das Problem nicht lösen. Die Frage, wie man sich im lokalen wie auch globalen Kunstmarkt behauptet, dem Wachstum der Megagalerien und deren Dominanz etwas entgegensetzt und einen Markt stärkt, der seit Urbeginn von lokaler Vielfältigkeit lebt, ist zurzeit noch offen.“






