Bettina Flitner Am sechsten Tag im Bordell

Bettina Flitner: "Mein 6. Tag im Bordell", Farbfotografie, 2013. Quelle: Bettina Flitner, laif/Michael Horbach Stiftung, Köln
Köln „Haben Sie einen Feind? Und wenn ja, was würden Sie mit ihm tun, wenn Sie es ungestraft dürften?“ Die Frau mit der Doppelaxt in beiden Händen ist kräftig gebaut, trägt dauergewellte Haare und ausgebeulte Jeans. „Mein Feind ist mein Ex-Mann“, antwortet sie der Fotografin Bettina Flitner, die sie auf der Straße angesprochen hatte. „In meiner Wohnung würde ich den aber nicht umbringen, das gäb’ zuviel Dreck.“
Es ist 23 Jahre her, dass Flitner mit der öffentlichen Zuschaustellung der Fotoserie „Mein Feind“ heftige Reaktionen provozierte. 14 Möchtegern-Rächerinnen ließ sie lebensgroß in Schwarzweiß nebst ihrem viel sagenden Kommentar abziehen. So standen sie auf der Kölner Schildergasse Spalier, wurden beschimpft, bespuckt und beschmiert; das Bild von der Frau, die am liebsten den Papst meucheln würde, sogar kreuzweise mit dem Messer zerschnitten. Mit den anderen lehnt es nun an der Wand in den Kunsträumen der Michael Horbach Stiftung, Schauplatz einer kleinen Retrospektive mit den politischen Arbeiten aus den letzten 25 Jahren.

Mit viel Gespür arrangierte Ausstellungskurator Gérard Goodrow die Werke Flitners. Die Platzierung der Tafeln erinnert daran, dass die Serie "Mein Feind" (1992) einst für eine Präsentation auf der Straße entstand. Quelle: Bettina Flitner, laif/Michael Horbach Stiftung, Köln
Ehemalige Wirkungsstätte von Rosemarie Trockel
Die Stiftung des kunstverliebten Unternehmensberaters, der mit 50 Jahren aus dem Berufsleben ausstieg, gibt es bereits seit dem Jahr 2000, die Ausstellungsräume in der Kölner Südstadt seit Mai 2011. Fünf große Räume und vier Kabinette auf über 1.000 Quadratmetern stehen für Wechselausstellungen und die Bestände der eigenen Kunstsammlung zur Verfügung. Früher residierten hier die Galerie Sprüth Magers und die Künstlerin Rosemarie Trockel.
Immer wieder sorgt Bettina Flitner mit ihrer typischen Kombination aus fotografischem Porträt und Statement für Diskussionen und Nachdenken über Situationen, die sie als Fotografin vorfindet und für bildwürdig erklärt. Die Menschen etwa, die in den heißen Junitagen des Jahres 1990, wenige Monate nach dem Fall der Mauer den ehemaligen Todesstreifen passieren. Unter ihnen eine zierliche alte Dame aus dem Ostteils Berlins, die für Flitner auf einer abgewrackten Eisentreppe posiert und ihr dabei erzählt, dass sie von 500 Mark im Monat lebt. „Früher hat das Essen 30 Pfennige gekostet, jetzt kommt’s aus dem Westen und kostet ab nächste Woche 4 Mark. Dann hör’ ich auf zu essen und spar’ auf die Beerdigung.“

"Ich hab' 500 Mark im Monat. Früher hat das Essen 30 Pfennige gekostet, jetzt kommt's aus dem Westen und kostet ab nächste Woche 4 Mark. Dann hör' ich auf zu essen und spar' auf die Beerdigung."
Bettina Flitner, laif/Michael Horbach Stiftung, Köln
Leser unterstützen alte Dame
Die Veröffentlichung von Flitners schwarzweiß fotografierter „Reportage im Niemandsland“ im Magazin der Süddeutschen Zeitung erzeugte prompte Reaktionen. Zwei Leser überwiesen der alten Dame zu ihren Lebzeiten monatlich so viel Geld, dass sie fortan ohne die Sorge, vor Hunger zu sterben, weiterleben konnte.
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