Debatte Ein Film zeigt Wirkung: Kölner Museum will nicht länger Klischees bedienen

Der Künstler tut nur so, als würde er porträtieren. Tatsächlich bedient er eine romantisierende Stereotype. Das im Museum Ludwig in Köln bewahrte Gemälde entstand 1926/27 (Ausschnitt).
Köln „Die wir ‚Zigeuner‘ nennen, bezeichnen sich als ‚Roma‘ – das heißt ‚Menschen‘. Viele von ihnen bekommen Angst, wenn sie das Wort ‚Zigeuner‘ hören. Sie fürchten, alles könnte sich wiederholen.“ Lakonisch klingen die Sätze, mit denen Peter Nestler seinen Film „Zigeuner sein“ einleitet.
Als der Dokumentarfilmer sich gemeinsam mit seiner Frau Zsóka 1970 an die Arbeit machte, sind die Erinnerungen der von ihnen Porträtierten an die Vernichtungslager des „Dritten Reiches“ noch lebendig und die Zustände unfassbar, unter denen sie in Deutschland leben.
In langen Einstellungen lässt Nestler die Roma erzählen: über ein Leben in einer Gesellschaft, die sie sich vom Hals hält, etwa indem sie ihnen keine Chance lässt, legal Fuß zu fassen.
„Ich war auf sämtlichen Gerichten, Polizeidienststellen, man hatte gesagt, ich sollte mich anmelden“, berichtet ein Mann, der als Kind nach der Befreiung aus dem Lager Auschwitz-Birkenau von einem europäischen Land ins nächste abgeschoben wurde. „Ja, anmelden kann man sich. Aber erst mal muss man einen Ausweis haben. Aber einen Ausweis bekommt man nur, wenn man angemeldet ist.“
Der seinerzeit vom schwedischen Fernsehen ausgestrahlte Film „Zigeuner sein“ läuft heute an scheinbar ungewöhnlichem Ort, nämlich im Museum Ludwig in Köln mitten in der Expressionistensammlung (bis 1.3.). Dort hat ihm die Kuratorin Julia Friedrich ein kleines Seitenkabinett reserviert und auf die gegenüberliegende Wand ein einziges Bild gehängt: die 1926/27 entstandenen „Zwei Zigeunerinnen mit Katze“, gemalt von Otto Mueller, der sich selbst auch gern als „Zigeuner-Mueller“ bezeichnete.

Szenenfoto aus dem in Zusammenarbeit mit Zsóka Nestler gedrehten Dokumentarfilm „Zigeuner sein“ aus dem Jahr 1970. Die Ausstrahlung übernahm das schwedische Fernsehsender Sveriges Radio TV.
Das Gemälde, auf dem zwei dunkelhäutige junge Frauen mit entblößten Brüsten an einem Tisch stehen, stand lange im Depot. Dann sah Friedrich das erste Mal den Film Nestlers. „Ich war so schockiert von der eigenen Ignoranz und darüber, dass die Roma 1970 noch so in Deutschland lebten“, erzählte sie auf Nachfrage des Handelsblatts. „Da fiel mir das Bild wieder ein.“
Eine Ausstellung ist aus dieser Begegnung zwar nicht hervorgegangen. Wohl aber eine als „Revision der Sammlung“ deklarierte Neubewertung eigener Bestände. Was klingt, als würde alles auf den Kopf gestellt, ist in Wahrheit das, was ein Museum lebendig erhält, und was letztlich seine Aufgabe ist. Nämlich an vertraut scheinende Werke mit neuen, aktuell aufgeworfenen Fragen heranzugehen. Nur so werden neue Einsichten gewonnen, kann Kunstgeschichte fort- oder sogar neu geschrieben werden.
Ein Beispiel liefert die Gegenüberstellung von Otto Muellers Darstellung der „Zwei Zigeunerinnen mit Katze“ mit dem Gemälde „Zigeunerin II (Ilonka)“ von Max Beckmann, das im Saal nebenan hängt. Während Mueller nur so tut, als würde er porträtieren, tatsächlich jedoch romantisierende Stereotypen bedient, handelt es sich bei Beckmann tatsächlich um das Porträt einer identifizierbaren Frau.
Wie weitere Nachforschungen Friedrichs ergaben, trug das Bild ursprünglich den Vornamen der Frau, „Ilonka“, als Titel. Erst später wurde es in „Zigeunerin II (Ilonka)“ umbenannt.

Das Gemälde hatte der Künstler einst mit dem Vornamen der Porträtierten betitelt: „Ilonka“ (Ausschnitt).
Das Museum Ludwig wird im Fall Beckmann wieder zu dem ursprünglichen Titel zurückkehren. Im Fall Muellers ergänzt die Bildunterschrift lediglich eine längere Fußnote, in der sich das Museum von der rassistischen Fremdbezeichnung „Zigeuner“ distanziert, „die eine seit Jahrhunderten negative und exotisierende Stereotype“ vermittelt. Man könne Werke nicht ändern, jedoch auf „die soziale Gewalt und Unterdrückung, die Kunstwerke spiegeln oder selbst betreiben, hinweisen und in der Präsentation sichtbar machen“.
Als sich Peter Nestler (geb. 1937) vor 50 Jahren vergeblich um eine Ausstrahlung im deutschen Fernsehen bemühte, lebte er bereits seit vier Jahren in Schweden. Hierzulande wurden seine seit den frühen 1960er-Jahren produzierten Arbeiten als „etwas Ärgerliches, Ruhestörendes“ empfunden, weshalb er auswanderte. Heute erntet das Museum Ludwig Anfeindungen, weil es den kulturhistorischen Hintergrund einiger seiner Werke neu sondiert und einfach seine Arbeit tut.
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