Gallery Weekend Berlin Neue Hallen für die zeitgenössische Kunst

Mit den beiden aufblasbaren Großskulpturen eröffnet die Galerie Mehdi Chouakri die Wilhelm Hallen. Foto: Trevor Good, Berlin
Berlin Die 10. „Berlin Art Week“ zeigt die Privatgalerien in bester Verfassung. Nicht nur das Programm der 49 Galerien, die sich zum „Gallery Weekend“ mit ausgedehnten Öffnungszeiten formieren, hat einige Höhepunkte zu bieten. Es gibt auch immer wieder neue Kunsträume, die den Ruf einer sich kontinuierlich verjüngenden Kunststadt fördern. Jüngstes Spielfeld dieser Expansion sind die Wilhelm Hallen in Reinickendorf, ein weiträumiges, im frühen 20. Jahrhundert für eine Eisengießerei gebautes Areal in Backsteinbauten mit Stahlkonstruktion und Sheddächern. Hier ist ein neues Kreativzentrum entstanden für Designer, DJs und Künstler.
Zum Gallery Weekend, das am Sonntagabend endet, zeigen acht Berliner Galerien in den wieder entdeckten Wilhelm Hallen großformatige Werke ihrer Stammkünstler. Die Charlottenburger Galerie Mehdi Chouakri richtet in einem 1000 Quadratmeter großen Hallensegment dauerhafte zusätzliche Ausstellungsräume, Kunstlager, Archiv und Büroräume ein. Die Eröffnung ist für das kommende Frühjahr geplant. Einen Vorgeschmack gibt die Präsentation der aufblasbare Riesenskulptur „ÎÔ“ von Sylvie Fleury, mit der sich die Schweizer Künstlerin nebst ihrer Katze ein ironisches Selbstporträt schuf.
Die bis zur Decke reichende Skulptur gibt einen Eindruck von dem, was man in der Halle C, die für Wechselausstellungen vorgesehen ist, realisieren kann. An deren Stirnwand hat die Galerie Alexander Levy Julius von Bismarcks Installation „Feuer mit Feuer“ aufgebaut: Sie beleuchtet die vernichtende Macht, aber auch die ästhetische Schönheit von Waldbränden.
Von den Arbeiten, die Berliner Galerien in Halle B präsentieren, gräbt sich ein Video von Christian Falnaes in die Erinnerung, das die Galerie PSM beisteuert. Teils in Slow Motion, teils in Echtzeit zeigt es die Beeinflussbarkeit einer Gruppe durch eine Leitperson, die mit leiser Stimme und knappen Gesten die kollektive Dynamik in Gang setzt.
Felsbrocken, auf denen der iranisch-stämmige Künstler Navid Nuur Eisenstaub magnetisch bindet, hat die Galerie Plan B aufgestellt. Eine Wand hat die Galerie Klemm’s mit C-Prints von Wolkenformationen besetzt, in denen Adrian Sauer digitale romantische Wolkenbilder erschafft.

Der verkohlte Baumstamm in der Galerie Max Hetzler bekommt eine Anmutung wie eine Präzisionswaffe. Holzwunden erinnern an die kleinen Flammen spätmittelalterlicher Schnitzwerke.
Foto: def image
Die Macht des Feuers hat auch den amerikanischen Multimedia-Künstler Matthew Barney inspiriert. 19 filigrane Zeichnungen und zwei raumgreifende Skulpturen präsentiert die Galerie Max Hetzler in der Bleibtreustraße bis 6. November. Basis der Skulpturen bilden verkohlte Baumstämme, die in hoch komplizierten Verfahren bearbeitet sind und mit ihren Applikationen die Anmutung ästhetisierter Präzisionswaffen haben.
Die Skulptur „Bore“ besteht aus Holz, weißer Thermoplastik und mehrfarbigem Metall, Das gibt ihrer Drohgebärde eine sinnliche Aura. Die Skulptur „Bole“ ist in traditioneller und digitaler Technik aus angekohltem Holz geschnitzt. Sie erinnert mit ihren aus dem Stamm herauswachsenden Holzwunden, die wie kleine Flammen wirken, an spätmittelalterliche Schnitzwerke. Barney’s Preise liegen zwischen 85.000 bis 3,5 Millionen Dollar.
In Hetzlers Galerie in der Goethestraße hängen bis Ende Oktober großformatige Abstraktionen von Julian Schnabel: expressive gestische Malerei, in der sich wässrige und deckende Formen im Trocknungsprozess intensivieren zu Preisen zwischen 150.000 bis 350.000 Euro.
Das ökologische Problem der Luftverschmutzung ist das beherrschende Thema von Tomás Saraceno, das der Künstler in vier Ausstellungsräumen der Galerie Neugerriemschneider bis 31. Oktober vertieft. Eine vierteilige Papierarbeit visualisiert in dunkler werdenden Punkten auf weißem Papier den Grad der Luftverschmutzung in Paris. Mit gleißendem Lichtstrahl werden im Raum schwebende Staubpartikel sichtbar gemacht.
Aus der Luft Mumbais gefiltert ist schwarzer Kohlenstoff, der Fotodrucke mit den Abbildungen kosmischen Staubs generiert. Im letzten Raum hängen mundgeblasene Glasarbeiten, die die vielsinnige Bedeutung des Atems für die Weltkulturen reflektieren, während in Glaskästen tötende Schmutzpartikel auf feinsten Spinnweben sichtbar werden.

In der König Galerie feiern Skulpturen und Gemälde des Amerikaners die Antike als fiktionale Größe. Und entlarven sie zugleich.
Foto: Roman März
Wer das ehemalige Kirchenschiff in der König Galerie betritt, wird auf Anhieb von antiker Skulptur gefesselt. Bei näherer Betrachtung zeigen sich diese gewaltigen Köpfe, Statuen und Büsten des Amerikaners Daniel Arsham verletzt. In Sockel und Körperteile sind Wunden implantiert, in denen Partikel aus Bodenschätzen wie Quarz, Pyrit und Selenit wuchern.
Die Brust des „Vergöttlichten Rom“, das Knie der Nike von Samothrake und der Hintern der „Venus Callipygos“ tragen solche Verwundungen. So stellt der Künstler klar, dass unser Antikenbild nur ein durch Rezeption und Reproduktion versehrtes Wunschbild ist. In drei überdimensionale Gemälde dringt Licht in archäologische Höhlen auf Monumentalskulpturen. In beiden Kunstgattungen wird das ikonisch Antike als fiktionale Größe zugleich gefeiert und entlarvt. Die Preise für noch verfügbare Werke reichen von 27.050 bis 338.000 Euro. Die Ausstellung läuft bis 24. Oktober.
„Discoveries“ ist eines der Generalthemen dieses Gallery Weekends. In dem nicht immer spannenden Reigen der Jungkünstler, den nicht alle Galerien bestücken, hat Königs „Misa”-Auswahl von 19 meist Dreißigjährigen ein besonderes Gewicht.
Bunt, bunter, noch bunter ist hier die Devise. Die Preise für die frischen Werke liegen meist bei 15.000 bis 21.000 Euro. Mit 51.000 Euro fällt ein mit Goldstaub angereichertes Bild des von Millionen Followern verwöhnten Tim Bengel aus dem jungen Preisgefüge. Zukunftsträchtig sind die ab 5000 Euro gehandelten neo-surrealistischen Zeichnungen des genialen Autodidakten Toni Mahfud und die mit furiosen Kreidespuren bedeckten Acrylbilder der Chinesin Xiyao Wang. Xiyaos Preise reichen allerdings auch schon bis 20.000 Euro für ein ansprechendes Großformat.
Glatt und perfektionistisch wirken die kleinformatigen Gemälde des Pekinger Malers Liu Ye, der für seine farbfrohen Kinderbilder bekannt ist. Die Galerie Esther Schipper widmet ihm bis 23. Oktober eine Einzelschau unter dem Titel „Internationale Architektur“. Hier passieren fast fotografisch wirkende Bauhaus-Gebäude, das erste Bauhausbuch, Seiten aus einem Karl-Blossfeldt-Fotoband und Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ Revue. Gleißend rot und Augen täuschend im Gemälde „Prelude“ ist der Vorhang, den eine winzige Figur aufzieht.
Eine reduzierte Formsprache bis hin zur Abstraktion kennzeichnen die neuesten Werke von Andro Wekua bei Sprüth Magers. Zu sehen sind sie bis Ende Oktober. Die androgyne Figur in einer Zeichnung kontrastiert mit farbkräftigen Gemälden, die in überlagerten Farbschichten den vagen Eindruck von Landschaft vermitteln. Die Preise liegen zwischen 65.000 und 130.000 Euro.
Absolut puristisch erscheinen dagegen die Fotoarbeiten der Konzeptkünstlerin Louise Lawler im Hauptsaal der Galerie SprüthMagers. Es sind ohne künstliches Licht aufgenommene Nachtbilder einer Donald Judd-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art. Sie beschwören eine Ästhetik des Dunkels herauf und entfalten erst bei intensiver Betrachtung ihre innere Kraft. Sie können bis zu 95.000 Euro kosten.

Unter dem Titel "Massen" zeigt das Haus am Lützowplatz eine Einzelausstellung des in Berlin lebenden Österreichers.
Die Wiederentdeckung des Dresdner Konkreten Künstlers Karl-Heinz Adler kann sich die Galerie Eigen & Art auf die Fahnen schreiben. Adler steht für ein serielles Prinzip aus Strahlen, Ellipsen, Dreiecken, in Überlagerungen, Verschiebungen und Wiederholungen. Adlers Konsequenz lässt an Geistesverwandte wie Sol LeWitt oder Josef Albers denken. Wenig erstaunlich, dass seine Werke auch in Amerika Anklang finden und die Preise dieser Ausstellung bis 180.000 Euro reichen.
Nevin Aladag ist die Starkünstlerin der Galerie Wentrup. Bis 16. Oktober widmet die ihr eine Ausstellung, die zu verblüffen versteht. Aladag füllt den Raum mit zehn frisch entstandenen Werken für Preise zwischen 18.000 und 48.000 Euro.
Drei große, farbige Teppichstücke in Rundform wirken hier als Augenfänger. Diese aus Elementen klassischer und neuer Teppiche komponierten „Tondi“ haben, von Weitem betrachtet, das Erscheinungsbild farbfreudiger Glasfenster. Begleitet werden sie von sogenannten Körperinstrumenten: Ein Glockenring, eine geschwungene Eck-Harfe und ein Trommelensemble tragen Musik und Klang ungespielt ins Visuelle. Kunst lehrt ihre Betrachter eben das Staunen, öffnet deren Augen und plädiert für Toleranz.
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