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BiografieLeonardo da Vinci: Porträt eines Wissensdurstigen
Am 2. Mai ist der 500. Todestag des Universalgenies Leonardo da Vinci. Doch wer war er? Eine Spurensuche mit dem Historiker und Renaissance-Experten Bernd Roeck.
Leonardo. Der Mann, der alles wissen wollte. Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2019, 429 Seiten, 28 Euro
Rom Leonardo war ein ungeheuer neugieriger Mensch, er hat sich interessiert, wie die Natur funktioniert, er wollte Maschinen bauen. Er hat mit Farben experimentiert, damit sie mehr leuchten, er war ein Perfektionist und gleichzeitig Experimentator, und das stand sich oft im Weg.“
Der Historiker Bernd Roeck kennt das Objekt seiner Studien genau. Intensiv hat sich der Renaissance-Spezialist mit Leonardo da Vinci beschäftigt, diesem Universalgenie, „der nicht alles wusste, sondern der alles wissen wollte“. Das ist auch der Untertitel seiner brillant geschriebenen Biografie.
In Rom hält Roeck an diesem Tag den Festvortrag zur Gründung der „Fondazione Leonardo“, der wissenschaftlichen Stiftung des größten italienischen Technologie- und Rüstungskonzerns. Er nannte sich 2017 von Finmeccanica in Leonardo um. Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, in der Ära von Globalisierung, digitaler Transformation und Künstlicher Intelligenz einen Beitrag zu einem neuen Humanismus der Verbreitung von Wissen zu leisten.
Deshalb erinnert sie an den Renaissancemenschen aus Vinci bei Florenz. Das passt. Italien ist sich seiner Vergangenheit durchaus bewusst. Nicht nur das Erbe Machiavellis zählt, mit dem Leonardo befreundet war. In der ersten Reihe sitzt der Premier.
Leonardo: Will alles und kann alles
Maler, Architekt, Forscher, Erfinder, Literat und Naturgelehrter war Leonardo da Vinci. In seinen Aufzeichnungen findet sich das Denken der Renaissance. „Er ist einer, der alles will und alles kann“, sagt Roeck im Gespräch nach dem Vortrag. „Er ist der Mensch des 16. Jahrhunderts, über den wir am meisten wissen.“
Er habe rund 6.000 Blätter hinterlassen, vollgeschrieben mit Texten und Skizzen, „nur völlig ungeordnet“. Er habe immer schon wieder an das nächste Projekt gedacht. „Deshalb sind so viele Fragmente, Texte und Zeichnungen neben- und übereinander wie etwa bei den anatomischen Studien. Das Rätsel ist oft einfacher als die Auflösung“, meint der Historiker.
Es ist das Leonardo-Jahr. Der Künstler, weltberühmt für seine Mona Lisa, die im Louvre hängt, das letzte Abendmahl in Mailand oder die Zeichnung der Idealproportionen des menschlichen Körpers (auf der Rückseite des italienischen 1-Euro-Stücks), wird in diesem Jahr gefeiert wie ein Popstar. Zum 2. Mai, seinem 500. Todestag, starten weltweit und vor allem in „seinem“ Italien Ausstellungen, Kolloquien und Multimediashows.
Leonardo da Vinci
"Studien fuer eine Luftschraube und fuer Flugmaschinen mit fussgetriebenem Mechanismus" (1487/90), gezeichnet 1487/90 mit Feder und Tinte auf Papier. Das Blatt stammt aus dem Manuskript B der Pariser Manuskripte.
(Foto: akg-images / Erich Lessing)
In seinem Buch zeichnet Roeck das Leben des Genies nach, seine kreativen Prozesse, die Experimentierlust, aber auch die Zweifel. Er beschreibt die Lehrjahre in Florenz bei Andrea del Verrocchio, die Zeit in Mailand am Hof von Ludovico Sforza, die Reisen nach Venedig, Rom und Frankreich bis zu seinem Tod 1519 in dem Schloss Clos Lucé in Amboise.
Roeck schaut genau hin, beschreibt das Ambiente, Landschaften, Begegnungen und hat die Originalquellen neu übersetzt, um der Sprache Leonardos gerechter zu werden. So wird aus der Biografie das stilistisch elegante Porträt einer Epoche, der Renaissance, dem „Morgen der Welt“, wie Roeck sein 2017 erschienenes Opus Magnum genannt hat. Für das darauf folgende Leonardo-Buch hat er von einer Forensikerin der Universität Zürich sogar ein Phantombild des Künstlers anfertigen lassen (siehe nebenstehende Abbildung).
„Er war ein heiterer Mensch, ein guter Musiker, eine gepflegte Erscheinung, elegant gekleidet, parfümierte sich mit Rosenwasser und Lavendel“, erzählt der Historiker. Er sei wohlhabend gewesen, und nach heutiger Deutung „ein Dandy, kein struppiger Gelehrter“.
Phantombild von Leonardo
Bartlos mit Locken – so soll der Künstler mit Ende Dreißig ausgesehen haben.
(Foto: Forensisches Institut, Kantonspolizei Zürich und Universität Zürich)
Leonardo sei ohne Zweifel homosexuell gewesen. „Über die Frage hat sich die ältere Forschung entweder in wolkigen Formulierungen verloren, oder sie hat sie gar nicht diskutiert, weil kein Schatten den Glanz des Genies verdunkeln sollte“, schreibt Roeck im Buch. „Heute wird unbefangener mit der Sache umgegangen.“
Leonardo sei in Florenz angezeigt worden, dafür gebe es Belege; „aber zur Zeit der Medici war die Stadt moralisch lax, Schwierigkeiten hatte er dadurch nicht“. Es reichte, vor der Kontrollbehörde, den „Offizieren der Nacht“, ein Geständnis abzulegen und man konnte wieder gehen. Verfolgungen und Inquisition kamen später.
Und es gibt nicht nur den Maler Leonardo. „Er hat einen funktionsfähigen Roboter konstruiert, der die Kinnlade bewegt, und den ersten Computer der Weltgeschichte erfunden. Das ist ein kleines Gefährt, das mit einer Programmierung mit verschieden geformten Holzstücken die Richtung wechselt“, berichtet Roeck.
Erfinder des Prinzips Helikopter
„Er war ein sehr genauer Konstrukteur, konstruierte auch mit Hilfe der Schraube eine Art Helikopter. Der konnte natürlich mangels Motor nicht fliegen, aber er hat das Prinzip erfunden.“ Das gefällt auch den Managern des Leonardo-Unternehmens, schließlich ist der Verkaufsschlager des teilstaatlichen Konzerns ein innovatives Flugzeug, das wie ein Hubschrauber senkrecht startet und dann die Rotoren und Flügel nach vorne kippt.
„Wahrscheinlich wurde der Ingenieur Leonardo weit höher geschätzt und bezahlt als der Maler“, meint Roeck. „Diese waren Handwerker, aber wer Maschinen konstruieren konnte wie er, war angesehen.“ Leonardo sei wohlhabend gewesen und habe mit seinen Maschinen mehr verdient als mit seinen Bildern.
Ausstellungen
läuft ab 16. Oktober die größte und wichtigste Leonardo-Schau des Jahres. Möglichst alle der 14 anerkannten Bilder sollen zu sehen sein, unter anderem auch der „Salvator mundi“.
huldigt Leonardo als innovativem Ingenieur. Das Museum der Universität zeigt 50 technische Modelle und Nachbauten von Maschinenentwürfen nach seinen Zeichnungen (bis 1.12.).
präsentiert im Palazzo Strozzi „Leonardos Lehrer“ (bis 14.7.). Um Kindheit und Jugend geht es im Leonardo-Museum (bis 15.10.), und im Refektorium von S. Maria Novella wird Leonardo als Botaniker vorgestellt.
Im Buch geht es auch um den Leonardo-Hype und um die Legendenbildung. Wie kam es dazu? „Nach Google-Treffern ist er neben Picasso der berühmteste Künstler der Welt“, sagt der Professor augenzwinkernd. „Doch Kern der Sache ist, dass er einiges ganz Außerordentliches geschaffen hat, Vollkommenes wie die Mona Lisa, und anderes, was nur Fragment ist, und man ahnt, was es hätte werden können.“
Die Spannung zwischen der großartigen, vollendeten Leistung und dem Angedeuteten, in das man allerhand hineingeheimnissen könne, das mache die Faszination aus. „Und es ist eine Dimension des Denkens angedeutet, die nahezu einzigartig ist.“
Seit dem 19. Jahrhundert hat Leonardo Schriftsteller und Filmemacher inspiriert, darunter auch Dan Brown. Der amerikanische Autor schrieb mit dem „Da-Vinci-Code“ (auf deutsch „Sakrileg“) einen Weltbestseller, der mit Tom Hanks verfilmt wurde, und in dem die Mona Lisa und die Felsengrottenmadonna eine Schlüsselrolle spielen. Viel Fantasie, meint der Historiker, und ein Händchen fürs Geschäft sind da am Werk.
Mythos als Religionsersatz
„Um die Originalfigur hat sich ein undurchdringlicher Schleier von Mythologien und Spinnereien gebildet. Das ist wie eine Schicht Firnis, die man nie mehr wegkriegt“, erklärt er. „Und vielleicht befriedigt er in einer säkularisierten Welt unsere Sehnsucht nach etwas Metaphysischem. Der Mythos ist Religionsersatz.“
So ranken sich besonders um die Mona Lisa viele Gerüchte. Freud hat über das Bild einen langen Aufsatz geschrieben und darin einen Mutterkomplex Leonardos diagnostiziert. Andere behaupten gar, sie sei ein Mann, vielleicht sein Gefährte Salai. „Mit den Quellen stimmt am ehesten überein, dass sie höchstwahrscheinlich niemand anderes ist als Mona Lisa – Lisa Gherardini, die Gattin des Kaufmanns Francecso del Giocondo aus Florenz“, meint Roeck.
Alle paar Jahre tauchen eine neue Zeichnung oder ein Bild auf, die bei Auktionen Rekordpreise holen. „Dann sind die Summen märchenhaft“, sagt Roeck. So sei es bei der Zeichnung des Heiligen Sebastian, die 2016 in Paris gefunden wurde. Auf 15 Millionen Euro wurde das Blatt geschätzt. Die Versteigerung im Pariser Auktionshaus Tajan soll im Herbst 2019 stattfinden.
Im Louvre von Paris
drängt sich das Publikum vor Leonardos "Mona Lisa". 10 Millionen Besucher kommen jährlich.
(Foto: Photo by Juan Di Nella on Unsplash)
Sicher gebe es auch noch unentdeckte Werke Leonardos. Roeck glaubt aber nicht, dass es Sinn macht, in den Archiven zu suchen. „Das müssen Zufallsfunde sein.“ Und nicht alles, was auftaucht, sei unbedingt von ihm. So gibt gerade das Bild „Christus als Salvator mundi“ Rätsel auf.
Roeck hält es im Gegensatz zu anderen Experten in Teilen für eigenhändig, „nach dem üblichen Prinzip in den Künstlerwerkstätten, dass mehrere daran arbeiteten und es vom Meister veredelt wurde“. Das Gemälde wurde 2017 für 450 Millionen Dollar versteigert und sollte in den Louvre von Abu Dhabi. Doch jetzt ist es verschwunden. „Es wird wohl in Abu Dhabi sein oder in einem Tresor in der Schweiz“, meint der Professor.
Jeder hat sein Lieblingswerk von Leonardo. Seine beiden Favoriten sind „Anna Selbdritt“, die Gruppe mit der heiligen Anna, der Jungfrau Maria und dem Jesuskind vor einer Felsenlandschaft, sowie Johannes der Täufer, „das traumverlorene Bild“.
Beide hängen im Louvre. „Mich fasziniert als Historiker, hinter die Mythologien zu schauen auf die Quellen. Und zu suchen, wie er war“, sagt Roeck. „Leonardo war ohne Zweifel ein ‚homo singularis‘, wie man in der Renaissance sagte. Er dachte ganz groß, und man kann sich wiederfinden in seiner Neugier. Ich hätte mich gern mal mit ihm getroffen zum Gespräch bei einem Glas Chianti.“
Bernd Roeck: „Leonardo. Der Mann, der alles wissen wollte.“ Verlag C. H. Beck, München 2019. 429 Seiten, 28 Euro.
Ebenfalls jüngst erschienen: Kia Vahland: „Leonardo da Vinci und die Frauen. Eine Künstlerbiographie“, Insel Verlag, Berlin 2019; Volker Reinhardt: „Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt. Die Biographie“, Verlag H. C. Beck, München 2018; Walter Isaacson: „Leonardo da Vinci. Die Biographie.“ Propyläen Verlag, Berlin 2018.
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