Ketterer Kunst-Auktionen Liquide Sammler sorgen für Rekorde trotz Krise

Der Erlös von 1,68 Millionen Euro mit Aufgeld widerspricht der allgemein sich anbahnenden Expressionismus-Müdigkeit.
München „Lage, Lage, Lage“ heißt es so schön in der Immobilienbranche. Auf dem Kunstmarkt spricht man von „Ware, Ware, Ware“. Diese Branchenregel führte Ketterers Auktion mit Klassischer Moderne, Nachkriegs- und Gegenwartskunst am letzten Wochenende erneut vor Augen.
1,68 Millionen Euro mit Aufgeld erzielte allein Ernst Ludwig Kirchners Gemälde „Unser Haus“ von 1918/22. Ein Erlös, der auch der allgemein sich anbahnenden Expressionismus-Müdigkeit widerspricht. Von Kirchner ist nur diese Darstellung seines Schweizer Wohnhauses bekannt. Sanft und harmonisch bettete er es trotz expressionistischer Malweise in die Landschaft ein. Das Kolorit ist so delikat wie seine Herkunft aus dem Besitz der Kirchner-Nachfahren.
Den Startpreis von 450.000 Euro ließen Schweizer und deutsche Bieter schnell hinter sich. Letztlich erhielt der Münchener Galerist Raimund Thomas den Zuschlag für das teuerste Kunstwerk der Auktion. Er war einer der wenigen Saalbieter. Das meiste spielte sich unter Telefon- und Onlinebietern ab.
Ketterers Live-Parade von 326 Losen ist aber auch ein Indiz dafür, dass der Erfolg einer Auktion nicht nur von Millionenzuschlägen abhängt. Wie bereits berichtet brachten die gut zwei Dutzend Arbeiten aus der Sammlung der Deutschen Bank und rund 30 Kunstwerke aus der Kollektion des familiengeführten Mischkonzerns Haniel Substanz in die Auktion. Im sechsstelligen Bereich prasselte es Rekorde.
Die erste Überraschung lieferte die leuchtend gelbe Komposition „Peinture mescalinienne“ des Franzosen Henri Michaux. Die assoziative Mischtechnik auf Karton aus den 1950er-Jahren machte einen Satz von geschätzten 8000 auf 412.500 Euro. Kurz darauf sorgte eine gestisch-abstrakte Papierarbeit des Wiener Aktionisten Günter Brus für Furore, ebenfalls aus der Sammlung Haniel. Das schwarz gehaltene großformatige Blatt wurde bei 4500 Euro aufgerufen und von österreichischem Handel erst bei 200.000 Euro übernommen.

Das „Schüttbild“ von 1961 setzte mit 600.000 Euro einen neuen Auktionsspitzenpreis für den Wiener Künstler.
Das war nur der Vorgeschmack auf weitere zehn Auktionsrekorde. Nie zuvor war auf einer Auktion eine Übermalung von Arnulf Rainer so teuer wie die 1955/56 entstandenen Leinwand „Schwarze Bemalung auf Braun“. Sie bleibt für 750.000 Euro in Deutschland. Und etwa 15 Minuten dauerte das Bietergefecht um Hermann Nitschs wandfüllendes und von Sprengkraft beseeltes Schüttbild von 1961. Bis ein Österreicher mit 600.000 Euro einen neuen Auktionsspitzenpreis für den Wiener Künstler etablierte.
Von Krise war in dieser Auktion nichts zu spüren. Überhaupt scheint der deutsche Kunstmarkt bisher ohne größere Blessuren durch die bleierne Corona-Pandemie gekommen zu sein. Den Grund für die Super-Preise für Künstler, die nicht unbedingt zu den 100 gefragtesten der Welt gehören, erklärte Robert Ketterer dem Handelsblatt: „Der Druck, liquide Mittel umzuwandeln, ist in Krisenzeiten groß. Und jeder hat die Qualität dieser beiden Sammlungen gespürt. Sammler wollen nicht irgendetwas, sie wollen für ihr Geld das Beste.“
Qualitätvolle Ankäufe zahlen sich aus
Für Haniel wie auch für die Deutsche Bank zahlte sich nun der hohe Standard ihrer Ankaufspolitik aus. Auf dem Kunstmarkt sorgt die Umstrukturierung der Sammlungen wiederum für marktfrische Top-Ware. Die erste Tranche der Deutschen Bank wurde bestens honoriert. Mit 825.000 setzte es für Karl Hofer einen Auktionsweltrekord. Sein Gemälde „Arbeitslose“, das die Weimarer Republik wie kein anderes Bild des Malers gesellschaftskritisch reflektiert, übernimmt zum Nachsehen von Interessenten aus den USA und Deutschland eine Berliner Sammlung.
Ein neuer internationaler Rekordpreis sind auch die 562.500 Euro für Emil Schumachers dichte Komposition „Für Berlin“. Sie wurde gegen Konkurrenz aus Österreich und der Schweiz einem Deutschen zugeschlagen. Das Werk war 1959 auf der Documenta II in Kassel ausgestellt. Es ist die Zeit, in der Schumacher abstrakt zu malen beginnt.

Das gesellschaftskritische Bild verzeichnete mit 825.000 Euro einen internationalen Auktionsrekord. Es wurde in eine hessische Sammlung vermittelt.
„Es ist doch bemerkenswert, dass Künstler wie Hofer und Schumacher, die vor gut zehn Jahren ihren Marktzenit erlebten, jetzt Rekorde erzielen“, reflektierte Robert Ketterer das Geschehen. Für Renée Sintenis fiel wenige Minuten zuvor ein neuer Höchstpreis, bewilligt für ihre hochaufragende Bronze „Große Daphne“ aus der Zeit um 1930. Die anmutige Darstellung verletzlicher Weiblichkeit machte einen Sprung von taxierten 80.000 auf 462.500 Euro. Sie wechselte in eine bayerische Sammlung.
Der Umsatz mit Werken aus dem Besitz der Deutschen Bank beläuft sich nach Informationen von Ketterer auf 4,2 Millionen Euro. Friedhelm Hütte, Leiter der Kunstaktivitäten im Bereich Art, Culture & Sports der Deutschen Bank, kommentierte das Ergebnis freudig: „Unsere Erwartungen sind übertroffen worden.“ Besonders freue man sich natürlich über die vier Weltrekorde, die mit Werken der Deutschen Bank erzielt wurden.
Flüssig für den Kauf junger Kunst
„Diese Zuschläge und alle anderen Ergebnisse zeigen, wie hoch der Markt Qualität und Provenienz unserer Kunstwerke einschätzt“, ergänzt Hütte. Die guten Auktionserlöse gäben der Bank mehr Möglichkeiten, junge aufstrebende Künstler zu unterstützen, die es gerade in der Corona-Zeit besonders schwer haben.
Doch nicht alles, was die Deutsche Bank an Kunst veräußert, läuft über Ketterer. Christie's Paris versteigerte Ende Oktober bereits Werke von Egon Schiele, Laszlo Moholy-Nagy und Wassily Kandinsky. Knapp über 1 Million Euro lag der Erlös für Kandinskys Aquarell „Trüber Aufstieg“ von 1922. Egon Schieles superbe Zeichnung „Liegendes Mädchen mit roter Bluse“ realisierte 644.000 Euro.
Auch ohne die beiden Firmensammlungen hatte die Auktion etwas zu bieten. Emil Noldes sprödes Gemälde „Schauspielerin“ versteigerte Ketterer für 500.000 Euro an einen deutschen Interessenten. Erst vor fünf Monaten fiel das Bildnis bei Sotheby´s zur Taxe von umgerechnet knapp 400.000 Euro durch. Jean Mammens Aquarell „Ausweg“, das den kessen Stil der 1920er-Jahre zitiert, wurde von 60.000 Euro auf die Rekordsumme von 200.000 Euro gehoben.
Vom Sammler Thomas Olbricht, der gerade bei Van Ham Teile seiner modernen Wunderkammer versteigern ließ, stammte Ernst Ludwig Kirchners „Sitzende mit großem Hut“ aus dem Jahr 1908. Die Rückseite zeigt eine schroff gezeichnete „Szene im Atelier“ mit dem nackten Modell Fränzi, die 1910 entstand. Für 487.500 Euro wechselt die Mischtechnik nun in eine Schweizer Sammlung. Seine Taxe fast verfünffachen konnte Kirchners Gemälde „Bauernwagen mit Pferd“. Ein Online-Bieter erwarb die weiß strahlende Darstellung von 1922/23 für 587.500 Euro.

Das erst vor fünf Monaten bei Sotheby´s zur Taxe von umgerechnet knapp 400.000 Euro durchgefallene Bild verkaufte Ketterer für 500.000 Euro an einen deutschen Interessenten.
Weniger als sonst lockte Ketterer in diesen unsicheren Zeiten die Millenium-Generation mit jungen, aufsteigenden Künstlern. In Krisen bevorzugen Sammler arrivierte Positionen, auch bei der Gegenwartkunst. Tony Craggs über zwei Meter hohe, verchromte Edelstahlskulptur erzielte 662.500 Euro. Daniel Richters farbexplosive Schichtung abstrakter und gegenständlicher Bildelemente in dem Gemälde „Fühlung, Flirrung, Flüchtung“ von 1999 übernahm ein Käufer für 225.000 Euro.
Das Fazit dieser Auktion: Sammler vertrauen weiterhin in Qualitäts-Kunst als Vermögensspeicher. Für ein blendendes Angebot wie Ketters Dezember-Offerte ist die Bilanz deshalb vortrefflich. Rund 25,4 Millionen Euro setzte das Haus nur mit Klassischer Moderne sowie Nachkriegs- und Gegenwartskunst um.
Höchster Umsatz in Deutschland
Allein die Verkäufe des Evening Sales mit ausgewählten Werken, die eine losbezogene Quote von 92 Prozent aufweisen, brachten 18 Millionen Euro. Inklusive der „Kunst des 19. Jahrhundert“, „Wertvolle Bücher“ und Online-only-Auktion meldet Ketterer ein Saisonergebnis von rund 30 Millionen Euro. Damit ist das Familienunternehmen erneut umsatzstärkster Versteigerer in Deutschland. Laut Ketterer-Pressemitteilung steht es mit Jahreseinnahmen von rund 60 Millionen Euro „zum wiederholten Mal auf Platz 1 im deutschen Kunstversteigerer-Ranking“.
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