Biografie über John le Carré Auf den Spuren des Meisterspions

Ab 1964 widmete sich le Carré ausschließlich dem Schreiben.
Düsseldorf Gerade mal eine Stunde hat er sich durch die Unterlagen gewühlt, Dutzende von Boxen voller persönlicher Dokumente, Manuskripte und Briefe erst einmal nur grob gesichtet, als er einen Schatten an der Tür zu dem Archiv bemerkt. Der Mann, dem die Dokumente gehören, steht am Eingang: „Es ist eigenartig, dich hier zu haben und zu sehen, wie du hier in meinem Gedächtnis herumstöberst“, sagt er.
Eigentlich hat er das alles erlaubt und dadurch erst möglich gemacht: John le Carré, Bestsellerautor und Altmeister des Spionageromans, hat eingewilligt, dass Adam Sisman seine Biografie schreibt. Der ehemalige Verleger und Autor, der bereits Bücher über das Leben anderer britischer Persönlichkeiten verfasste, hat Zugang zu dem persönlichen Archiv des inzwischen 84-jährigen le Carré bekommen und ihn mehr als 50 Stunden lang befragen können.
Entstanden ist ein Buch, das sich stellenweise wie einer der Le-Carré-Thriller liest. Doch die Hauptfigur – der Mann, der als David Cornwell im Süden von England geboren wurde und einige Jahre als Agent im Dienste Ihrer Majestät gearbeitet hat – bleibt in vielen Aspekten schemenhaft.
„Ich bin ein Lügner“
Sisman bekommt ihn nicht zu packen. Denn die Skepsis und das Unbehagen, mit denen le Carré seinem Biografen beim Aufeinandertreffen in seinem persönlichen Archiv begegnete und von denen der Autor nach dem Erscheinen der Biografie bei einem Treffen in einem Londoner Café berichtet, lassen sich bei dem Projekt nicht abschütteln. „Es wäre unaufrichtig zu sagen, dass es keine Probleme zwischen uns gab“, räumt Sisman ein.
Wahrscheinlich will sich le Carré, der das Tarnen, Täuschen und Konspirieren in seinen Büchern perfektioniert hat, nicht vollständig öffnen. Vielleicht gibt es auch gar nicht den einen und wahren le Carré. Möglicherweise sind nicht nur in seinen Werken, in denen er viel Persönliches verarbeitet hat, sondern auch in seinem Leben Tatsachen und Fiktion inzwischen zu eng verwoben. „Ich bin ein Lügner, zum Lügner geboren, gezüchtet und trainiert von einer Industrie, die mit Lügen ihr Brot verdient, als Erzähler darin geübt“, hat le Carré mal über sich selbst gesagt.
Zu Beginn der 60er-Jahre hat er mit dem Schreiben angefangen. Damals hat er noch beim britischen Geheimdienst gearbeitet. Der Kontakt hatte sich bereits vorher ergeben, als er in Bern deutsche Literatur studierte und Kommilitonen bespitzelte. „Er hat die Loyalität seinem Land gegenüber über die Loyalität zu seinen Freunden gestellt“, schreibt Sisman.
Fragwürdige Geschäfte
Seinen Durchbruch hatte le Carré 1963 mit dem Buch „Der Spion, der aus der Kälte kam“. Von da an galt er als Chronist des Kalten Krieges. Den besten Spionageroman aller Zeiten hat der Schriftsteller Graham Greene den Thriller genannt. Inzwischen hat le Carré 23 Romane veröffentlicht und einige Verkaufsrekorde aufgestellt. Etwa die Hälfte seiner Thriller wurde verfilmt. Einige der Drehbücher hat le Carré selbst geschrieben.
Sein Biograf Sisman macht keinen Hehl daraus, dass er le Carré bewundert. Bei Tee und Scones redet er über seinen Charme, seine ungemein einnehmende Persönlichkeit, seinen Humor, seine Fähigkeit, andere zu imitieren. Doch das ist nur die eine Seite seiner Persönlichkeit.
Da ist noch die andere – die eines Mannes, der als Kind im Alter von fünf Jahren von seiner Mutter verlassen wurde und der einen Hochstapler und Betrüger zum Vater hatte. Dieser hatte seine beiden Söhne losgeschickt, um etwa Nachbarn und Bekannte zu beruhigen, bei denen er hohe Summen für fragwürdige Geschäfte ergaunert hat.
Es sind diese Erfahrungen, mit denen Sisman vieles im Leben von le Carré begründet: seine Flucht in die Welt der Spionage und Literatur, seine ständige Suche nach Liebe und Anerkennung, sein schwieriges Verhältnis zu Frauen und seine zahlreichen Affären ebenso wie seine Empfindlichkeit gegenüber kritischen Rezensionen, von denen er oft genug behauptet hat, dass er sie nicht liest.
Der Versuch, geheimnisvoll zu bleiben
„Bei aller Sympathie habe ich aber versucht, jenen Eissplitter zu wahren, den laut Graham Greene jeder Schriftsteller im Herzen haben muss“, sagt Sisman über diese gewisse Distanz zum Objekt seines Erzählens. Er verschont le Carré daher nicht vor Dingen, die der Mann lieber nicht über sich lesen würde – etwa Details über eine Dreierbeziehung mit dem Schriftsteller James Kennaway und dessen Frau Susan.
Sisman lässt auch die Ungenauigkeiten und Widersprüche nicht aus, in die le Carré sich reinmanövriert hat – in seinem Versuch, geheimnisvoll zu bleiben. Bei all dem geht der Biograf aber stets zurückhaltend und wohlwollend vor. Er wirft le Carré nie bewusstes Lügen vor. Da müsse ihn seine Erinnerung trügen, schreibt Sisman stattdessen.
Le Carré selbst hat mal über sein Verhältnis zur Wahrheit gesagt: Man müsse ihr manchmal etwas nachhelfen, damit sie überzeuge. Bei einer anderen Gelegenheit sagte er: „Ein Journalist muss die Dinge wahrheitsgetreu wiedergeben. Ein Schriftsteller dagegen ist dafür da, gute Geschichten zu erzählen.“
Rastlosigkeit und Arbeitswut
Sisman versucht, nicht nur die guten Geschichten aus dem Leben von le Carré zu erzählen, sondern auch die wahren, die er mit Hilfe von Archivmaterial, durch Gespräche mit Freunden und der Familie des Schriftstellers rekonstruiert hat. Er schreibt über le Carrés Rastlosigkeit und Arbeitswut, die bis heute anhält. Seine Liebe zu Details und die umfangreichen Recherchen für seine Romane. Darüber, wie le Carré das britische Establishment verachtet. Dass er eher zurückgezogen lebt und den Kontakt zu Freunden und Bekannten nicht pflegt, sobald er sich in ein neues Buchprojekt stürzt. Wie er damit hadert, dass er als Autor von Agententhrillern und nicht von anspruchsvoller Literatur wahrgenommen wird.
Doch einige Aspekte, die zu einer Biografie gehören, lässt das Buch aus. Was hat le Carrés Schreibstil beeinflusst, und wie hat er sich entwickelt? Wie denkt der Mann über bestimmte Wendungen in seinem Leben? Wie geht er damit um, dass er Menschen in seiner direkten Umgebung wie seine erste Frau tief verletzt haben dürfte? Auf all das lässt sich Sisman nicht ein. Er spart auch mit direkter Kritik an le Carré. Doch auch so sprechen die Fakten für sich und zeichnen ein nicht immer schmeichelhaftes Bild.
Kein Wunder, dass le Carré reagiert und schon kurz vor dem Erscheinen der Biografie einen eigenen Memoirenband für Herbst 2016 angekündigt hat.
Adam Sisman: John Le Carré. The Biography.
Bloomsbury
London 2015
672 Seiten
ISBN: 0062106279
17 Britische Pfund