Deutscher Kulturförderpreis 2018 - Kategorie Kleine Unternehmen Lesung im Brauereikeller

„Hörgang“-Lesung mitten auf der Wiese.
München Beim Münchener „Hörgang“ öffnet die Literatur buchstäblich Türen. Einmal pro Jahr findet diese einzigartige Mischung aus Stadterkundung, Lesung und Party jeweils in einem Viertel der bayerischen Metropole statt. Dann lesen rund 50 Autorinnen und Autoren kurze Texte an den ungewöhnlichsten Orten – in der dunklen Krypta einer Kirche, auf der Dachterrasse eines Schwesternwohnheims, in einem Schrebergartenhäuschen oder im bürgerlichen Wohnzimmer.
Eine Lesung dauert 20 Minuten, dann wandert das Publikum weiter zu einem nächsten Ort. Vier Stunden dauert der Hörgang, vier Kurzlesungen sind in dieser Zeit zu schaffen. Erleben kann man dabei Jungautoren, die ihre ersten Geschichten vortragen, Profis wie Helmut Krausser oder Benedict Wells oder den frühen Münchener Oberbürgermeister Christian Ude. Am Ende treffen sich alle, die mögen, zu einem Fest.
Chance für gute Texte
Hinter dem „Hörgang“ steckt das kleine Unternehmen h+s veranstaltungen, das mit 28 Mitarbeitern im Eventmanagement tätig ist. Beim „Hörgang“ setzt das Unternehmen sein organisatorisches Know-how voll ein, doch Geld verdient es damit nicht. Für diese langfristige Initiative erhält h+s veranstaltungen jetzt den Deutschen Kulturförderpreis 2018 für kleine Unternehmen.
Motor des Projekts ist Otgar Holleschek, in München bekannt für die Partys und Feste, die er seit seiner Studienzeit organisiert, für Kriminalromane mit bayerischer Couleur und für die Organisation des Münchener Kurzgeschichtenwettbewerbs, der nun schon zum 23. Mal ausgelobt wurde.
„Beim letzten Mal hatten wir fast 1.500 Zusendungen“, erzählt Holleschek. „Und da tut es einem schon weh, dass es sehr viele gute Texte gibt, die nicht prämiert werden. Und für diese Texte habe ich nach einer Art Auffangbecken gesucht.“
Da lag es nahe, das Interesse an Literatur mit einem anderen Interesse zu verknüpfen, das Holleschek seit jeher hegt: das an besonderen Orten in der Stadt. „Für unsere Partys haben wir schon immer nach ungewöhnlichen Plätzen gesucht – vom aufgegebenen Flughafen bis zu alten Braukellern“, so Holleschek. „Das Besondere daran ist, dass es oft private und daher normalerweise unzugängliche Orte sind. Private Räume sind immer spannend. Wenn wir anfragen, ob wir dort eine Lesung stattfinden lassen können, erleben wir oft eine große Offenheit.“

Das Vorlese-Projekt "Hörgang" ist eine Attraktion.
Der Eigentümer eines Friseursalons habe ihm einfach den Schlüssel in die Hand gedrückt. Oder jener afghanischstämmige Betreiber eines Omnibusfriedhofs: „Ich habe etwas gebraucht, um ihn von der Idee zu überzeugen. Aber als wir dann mit dem Publikum kamen, hatte er sogar eigens ein Büfett für die Gäste aufgebaut.“
Der jüngste „Hörgang“ führte im Mai durch den Stadtteil Neuhausen-Nymphenburg. Rund 1.300 Zuhörer besuchten dabei 116 Lesungen von rund 50 Autoren an 30 Orten. Zum „Hörgang“ kommen Menschen zwischen 18 und 70 Jahre, und es ist bei Weitem nicht nur das klassische Kulturpublikum, das sich da an den ungewöhnlichen Orten trifft.
Literatische Stadtführung
Für die Firma h+s veranstaltungen ist der „Hörgang“ ein Zuschussgeschäft, wie Holleschek einräumt. „Mit Kosten-Nutzen-Denken kommen Sie da nicht weit“, sagt er. Und dennoch dient es auch der Imagepflege. Ideen, die mit dem „Hörgang“ ausprobiert werden, können in die Angebote für die Kunden eingebaut werden. Und das geschieht auch. „Manchmal bieten wir im Rahmen von Tagungen kleine literarische Stadtführungen an, und das funktioniert sehr gut“, sagt er.
An Ideen für künftige „Hörgang“- Lesungen mangelt es nicht. Das Konzept könnte auch in anderen Städten funktionieren, ebenso auf dem Land. Die kurzen Texte könnten auf einer App versammelt werden, die man im Alltag im Wartezimmer oder in der U-Bahn hören könnte. „Viele Kurzgeschichten sind klassische Wartetexte“, so Holleschek.
So erreicht Literatur ein Publikum, das vor den sichtbaren und unsichtbaren Schwellen des klassischen Kulturbetriebs vielleicht zurückschreckt. „Wir wollen etwas anderes als den formalisierten Kulturgenuss“, sagt Holleschek. „Bei uns darf man auch Bierflaschen mit in die Lesung nehmen.“
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