Christie's Onlineauktion Angesehene Kuratorin lässt ihre Privatsammlung versteigern

Die Kunsthistorikerin, Wissenschaftlerin, Ausstellungsmacherin und Buchautorin ist leidenschaftlich der Kunst verpflichtet und immer bereit, ausgetretene Pfade zu verlassen.
Düsseldorf Karin von Maur ist eine echte Kennerin. Die Kunsthistorikerin hat mit geübtem Auge Kunst von Relevanz gekauft: Zeichnungen und Bilder der Klassischen Moderne wie der zeitgenössischen Kunst, die eher subtil denn marktschreierisch daherkommen.
145 Arbeiten ihrer Privatsammlung hat die schon lange pensionierte Stellvertretende Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart Christie’s anvertraut. Die Arbeiten deutscher wie internationaler Künstler werden zwischen dem 11. und 25. Mai in einer Auktion im Netz versteigert. Bisweilen liegen die Schätzpreise konsumfreundlich tief.
Wer den Onlinekatalog durchsieht, spürt die intellektuelle Lust am Sehen und Verstehen, das sichere Erkennen des Besonderen. Karin von Maur ist Kunsthistorikerin, Wissenschaftlerin, Ausstellungsmacherin und Buchautorin, leidenschaftlich der Kunst verpflichtet. Und offenbar immer bereit, ausgetretene Pfade zu verlassen.
Und so kann die breit aufgestellte Privatsammlung mit wenige Jahre zurückliegenden Ankäufen von zeitgenössischer Kunst verblüffen. David Schnells auf 1200 Euro taxierte Radierung „Abkürzung“ und Daniel Richters Leinwandbild verstrahlter Gestalten etwa erwarb die Grande Dame der südwestdeutschen Kunstszene 2010.
Richters unbetiteltes Bild wird auf 12.000 bis 18.000 Euro taxiert. Thomas Ruffs Fotogramm „phg 06.I“ kam 2013 über die Düsseldorfer Obdachlosenhilfe Fiftyfifty in einem 40 x 30 cm Abzug dazu (1000 bis 1500 Euro).
Wer neue Wege beschreitet in der aktuellen Kunst war der Museumsleiterin stets bekannt. Von Maur nahm junge Kunst wahr und wirkte in zahlreichen Gremien von Kunstpreisen mit.

Das „Untitled“ betitelte Leinwandgemälde aus dem Jahr 2005 erwarb die Sammlerin Karin von Maur 2010 in der Galerie Contemporary Fine Arts in Berlin (Ausschnitt).
Marksteine in der wissenschaftlichen Karriere der Karin von Maur sind aber Forschungen, Ausstellungen und Bücher zur Klassischen Moderne, insbesondere aber zum Werk Oskar Schlemmers. Sie gipfeln im1979 veröffentlichen Schlemmer-Werkverzeichnis. Angetan von Schlemmers Haltung zwischen Figuration und Abstraktion erwarb die Sammlerin unter anderem Studien von 1940 für die Villa des Verlegers Dieter Keller.
Damals war Oskar Schlemmer von den Nazis als „entartet“ verfehmt worden, konnte kaum Kunst verkaufen und litt unter Geldmangel. Für den großzügigen Verleger schuf der ehemalige Bauhaus-Meister seine charakteristischen idealisierten Gestalten, die befreit wirken von allen individuellen und zeitgenössischen Beschwernissen (8000 bis 12.000 Euro).
Auch Zeichnungen von Beuys dabei
Die höchste Taxe der Offerte trägt eine nur mit wenigen Kugelschreiberschattierungen gefertigte Zeichnung mit dem Titel „Inaspettatamente“ von Alighiero Boetti. Das Querformat aus der „Biro“-Serie soll 70.000 bis 90.000 Euro bringen. Eine Collage mit zwei Zeppelinhüllen von Hannah Höch aus den Jahren 1927 bis 1929 liegt etwas tiefer. „In der Wüste“ wechselt für einen Preis zwischen 40.000 und 60.000 Euro den Besitzer.
Der Katalog versammelt subtile Zeichnungen und Multiples von Joseph Beuys, aber auch substanzielle Werke von Arnulf Rainer, Anselm Kiefer und Adolf Hölzel. Vorbildlich wie selten benennt der digitale Katalog auch die Galerien, in denen die Sammlerin Werke ankaufte und das Jahr der Erwerbung.

Beuys (neben Karin von Maur) war der einzige lebende Künstler, dem die Staatsgalerie in Stuttgart einen Saal für sich alleine überließ. Der 1984 von ihm selbst eingerichtete Raum ist Ausgangspunkt der aktuell laufenden Ausstellung „Joseph Beuys. Der Raumkurator“.
Christie’s Präsident für Europa, Nahen Osten und Afrika, Dirk Boll, kennt Karin von Maur schon aus seinen Anfängen in der Stuttgarter Niederlassung des britisch-französischen Auktionshauses. Boll beschreibt die Kunsthistorikerin als so knapp wie präzise argumentierende Intellektuelle, die bisweilen streng oder burschikos, aber zugleich humorvoll rüberkam.
Karin von Maur ist eine Insiderin mit sicherem Auge für die Kunst. Eine Wissenschaftlerin, deren Urteil Gewicht hatte. Heute hätte sie vielleicht den Status einer Influencerin.
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