Deloitte Kunst-Report Kunst als Anlage bleibt ein großes Thema

Lempertz schlug am 29. November 2019 Emil Noldes Aquarell „Weiße und rote Amaryllis“ unter Taxe bei 65.000 Euro zu.
München Es sind nicht nur ein paar Prozente. Um ein Fünftel sind die weltweiten Auktionserlöse bei Christie's, Sotheby's und Philipps im ersten Halbjahr des Jahres 2019 zurückgegangen im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres. Das berichtet der 6. „Art & Finance“-Report des Wirtschafts- und Finanzberaters Deloitte. Er entstand in Zusammenarbeit mit dem Kunstmarkt-Analysten ArtTactic aus London. Der Report untermauert mit dieser Zahl ein Gefühl, das auch Marktbeobachter in Deutschland im letzten Jahr beschlich.
Die Zeichen für den Kunstmarkt stehen auf Rezession. Und das heißt weniger Umsätze, weniger Dynamik, weniger Vertrauen in einen Markt, der eben noch als permanent wachsende Investitionsplattform galt. Schon im Dezember verkündete das Handelsblatt in seiner gedruckten Ausgabe „Das Ende der Wachstumsspirale“.
Das international agierende Unternehmen Deloitte, das seine Kunstmarktanalysen seit 2011 im Zweijahresrhythmus herausgibt, hält sich nicht lange auf mit dem Wachstumsknick. Für den Report 2019 wurden 54 Privatbanken, 25 Family Offices, 105 Kunstsammler und 138 Kunstexperten befragt.
„Wir sind fokussiert auf die Stimmen und verschiedenen Perspektiven innerhalb des kunstbezogenen Finanzmarktes mit all seinen Erfordernissen und Chancen“, betont Adriano Picinati di Torcello, Global Art & Finance Koordinator von Deloitte Luxemburg im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Um Potenzen im privaten Investmentbereich zu verdeutlichen, greift Deloitte auf unterschiedliche Vergleichsrahmen von bis zu zehn Jahren zurück. Zwischen 2008 und 2018 habe sich das Vermögen der Millionäre und Superreichen verdoppelt. Es stieg auf 68,1 Billionen US-Dollar. Die Umsätze auf dem Kunstmarkt verzeichnen im gleichen Zeitraum nur einen Zuwachs von neun Prozent. In dieser Diskrepanz liege laut Studie eine Marktlücke.
Denn 81 Prozent der gutbetuchten Anleger erwarten ein ganzheitliches Serviceangebot von ihren Vermögensberatern inklusive Anlageangebote im Bereich Kunst. Deloittes Perspektive auf den Kunstmarkt ist dabei rein strategisch. Der Report plädiert für mehr Transparenz, was die Herkunft von Kunst betrifft, und für strengere Regeln.
Das neue Geldwäschegesetz, das seit einigen Tagen in Kraft ist, und die Blockchain-Technologie werden als wichtige Hebel für die Zukunft gesehen, Kunst zu einer lebensfähigen Asset-Klasse zu machen.

Der Liebling aller Kunstanleger in den 1980er Jahren ist heute nicht einfach zu verkaufen: „Blumenkübel im Wannseegarten“ wurde bei Van Ham am 27. November 2019 nicht verkauft. Angesetzt waren 100.000 Euro (Ausschnitt).
Übersehen wird dabei, dass auch die besten Regularien die Kräfte des Marktes nicht aushebeln. Als Anlageobjekte geeignet sind nur Top-Werke von rund 150 Künstlern. Dazu kommen nur wenige sogenannte „emerging artists“, Marktneulinge, die von einer Gruppe von Beratern, Sammlern Kuratoren oder Museen gerade auf den Schild gehoben werden.
Und ab und an wird sogar ein historisch wie ästhetisch außergewöhnliches Sammlerobjekt zu einer möglicherweise rentablen Investition. Diese komplizierte Gruppe von Anlagekunstwerken ist von vielen Faktoren abhängig und großen Schwankungen unterworfen.
Ein Beispiel: Emil Nolde war lange ein Lieblingskünstler der Deutschen. Besonders begehrt waren seine zahlreichen Aquarelle mit leuchtenden Sonnenblumen, Amaryllis und Klatschmohn. Solche Blätter erreichten um 2000 spielend Bruttopreise von 120.000 bis 150.000 Euro. Mittlerweile akzeptiert der Markt die Schätzpreise von 80.000 bis 100.000 mitunter gar nicht mehr, wie jüngst bei Ketterer.
Bei Lempertz fiel kürzlich der Hammer für ein Nolde-Blumen-Aquarell 20 Prozent unter der Erwartung bei nur 65.000 Euro. Auch die Preise für Max Liebermanns impressionistische Bilder seines blühenden Gartens in Berlin-Wannsee treten seit 30 Jahren auf der Stelle.
Handbuch für Anlegerbedürfnisse
Als analytischer Guide über die Verschiebungen des Marktes und deren Hintergründe taugt Deloittes Report nur teilweise. Er ist eher ein Handbuch über derzeitige Bedürfnisse der Anleger und Anforderungen des kunstbezogenen Finanzmarktes. So wünschen sich beispielsweise mehr Anleger sogenanntes „social impact investment“, sprich: wirkungsorientiertem Investment.
Doch auch der Report stellt Vermögensbildung in Zusammenhang mit den großen Entwicklungslinien auf dem globalen Kunstmarkt. Und wenn der Report von einer auf zehn Prozent gewachsenem Risikowahrnehmung in Sachen Kunstinvestition spricht, dann sind folgende Fakten der Hintergrund dazu.
Heftig fiel der Absturz der drei großen Versteigerer Christie's, Sotheby's und Phillips, auf dessen Angaben sich die Studie ausschließlich stützt, im Bereich der asiatischen Kunst aus. Der Report beziffert den Einnahme-Verlust auf 53 Prozent in drei Jahren.
Die Umsätze rutschten von 951 Millionen US-Dollar im Jahr 2017 auf 447 Millionen US-Dollar im 1. Halbjahr 2019. Trumps Handelskrieg mit China, aber auch die auf rund sechs Prozent geschrumpfte Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts der kunsthungrigen Volksrepublik haben ihre Spuren hinterlassen.
Gedämpfte Geschäfte
Aufschlussreich in Bezug auf die gedämpften Geschäfte ist die Gegenüberstellung der Halbjahresumsätze 2018 und 2019 nach Sammelkategorien. Im Bereich Klassische Moderne und Impressionismus haben die drei Multis Christie´s, Sotheby´s und Phillips in den ersten sechs Monaten 2019 mit 1,5 Milliarden Dollar Umsatz rund 830 Millionen Dollar weniger als zuvor erlöst.
Immerhin einen kleinen Satz nach oben von 2,7 Prozent haben den drei Häusern die Versteigerungen von Nachkriegs- und Gegenwartskunst gebracht. Damit setzten sie 2,2 Milliarden Dollar um.

„WANT TO BE YOUR DOG“ fiel im Juni 2019 bei Sotheby's zur Taxe von 3 Millionen bis bis 5 Millionen Pfund durch. Andere Werke mit Schriftbotschaften sind sonst Millionenbringer (Ausschnitt).
Was der Report nicht erzählt: Die jahrelange Niedrigzinspolitik hat viel Geld in den Kunstmarkt gespült und die Preise für Spitzenobjekte hochgetrieben. Sehr viele hochkarätige Kunstwerke hat der Markt abgeschöpft. Doch die Blue-Chip-Ära des Kunstmarktes ist vorläufig vorbei. Eine Rückkehr solcher Top-Werke in den Handels-Kreislauf wird dauern.
Dem Hang von Eigentümern, herausragende Kunst nicht zu verkaufen, steuern die Versteigerer mit einem Anstieg sogenannter ‚Garantiesummen‘ für prestigeträchtige Einlieferungen entgegen. Eine Methode, bei der eine dritte Partei den vereinbarten Preis bezahlt, falls sich kein Käufer im Versteigerungssaal findet. Die Garantie befreit den Verkäufer von der Angst eines Flops.
Rückgänge auch für gefragte Künstler
Die Angst zu Scheitern ist durchaus berechtigt. Denn auch die gefragtesten Künstlernamen erleben Rückgänge. Das große Schrift-Emaille-Bild „WANT TO BE YOUR DOG“ von dem gehypten Maler Christopher Wool fiel beispielsweise im Juni 2019 bei Sotheby's zur Taxe von 3 Millionen britischen Pfund durch. Christie's hat laut Deloitte im ersten Halbjahr 2019 Garantiesummen in Höhe von 636 Millionen Dollar bereitgestellt.
Interessant, für welche Künstler die Hand ins Feuer gehalten wird: Andy Warhol, Mark Rothko, Gerhard Richter oder Peter Doig. Alle gelten als verlässliche Währung auf dem Kunstmarkt. Der Anteil an Werken von Künstlerinnen lag bei den Garantien nur bei fünf Prozent.
Adriano Picinati di Torcello und Anders Petterson, Direktor der auf Kunstmarktanalysen spezialisierten Londoner Firma ArtTactic, haben als Verfasser der Studie vor allem die digitalen und die Service orientierten Geschäftsfelder rund um die Kunst im Fokus.
Laut Report beinhalteten die Anlage-Assets der Vermögenden und Family Offices 2018 Kunst im Wert von 1,7 Billionen Dollar. Und sie prophezeien, das Volumen werde weiterwachsen.
Bis 2023 wird die Zahl der Ultra-Reichen, die jeweils über mehr als 30 Millionen liquider Vermögensmasse verfügen, schätzungsweise um weitere 43.000 Personen steigen. Experten sehen darin ein schlummerndes Potential für den kunstbezogenen Finanzmarkt.
Zu diesem zählt auch das Art Lending. Kunst als Sicherheit für einen Kredit zu akzeptieren, ist bereits seit zehn Jahren ein relevanter Service der Branche. Geschätzt sind derzeit Leihsummen von insgesamt 21 bis 24 Milliarden Dollar im Umlauf.
Erwartungen in das Wachstum
Von den höchst umstrittenen Kunstfonds als vielversprechender Anlageform schreibt der Deloitte Report weniger. Deloitte sieht die Investition in den Kunstmarkt in größerem Rahmen – in der Finanzierung von bestimmten Bereichen des Art selling business wie Kunstmessen oder Verkaufsplattformen und in Start-ups, die sich auf die digitalisierte Abwicklung von Transport, Versicherung und Datenbankverwaltung konzentrieren.
Viel Zukunftsmusik wird hier durchgespielt, wie etwa die sogenannte „fractional ownership“, das anteilige Eigentum an einem digitalen Kunstwerk.
Kunst als Anlage sei gefragter denn je, resümieren die Autoren. Aber ein Knick in der Kurve des Kunstmarktes, der kräftiger ausfällt als der im Jahr 2019, könnte die unternehmerische Laune eintrüben. „Das ist in dem Bereich, den wir analysieren, nicht der Fall und kann nicht verallgemeinert werden“, betont di Torcello. „Unsere Wahrnehmung ist, dass das Volumen an Kunstvermögen – sei es Kunsttechnologie, sozial motiviertes Investment oder Vermögenstransfer – weiterhin wachsen wird.“
Mehr: Weniger Wachstum: Lesen Sie hier, was 2019 den Kunstmarkt bewegte.
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