Galerie Belleparais in München: Ein Ort für das Flüchtige in der Kunst

Im Belleparais verbindet Lachenmann Gegenwartskunst mit Musik und Performance. Sie spricht nicht von einer Galerie, sondern von einem Raum für Kunst.
München In den meisten Galerien hängen die Werke in wohl geordneten Reihen in aseptischen Räumen. Bei Julia Lachenmann im Münchner „Belleparais“ ist alles anders. Da schweben in luftiger Höhe an den Wänden eines früheren Schwabinger Ladenlokals die feinsinnigen Assemblagen der Koreanerin Jiyoun Lee.
Die Arbeiten im Preisbereich zwischen 1500 und 2200 Euro bestehen aus fetzenartiger, rosa PVC-Folie oder aus einer zusammengerollten, klaren Plastiktüte. Innen haben sich ein Käfer und eine Samenkapsel wie in einer Insektentrommel verfangen. Daneben hängt auf einer abgespachtelten Wandfläche ein Kotflügel mit einem wie hingehuscht aufgemalten Goya-Zitat. Das 4900 Euro teure Werk stammt von dem Münchner Maler ValioTchenkow.
„En Passant – Im Vorübergehen“ heißt die aktuelle Ausstellung, in der wie immer einige Objekte im Schaufester präsentiert sind, was typisch ist für das Konzept der 2018 eröffneten Galerie. „Ich verstehe mich als public livingroom gallery, die Kunst weniger kategorisiert, sondern als Zeugnis sensiblen Denkens versteht“, erklärt Julia Lachenmann. Die durchdachte Inszenierung ist Programm. „Ich bin keine White-Cube-Galeristin“, fügt sie hinzu.
Zwischen Galerie, Salon und Labor changiert das „Belleparais“. Ausstellungen sind für Lachenmann ein Weg, die Gegenwartskunst mit anderen Medien zu verbinden. Als Tochter des bedeutenden Komponisten Helmut Lachenmann hat die 55-Jährige eine enge Beziehung zu neuer Musik.
Wie der Dialog aussehen kann, zeigte sie im letzten Herbst. Hier wurde KP Weranis Komposition „Chanson, verwischt“ uraufgeführt. Während die Kontrabassistin Sophie Lücke und die Harfenistin Magdalena Hoffmann das assoziationsreiche Stück spielten, lief Doris M. Würgerts Video „schön“.
Die gesprungene Feder einer Spieluhr treibt darin ein Ballerina-Püppchen in rasendem Tempo hin und her, so dass ihr weißes Kleid nur noch einen unscharfen Lichtschweif vor blauem Hintergrund produziert. Die dingliche Wahrnehmung verflüchtigt sich wie die Töne, die im Raum verhallen. Das Ephemere spielt mit dem Konkreten.

An der Wand im Hintergrund hängt ein Gummidruck von Doris Würgert.
Werke von Doris M. Würgert sind auch in der aktuellen Ausstellung zu sehen. Die Fotografin mit dem Blick für besondere räumliche Situation, deren Thema auch in den Porträtfotografien um das Spannungsverhältnis von Abwesenheit und Präsenz kreist, gehört von Anbeginn zum Galerie-Portfolio.
Im Archiv eines Museums fand Würgert die Inspiration für die gezeigten Stillleben. Auf ihnen erzeugen Aktenschränke, Papierstapel und halb heruntergezogene Jalousien eine Stimmung aus dem Film Noir und Hitchcock-Thriller. Die Preise liegen bei 5700 Euro.
Lachenmanns Künstlerliste besteht weder ausschließlich aus jungen Künstlern noch aus Namen, die im berühmten Kunstkompass wie Anlageempfehlungen gehandelt werden. Mit der Niederländerin Karin Peulen etwa vertritt sie eine erfahrene konzeptuelle Künstlerin. Sie beschäftigt sich mit Rhythmus und bildlichen Klangveränderungen durch das Zusammenspiel von Farbe und Verfremdungen. So auch in ihren gerade gezeigten Künstlerbüchern „Remembering Käthe´s Garden“.
„Es gibt so viele Künstlerinnen und Künstler, die eine ganz besondere Sensibilität und Stimme besitzen und die vom Kunstbetrieb sehr wohl, aber vom Markt weniger wahrgenommen werden“, beschreibt Julia Lachenmann die Herausforderung ihrer Galerie.
Lachenmanns Weg liegt jenseits des Mainstreams. „Und ich spüre, dass ich damit eine Klientel anspreche, der es weniger um Kommerzialität und Künstlerrankings geht als um künstlerisch-geistige Erfahrungen“, bemerkt die Frau, die als frühere Kulturmanagerin und Mitarbeiterin in Galerien einen Sensor für die Qualität von Kunst entwickelt hat.
Zu ihren Sammlern gehören Industrielle ebenso wie Manager und Managerinnen aus der Medienwelt; aber auch Institutionen. In ihrer ersten Ausstellung zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) erwarb das Berliner Futurium die Installation „smiletovoke“ von Alexander Peterhänsel: eine Wahlkabine mit Kamera, die an der Mimik die politische Orientierung zu erkennen glaubt.
Mit „En Passent“ traut sich die Galeristin besonders weit vor in interdisziplinäre Sphären. Es geht ihr um die Unmittelbarkeit und Flüchtigkeit von Kunst. Während das Schaufensterkonzert vormittags am 6. November den Passanten fragmentarische Klangerfahrungen liefert, kann man als Finissage am selben Abend im Livestream die Verschränkung von visuellen und akustischen Bildern per Video erfahren.
Mit Unterstützung der Initiative „Neustart Kultur“ des Bundesministeriums für Kultur konnte das Projekt realisiert werden. Doris M. Würgert und Maximiliane Armann mixen das Streaming aus einem Pool von Bildfiles spontan zum Live-Konzert des Künstlerkollektivs 48nord und HP Weranis in der Münchner Ludwigskirche. Neue Töne für Münchens Galerienszene.
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