Doppelausstellung zur Gurlitt-Sammlung Der Wendehals und sein Erbe

Die Hängung im Kunstmuseum lässt die Stilgeschichte Moderne Revue passieren und öffnet zugleich die Augen für die Konsequenzen der Beschlagnahmeaktion Entartete Kunst.
Bern, Bonn Der „Fall Gurlitt“ hat seit November 2013 Medien und Öffentlichkeit, aber auch die Spitzen von Kunst und Politik intensiv beschäftigt. Da waren durch übereifrige bayerische Behörden juristisch höchst umstritten 1.300 Kunstwerke mit der nicht haltbaren Begründung einer Steuerschuld beschlagnahmt und auf „Lost Art“ publiziert worden. Ihr Eigentümer, der unbescholtene, wie ein Eremit lebende Privatier Cornelius Gurlitt (1932 – 2014) aus München, hütete ererbte Gemälde, Zeichnungen und Graphik sein Leben lang wie ein Geheimnis. Der sogenannte „Schwabinger Kunstschatz“ war das Erbe seines Vaters Hildebrand.
Der Kunsthistoriker, Museumsdirektor, Sammler und Händler Hildebrand Gurlitt (1895 – 1956) war eine janusköpfige Gestalt. Einerseits leidenschaftlicher Promoter der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts und ab 1948 erfolgreicher Direktor des Kunstvereins von Düsseldorf, der die im Nationalsozialismus verfemte Moderne zu rehabilitieren trachtete. Und andererseits einer von vier privilegierten Kunsthändlern, die im Auftrag von Adolf Hitler die diskreditierte Moderne gegen Devisen verscherbeln durften. Impressionismus, Expressionismus, Konstruktivismus und die gesellschaftskritische Satire von Dix und Grosz wurden ab 1937 in Museen verboten und in der Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt.
Der „Focus“ ging 2013 beim Schwabinger Kunstfund von einem Milliardenschatz aus, Justiz und Zoll sahen darin vor allem Raubkunst, die NS-verfolgungsbedingt jüdischen Sammlern entzogen worden war. Mit dem nicht pannenfreien Handling des „Kunstfunds Gurlitt“ durch die Behörden wurde klar, dass Deutschland bislang zu wenig Manpower und Mittel in die mühsame, aber moralisch so wichtige Provenienzforschung – die Ermittlung der einstigen Besitzverhältnisse – gesteckt hatte.

Aktuell besteht kein Raubkunstverdacht, doch die Provenienz weist noch Lücken auf.
Mit zusätzlichen Mitteln vom Bund konnten trotz intensiver Recherchen dann doch nur sechs Kunstwerke von insgesamt 1.566 als Raubkunst ausgemacht und den Nachfahren der einstigen Besitzer restituiert werden. Als Einrichtung des Bundes bekam die Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn 2014 den Auftrag, mit einer Ausstellung Licht in den sagenumwobenen Gurlitt-Fund zu bringen. Da das Kunstmuseum Bern Erbin des Nachlasses von Cornelius Gurlitt ist, eröffneten beide Häuser diese Woche die Doppelausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt“. In der Schweiz trägt sie den Untertitel „,Entartete Kunst’. Beschlagnahmt und verkauft“ (bis 4. März 2018), in Bonn „Der NS-Kunstraub und die Folgen“ (bis 11. März).
Warum diese Aufteilung? Um den Schweizern das unverhoffte Erbe schmackhaft zu machen, hat die Bundesregierung massive Unterstützung bei der Provenienzrecherche zugesagt und organisiert. Deren Ergebnis kann immer sein, dass NS-Raubkunst zurückgegeben wird. Diesem Unterfangen widmet sich Bonn und hofft so, über die Nachfahren einstiger Eigentümer lückenhafte Provenienzen klären zu können.
Das Kunstmuseum Bern hingegen beleuchtet den Feldzug gegen fortschrittliche Museen, die der sogenannten „entarteten Kunst“ verlustig gingen. Trotz der riesigen Lücken im Bestand beschlossen sowohl die bestohlenen Museumsdirektoren wie der Alliierte Kontrollrat nach dem Krieg, die „entartete Kunst“ nicht landesweit zurückzutauschen. Noch heute gilt: „Entartete Kunst“ muss nicht mehr restituiert werden. Bern kann die größtenteils brillanten Blätter behalten. Als Zugeständnis an die verworrene deutsche Geschichte will das Kunstmuseum Bern die farbfrisch erhaltenen Papierarbeiten künftig unkompliziert an ihre Herkunftsmuseen ausleihen.
Rund 150 Aquarelle, Holzschnitte und Lithographien sind überzeugend zu Gruppen arrangiert. Farbglühend hängen lange Strecken zu Max Liebermann, Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Otto Dix außen an den Wänden. Sie geben einerseits Einblick in die Stilgeschichte der Moderne. Andererseits machen sie klar, dass die Künstler der Moderne verfolgt oder mit Ausstellungs- und Malverbot belegt wurden und was für Folgen dies hatte. Die Museen, die sie erworben hatten, mussten auf unverfänglichere Themen ausweichen, viele liberal gesinnte Direktoren wurden entlassen. Das erläutern Wandtexte und ein kleiner Ausstellungsbegleiter.

Eine vielsagende Installation, bei der sich der Koffer von Cornelius Gurlitt mit dem überwältigenden Presseecho im Spiegel vereint finden.
Im Inneren des weitläufigen Ausstellungsraums in Bern beleuchten neun Kabinette streiflichtartig die NS-Kulturpolitik und die Entrechtung jüdischer Sammler. Viele Vitrinen erschrecken mit ihrem Inhalt. Hildebrand Gurlitt wandelte sich, nachdem er seine Direktorenposten in Zwickau und Hamburg verloren hatte, zum Kunstjäger. 1938 bewarb sich der Wendehals freiwillig beim Reichspropagandaministerium, um als Nazi-Händler geraubte Kunst im Ausland gegen Devisen zu verkaufen. Erschaudern lässt den Besucher ein fünfseitiger Vertrag zwischen Goebbels und Gurlitt über 4.000 Schweizer Franken. Für diese kleine Summe konnte der NS-Händler geschätzt 100 Kunstwerke erwerben. Selbst ein Laie erkennt, dass für diesen Deal keine Marktpreise zugrunde gelegt worden waren.
Lügen und Ausflüchte
Im Entnazifizierungsverfahren wusch sich Hildebrand Gurlitt rein, weil er sich auf seine jüdische Großmutter und seinen Ämterverlust berufen konnte. Nach 1945 wehrte er Fragen jüdischer Sammler oder Nachfahren zum Verbleib geraubter Kunstwerke ab. Er log dreist, die betreffende NS-Raubkunst sei im Bombenhagel über Dresden in Gurlitts Elternhaus verbrannt.
In Bern hat ein Team um Direktorin Nina Zimmer und Sammlungsleiter Matthias Frehner eine Kunstausstellung mit vertiefenden Inseln zur NS-Barbarei realisiert. In Bonn dagegen hat das Team um Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle, und die Kuratorin Agnieszka Lulinska eine Geschichtsausstellung eingerichtet. Die präsentierte Kunst ist so heterogen in Stil und Qualität wie das Lager eines Händlers, der viele Kunden mit unterschiedlichstem Geschmack bedienen möchte. Den Besucher erwarten Dürers Holzschnitte, Cranach-Tafeln und Frauenporträts, die reine Dekorationsware sind; aber auch gesellschaftskritische Bilder.
Bonn beleuchtet in mehreren Strängen den strategisch organisierten NS-Kunstraub. Ausgangspunkt ist das an Höhen und Tiefen reiche, widersprüchliche Leben von Hildebrand Gurlitt im Kontext der jeweiligen Zeit. Ausgestellt werden Kunstwerke, die nachweislich oder vermutlich mit dem NS-Kunstraub in Deutschland, im besetzten Frankreich und mit dem geplanten Führermuseum in Linz in Verbindung stehen. Verwirrend wird es, wo geraubte oder billig erworbene Händlerware, etwa Marinemalerei oder Stillleben, dazwischen gehängt wird. Gelungen sind indes die Stolpersteine. Sie beleuchten leider knapp die Lebens- und Leidenswege von meist weniger bekannten, verfolgten, oft jüdischen Künstlern, Sammlern, Händlern und Experten.
Martin Wolffson etwa war ein angesehener Hamburger Jurist mit einer musealen Sammlung von Adolph-Menzel-Zeichnungen. Sechs seiner vorzüglichen Blätter fanden sich in Gurlitts Nachlass. Sie waren wegen der Reichsfluchtsteuer unter Wert verkauft worden. In der Ausstellung sind sie ein Augenfänger. Daneben liegt ein Schreibmaschinendurchschlag vom Juni 1938. Darin sichert sich Hitler durch den „Führervorbehalt“ höchstpersönlich den allerersten Zugriff auf „beschlagnahmte Vermögensgegenstände“. Das „Interieur einer gotischen Kirche“ konnte im März 2017 an Wolffsons Nachfahren restituiert werden.
„Fragen nach Restitution und Kompensation, die Suche nach fairen und gerechten Lösungen werden durch den Nachlass Gurlitt auf neue Weise thematisiert“, bilanziert Rein Wolfs. Er sieht, dass die Provenienzforschung nunmehr einen höheren Stellenwert bekommt „in Museen, Kunsthandel und privaten Sammlungen“. Im gemeinsamen Katalog der beiden Ausstellungen fordert der Journalist Stefan Koldehoff weitaus größere Anstrengungen. Denn die Protokolle des staatlich organisierten Kunstraubs haben sich auch im Hinblick auf beteiligte Auktionshäuser, Galerien und Kunsthandlungen erhalten. Sie gelte es systematisch auszuwerten. Cornelius Gurlitt hat dazu nur unfreiwillig den Anstoß gegeben, als er – animiert durch seinen Beraterstab – der Washingtoner Erklärung zustimmte. Die regelt für Museen die Rückgabe von Raubkunst, für Privatsammler ist sie nicht bindend.
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