Buchrezension: Kunst entdecken in Bergstiefeln

Lita Albuquerque gibt mit ihrer tiefblauen Kauernden Rätsel auf.
Zürich. Kunst oder Natur? Die Frage stellt sich nicht, wenn man diese Neuerscheinung zur Hand nimmt. Auch der Bergwanderer muss auf anspruchsvolle, zeitgenössische Kunst nicht mehr verzichten. Hier erfährt er, wo Skulptur, Glasmalerei, Installation oder Video zu entdecken sind. Aber auch, wo sich die Kunstfreundin unterwegs stärken und ihr müdes Haupt betten kann.
Die Journalistin Ute Walzl hat ein anregendes Vademecum geschrieben zu zeitgenössischer Kunst in den Alpen, das soeben erschienen ist. Die meisten Kunstorte hat sie in den Schweizer Alpen und in Italien gefunden. Deutschland und Österreich runden die Übersicht nur ab.
Die Kunstwerke sind mal temporär vor großartigem Alpenpanorama in einsamer Natur installiert, mal längerfristig in größeren Gruppen in einem noblen Hotel, einem privaten Museum oder gar einem 500 Jahre alten Stall.
Bob Gramsma hatte 2017 bei der Biennale im Bergell drei ausgediente Zürcher Straßenlaternen in einen Felshang über dem Albinga-Stausee installiert. An einem derart überraschenden Ort lässt sich viel leichter über unsere Energie und Energieversorgung nachsinnen als vor dem PC.
Lita Albuquerque gibt mit ihrer tiefblauen Kauernden Rätsel auf. Warum liegt die Frau auf dem Schlüchtli oberhalb von Tenna im Safiental? Warum ist sie blau? Schwächelt sie oder beschützt sie etwa Berge und Kräuterwiesen? Auf letzteres deutet der Titel „Transparent Earth“.

Ruedi Bechtler beauftragte die filigrane Deckeninstallation für das Hotel Castell in Zuoz.
Auf Kunst stößt der Interessierte in Ute Walzls vergnüglichem Buch aber natürlich auch in Innenräumen. Drei seien hier erwähnt. Da ist zum Beispiel ein altes Grandhotel voll mit Gegenwartskunst. Der Künstler und Kunstsammler Ruedi Bechtler führt das Hotel Castell in Zuoz im Oberengadin seit 1996.
Bechtler hat nicht nur die filigrane Deckeninstallation „Jägerstübli“ aus Zweigen und anderen Fundstücken aus der Pflanzen- und Tierwelt von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger in Auftrag gegeben. Er hat auch ein Video des in jüngster Zeit zu großer Aufmerksamkeit gelangten Julian Charrière angekauft.

Die polnische Kunstsammlerin Grażina Kulczyk hat in Susch ein Privatmuseum eingerichtet, das dreifach verblüfft. Es besteht nicht nur aus einer alten Brauerei, sondern hat unterirdische Ausstellungsräume, die in den Felsen gehauen wurden. Zwei kleine Quellen fließen durchs Museum, ohne der Kunst zu schaden.
Und schließlich lernt selbst der erfahrenste Kunstflaneur im Muzeum Susch noch etwas. Denn Kulczyk rückt vor allem zu Unrecht übersehene Künstlerinnen in den Mittelpunkt. Alles außer gewöhnlich ist auch die spätmittelalterliche Kombination aus Stall, Heuschober und Kühlkeller für die nahe Metzgerei: Die Stalla in Ort Madulain ist fantastische Architektur und zugleich ein herausfordernder Ort für junge Künstler.


Der Finne Jani Leinonen hat in der Stalla Madulain Glasfenster eingesetzt, die mit ihrem billigen Dekor und banalen Devisen wie „Fun“ oder „Love“, die Spaßgesellschaft in Frage stellen. Die bunt wie Konsumwerbung leuchtenden Fenster tragen den Titel „Chapel of Remorse. Kapelle der Reue“.
Auch viele Kunst-Wanderer dürften auf überflüssigen Konsum verzichten, zumindest, solange sie in Bergstiefeln unterwegs sind vorweiten Bergpanoramen, um die Schönheit in karger Landschaft entdecken.
Mehr: Wie man mit NFTs reich werden kann – eine Buchrezension





