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Bücher über Kaiser Franz Joseph I. Der Letzte seiner Art

Franz Joseph I. regierte das Habsburgerreich von 1848 bis 1916 – so lange wie kein Monarch vor ihm. In seinem 100. Todesjahr tobt ein Deutungskampf um das historische Erbe. War er die unverzichtbare Identifikationsfigur?
10.04.2016 - 11:22 Uhr
Er hatte stets eine Vorliebe fürs Militär, verlor aber alle wichtigen Kriege. Quelle: imago/Leemage
Franz Joseph I.

Er hatte stets eine Vorliebe fürs Militär, verlor aber alle wichtigen Kriege.

(Foto: imago/Leemage)

Düsseldorf Den Militarismus hatte Franz Joseph schon mit der Muttermilch aufgesogen. Bereits als Einjähriger spielte er am liebsten mit dem Holzgewehr. Noch vor seinem zweiten Geburtstag übte er den Gleichschritt. Fasziniert beobachtete das Kind am Fenster der Wiener Hofburg die Wachablösung der Soldaten mit Pauken und Trompeten. Als Dreijähriger kannte er alle Rangabzeichen der Armee. Und mit sieben Jahren erklärte er: „Pulverdampf ist mir der liebste Geruch.“

Zehn Jahre später erlebte Franz Joseph im Mai 1848 seine „Feuertaufe“ in der Schlacht von Santa Lucia – italienische Freiheitskämpfer versuchten vergeblich, sich aus dem Wiener Würgegriff zu befreien. Nach dem Gefecht schrieb er: „Ich habe zum ersten Mal die Kanonenkugeln pfeifen gehört und bin ganz glücklich.“ Im Dezember 1848 bestieg der 18-jährige Franz Joseph I. den Habsburger Kaiserthron – und regierte 68 Jahre lang. Der Öffentlichkeit präsentierte sich der „ewige Kaiser“ fast immer in Uniform.

Franz Josephs lebenslange Vorliebe fürs Militär und sein Wille, die Macht der wankenden Donaumonarchie zu bewahren, sollten der Welt schlecht bekommen. Im Vorfeld seines 100. Todestags am 21. November 2016 heißt es zwar, er stehe für die „gute alte Zeit“. Franz Joseph wird als vom Schicksal gebeutelter Mann gezeichnet, ein gutmütiger Kauz mit Backen- und Schnurrbart, zentrale Identitätsfigur der Monarchie, zu der seine Völker aufschauen konnten. Dieses Bild verzerrt allerdings die historische Wirklichkeit bis zur Unkenntlichkeit. Franz Joseph I. und der deutsche Kaiser Wilhelm II., der ihm Anfang Juli 1914 den geheimen „Blankoscheck“ für den Angriff auf Serbien ausstellte, tragen die politische Hauptverantwortung für den Ersten Weltkrieg – die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Ein mildes Bild vom Kaiser

In der Biografie „Franz Joseph I.“ des Wiener Historikers Karl Vocelka und seiner Ehefrau, der Archivarin Michaela Vocelka, liest sich das zum Teil anders. So wirkt die Einschätzung grandios untertrieben, Franz Joseph sei am Ausbruch des Ersten Weltkriegs „nicht unbeteiligt“ gewesen. Zutreffend ist hingegen das Urteil, nach den tödlichen Schüssen des bosnischen Serben Gavrilo Princip auf Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajewo sei der Kaiser schon wenige Tage später „fest zum Krieg entschlossen“ gewesen. Nach „nervenaufreibenden“ diplomatischen Gefechten erklärte Franz Joseph Serbien dann am 28. Juli 1914 den Krieg. Der apokalyptische Totentanz begann.

Michaela und Karl Vocelka:
Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn. 1830-1916. Eine Biographie.
C.H. Beck Verlag
München 2015
458 Seiten
ISBN: 3406682863
26,95 Euro

Michaela und Karl Vocelka versuchen, ihren Protagonisten in ein mildes Geschichtsbild zu rücken, ohne die Fakten zu verbiegen – ein schon wegen des langen Untersuchungszeitraums mühsames Unterfangen. Franz Joseph herrschte vom 2. Dezember 1848 bis zum 21. November 1916. In seiner Amtszeit sah er 17 US-Präsidenten kommen und gehen, fünf chinesische Kaiser, vier Päpste. Hin und her mäandernd, porträtieren die Autoren einen zwar rückwärtsgewandten, aber pflichtbewussten, gewissenhaften Monarchen.

Viel Platz nimmt das höfische Zeremoniell ein. Bis ins Detail beschreiben sie etwa Franz Josephs Hochzeit 1854 mit seiner bayerischen Cousine Elisabeth, der durch spätere Filme legendären Sisi. Breit ausgewalzt wird dem Leser auch die pompöse Verleihung der Stephanskrone an Franz Joseph 1867 in Budapest dargeboten.

Mit viel Verständnis für den Kaiser und König von Ungarn schildern die Autoren seine amourösen Abenteuer und privaten Schicksalsschläge – von der Erschießung seines Bruders, Kaiser Maximilian von Mexiko, über den Suizid seines Sohns, Kronprinz Rudolf, bis zur Ermordung seiner Ehefrau Elisabeth. Franz Josephs Stoßseufzer: „Mir bleibt doch gar nichts erspart auf dieser Welt!“ scheint das Autorenpaar Vocelka noch heute zu erschüttern. Ihr Buch deutet seine geschichtsmächtige Gestalt streckenweise in eine private Tragödie um.

Orientierungsloser Deutungskampf

Ärgerlich sind die vielen Fehler. So heißt es etwa, Franz Joseph sei von Istanbul „durch die Dardanellen in Richtung Marmarameer“ gefahren – umgekehrt wird eine Schiffsreise daraus. Die mit rund 700.000 Toten angegebene Zahl der „gefallenen“ Soldaten in Verdun ist um fast 400.000 zu hoch gegriffen. Und anders als geschildert war auch Franz Josephs Ministerpräsident Eduard Taaffe kein „Spielkamerad“ und „Jugendfreund“ des späteren Staatsoberhaupts, wie der Historiker Hans-Peter Hye 2012 nachgewiesen hat.

Michaela und Karl Vocelka verfehlen ihr Ziel, die Persönlichkeit des Kaisers in den Mittelpunkt zu stellen, dabei aber die Rahmenbedingungen seines politischen Wirkens nicht zu vernachlässigen. In dem Buch finden sich kaum analytische Erklärungen des Nationalitätenkonflikts, dessen Entschärfung für den Vielvölkerstaat (über)lebenswichtig war. Orientierungslos schwanken die Autoren auch im Deutungskampf um die Verantwortung für den „Weltenbrand“ hin und her. Für eine anspruchsvolle moderne Biografie ist das zu wenig.

Das Gegenteil gilt für Christoph Schmetterers Buch „Kaiser Franz Joseph  I.“ Nüchtern und präzise bettet der Wiener Historiker Franz Josephs Wirken in das Zeitalter der nationalen Einigungsbewegungen ein. Ein Zeitalter, das seinen Vielvölkerstaat – er erstreckte sich von der Lombardei im Westen bis Galizien im Osten, von Böhmen im Norden bis Dalmatien im Süden – existenziell bedrohte. Kontraproduktiv wirkte schon die Niederschlagung des ungarischen Aufstands 1849, bei der Franz Joseph 13 Generäle der Revolutionsarmee als Hochverräter hinrichten ließ. Weil auch in Wien die Revolutionäre geschlagen und alle Rufe nach einer Verfassung erstickt worden waren, regierte der gläubige Katholik erst einmal lange Jahre als neoabsolutistischer Herrscher von Gottes Gnaden.

Schmetterers Werk: Fundierte Analyse

Sein anachronistisches Selbstbild änderte sich auch nicht, als er 1867 den Ungarn Autonomie einräumen musste und die Budapester Verfassung von 1848 wieder in Kraft trat. Das Wiener Parlament erhielt nun ebenfalls Mitwirkungsrechte, de jure verwandelte sich der absolutistische Kaiser in einen konstitutionellen Monarchen. Doch Franz Josephs Gottesgnadentum und der Parlamentarismus vertrugen sich wie Feuer und Wasser. Demonstrativ Distanz wahrend, betrat er das Gebäude des Reichsrats so gut wie nie. 1910 bezeichnete sich der Ewiggestrige selbst als „letzter europäischer Monarch der alten Schule“. Dazu passt sein ausgeprägter Standesdünkel. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, einen einfachen Untertanen anzusprechen.

Christoph Schmetterer:
Kaiser Franz Joseph I.
Böhlau Verlag
Wien, Köln, Weimar 2016
229 Seiten
ISBN: 3205202791
19,99 Euro

Fundiert analysiert Schmetterer die amateurhafte Außen- und Bündnispolitik des Kaisers – am professionellen, auf Ausgleich der Interessen bedachten Otto von Bismarck jedenfalls orientierte sich der Habsburger nicht. Schon im Krimkrieg 1853-1856 düpierte er den Verbündeten Russland durch unterlassene Hilfeleistung. Mit seiner Neutralitätspolitik vergrätzte Franz Joseph das Zarenreich, ohne Großbritannien oder Frankreich auf seine Seite zu ziehen. Im Kampf gegen die italienische Einigungsbewegung stand er seit 1859 auf verlorenem Posten und musste Schritt für Schritt die norditalienischen Besitztümer aufgeben. 1866 erlitt seine Armee im preußisch-österreichischen Krieg eine vernichtende Niederlage – die künftige Hegemonie in Deutschland war zugunsten Preußens entschieden. Nur 1908 konnte er mit Bosnien-Herzegowina ein Gebiet annektieren, was den großserbischen Nationalismus allerdings erst recht befeuerte.

Es wirkt wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass der ins Militär vernarrte Kaiser alle wichtigen Kriege verlor. Letztlich reflektiert Franz Josephs „Pech“ aber nur seine Fortschrittsverweigerung. So stemmte er sich gegen eine Modernisierung der Armee und verhinderte die Einführung neuer Gewehre. Der Angriff mit dem Bajonett erschien ihm „ehrenvoller“. Im Ersten Weltkrieg verursachten Stichwaffen dann 0,1 Prozent der Wunden.

Überzeugend arbeitet Schmetterer Franz Josephs entscheidenden Anteil an der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts heraus: „Dieser Krieg wurde von Kaiser Franz Joseph begonnen. Es war seine Entscheidung, Serbien den Krieg zu erklären“. Durch den Tod im November 1916 blieb es ihm erspart, die Kriegsniederlage und den Untergang des Habsburgerreichs mitzuerleben. Den Part übernahm sein Nachfolger Karl I. Ohne Zweifel ist das Ende der Donaumonarchie aber das Resultat von Franz Josephs fataler Politik.

Seine Gesamtbilanz fällt verheerend aus. Vor allem wegen der vielen Millionen Toten des Ersten Weltkriegs. Bei allem folkloristischen Getue in Franz Josephs 100. Todesjahr sollte das nicht in Vergessenheit geraten.

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