Dass der heute 57-jährige Brite die Spitzensportler dieser Welt im Zur-Ruhe-Kommen trainiert, sei vor allem eines gewesen: ein glücklicher Zufall. Aus einer Laune heraus habe er sich in einem Brief bei seinem „lokalen Fußballklub“ vorgestellt, und darauf hingewiesen, wie wichtig guter Schlaf für Spitzenleistungen ist.
Dieser Klub war jedoch nicht irgendein Wald-und-Wiesen-Verein der fünften englischen Liga, sondern Manchester United – und so begann die Karriere des „Schlafcoachs“, wie die Presse Littlehales bald darauf taufte. Es war Littlehales‘ Beharrlichkeit zu verdanken, dass den damaligen Trainier Alex Ferguson die Vorschläge des Matratzenverkäufers tatsächlich interessierten und er ihn nicht vom Spielfeld jagte.
Sein Einsatz bei ManU sprach sich bald auf der Insel herum, und eines Tages wandte sich ein Manager des britischen Fußballverbands an Littlehales mit der Bitte, doch bessere Betten für die Three Lions bei der WM 1998 in Frankreich zu organisieren.
Heute, gut 20 Jahre später, hat Littlehales Teams wie Manchester City oder Real Madrid beraten und für seinen Heimatklub Manchester United sogar den weltweit ersten Schlaf- und Erholungsraum auf dem Trainingsgelände eines Fußballvereins entwickelt.
Aber nicht nur Fußballer hören auf ihn, wenn es um das Thema Schlafen geht: Littlehales hat schon die britische Olympia- und Paralympics-Mannschaft im Ausruhen gecoacht. Er hat Radfahrer aus Malaysia und Teams der US-amerikanischen National Basketball Association (NBA) und der National Football League (NFL) beraten.
Auch Formel-1-Teams wie Mercedes AMG Petronas setzen auf die ausgeklügelten Schlafpläne des Briten – auch wenn für die beiden Fahrer Lewis Hamilton und Valtteri Bottas und ihr direktes Team nicht Littlehales, sondern einer seiner Konkurrenten zuständig ist.
Ein Buch für Spitzenmanager und Spitzensportler
Seine Erfahrungen hat Littlehales in seinem nun auf Deutsch erschienenen Buch „Sleep – Schlafen wie die Profis“ aufgeschrieben. Die Techniken und Ratschläge, die er darin präsentiert, verspricht er, seien für Spitzensportler genauso gültig wie für Spitzenmanager. Regelmäßig ist Littlehales für Vorträge auf Konferenzen gebucht, Unternehmen heuern den Schlafcoach an, wenn sie die Gesundheit ihrer Mitarbeiter verbessern wollen. Namen nennt er hier nicht.
„Ich rede mit diesen Performern über ihre Gewohnheiten, gebe ihnen praktische Tipps und vermittle ihnen die nötigen Fähigkeiten, um ihre Ruhephasen in wissenschaftlich anerkannten Schlafzyklen zu planen und zu nutzen“, sagt Littlehales im Gespräch mit dem Handelsblatt. Als Coach begreift er sich als eine Art Full-Service-Agentur.
Er selbst beschafft seinen Klienten die nötige Ausstattung wie die richtige Matratze (nicht zu fest und nicht zu weich und auf jeden Fall groß sollte sie sein), die richtigen Kissen oder Bettbezüge (jeden Tag frisch gewaschen), schlägt die richtige Schlafposition vor, kümmert sich um eine erholsame Atmosphäre in den Hotelzimmern (so dunkel wie möglich) und kommt, wenn nötig, auch zu einem nach Hause, um sich die individuelle Schlafsituation anzusehen. „Meine Tipps“, sagt Littlehales, „sind für Sie oder mich genauso gültig wie für Cristiano Ronaldo, Victoria Pendleton oder Sir Bradley Wiggins.“
Littlehales kann lange über die Vorteile guten Schlafes schwärmen. Der Schlafcoach ist Verfechter des Prinzips der „Marginal Gains“: der Optimierung zahlreicher Faktoren, selbst wenn es nur um eine klitzekleine Verbesserung geht, die in Summe aber einen großen Unterschied machen können.
Der einstige Trainer des britischen Radsportteams, Dave Brailsford, war einer der Ersten, die diesen Ansatz verfolgten. Nachdem Brailsford die Verantwortung für das bis dahin erfolglose Team übernommen hatte – das von einem Beobachter sogar als Lachnummer verspottet wurde –, begann der Radfahrer, die Leistung seiner Sportler und deren Ausrüstung bis ins kleinste Detail zu untersuchen.
Nick Littlehales:
Sleep – Schlafen wie die Profis
Albrecht Knaus Verlag
München 2018
240 Seiten
6 Euro
Im Windkanal zeigte sich etwa, dass die Fahrräder nicht aerodynamisch genug waren, beim Blick auf die Fahrstrecke, dass Staubkörner auf der Bahn die Performance schmälerten.
Die Räder wurden daraufhin umgebaut, der Boden weiß gestrichen, um kleinste Schmutzpartikel zu entdecken. Die Fahrer waren angehalten, antibakterielle Gels zu benutzen, um Viren abzuwehren – und Brailsford betrachtete auch, wie seine Fahrer nach dem Rennen sich erholten. Und hier kam Littlehales in Spiel.
Der Schlafcoach untersagte dem Team die Nachtruhe in schnöden Hotelbetten und ordnete den Spitzensportlern sogenannte „Sleep Kits“ an. Die transportablen Einzelbetten seien genau auf die Körper der Radfahrer abgestimmt, erklärte Littlehales – und stellte die Kisten vor die kuscheligen Hotelbetten.
Die Fenster in den Zimmern wurden mit schwarzen Mülltüten abgedichtet, sodass kein Licht mehr hineinfiel. Und Littlehales bläute dem Radteam ein, dass es nicht so sehr auf einen, langen Schlafzyklus von sechs bis acht Stunden ankomme, sondern der eigene Schlaf vielmehr in mehrere Zyklen von 90 Minuten unterteilt werden sollte, die auf Wochensicht das individuelle Schlafpensum einbringen müssen.
Wegen der Unterteilung in diese 90-minütigen Einheiten trägt die Philosophie des Briten den Namen „R90 Sleep Recovery Program“. Dieses basiert angeblich auf Schlüsselindikatoren wie der Einteilung in Morgen- oder Abendtypen, der Einführung von beruhigenden Ritualen oder auch der richtigen Ausstattung.
Kleinigkeiten im Alltag helfen, besser zu schlafen
„Das Buch wird Sie zum Nachdenken über Dinge in Ihrem Alltag bringen, die Sie bisher vielleicht noch nie in Betracht gezogen haben“, sagt Littlehales: An was für einem Tisch im Büro sitze ich? Auf welcher Seite des Hotelbetts schlafe ich, wenn ich allein oder mit meinem Partner auf Reisen bin?
Jeder Ratschlag, den man umsetze, könne den Schlaf verbessern, verspricht Littlehales und klingt dabei ein wenig wie ein Reisegruppenleiter einer Kaffeefahrt. „Geben Sie sich jedoch Zeit“, mahnt der Schlafcoach. „Das Team Sky brauchte schließlich auch ein paar Jahre, um die Tour de France zu gewinnen“ – wie beruhigend.
Bei aller Expertise: Ein paar von Littlehales’ Hinweisen auf dem Weg zu einem ausgeschlafeneren Leben – etwa die Tipps, vor dem Schlafen möglichst auf künstliches Licht zu verzichten oder in einem kühlen, dunklen Schlafzimmer zu schlafen – dürften für die meisten Leser keine echten Überraschungen sein.
Auch sind die Erkenntnisse von Littlehales nicht wirklich wissenschaftlich bewiesen, wie er schließlich selbst auf Nachfrage einräumt. Unterhaltsam und kurzweilig sind Littlehales’ Tipps dennoch. Und sie haben ja offensichtlich Erfolg – beziehungsweise tragen zu diesem zumindest bei, wie man an seinem prominenten Kundenstamm sieht.
Wer allerdings erwartet, mit der Lektüre des Buchs endlich zu erfahren, welcher Sportler noch mit seinem Teddy im Arm einschlummert, wer entsetzlich mit den Zähnen knirscht oder wie ein Baumfäller schnarcht, wird in „Sleep“ nicht fündig.
Zwar ergänzt Littlehales seine Tipps mit kleinen Anekdoten und schildert auch anschaulich, wie eine „ziemlich typische Fußballer-Villa“ aussieht. Doch die Hoffnung zu erfahren, was genau auf Cristiano Ronaldos Nachttisch steht, müsse er enttäuschen, sagt er – auch auf explizite Nachfrage des Handelsblatts.
„Diese Sportler vertrauen mir“, sagt er. „Sie gewähren mir Zugang zu einem sehr persönlichen und privaten Refugium, und das Vertrauen darf ich nicht enttäuschen, indem ich ihre Schlafgewohnheiten ausplaudere.“
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