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Kleinverlage in Deutschland Mit dem Rücken zur Wand

Jahr für Jahr werden in Deutschland literarische Kleinverlage gegründet. Ihre Erfolgschancen sind gering, doch die Verleger treibt nicht die Sucht nach Rendite. Und sie helfen damit auch den etablierten Häusern.
23.01.2016 - 16:54 Uhr Kommentieren
Idealistische Gründerinnen. Quelle: PR
Binooki-Chefinnen Selma Wels (r.), Inci Bürhaniye

Idealistische Gründerinnen.

(Foto: PR)

Berlin Sobald Inci Bürhaniye unterwegs ist, und das ist sie ziemlich oft, fehlt bei Binooki die halbe Belegschaft. Dann sitzt Selma Wels allein in ihrem Verlag. Ein Fenster, zwei Schreibtische und ziemlich viele Leitzordner. Die Bücherregale sind ausgelagert auf den Flur. Wobei der Flur genau genommen nicht Binooki gehört, sondern Bürhaniyes Anwaltskanzlei. Als die Schwestern vor fünf Jahren anfingen, türkische Literatur in Deutschland zu verlegen, hatte Binooki ein eigenes Büro in Berlin-Kreuzberg. „Es hat sich nicht gerechnet“, sagt Wels.

Wie verrückt muss man sein, im 21. Jahrhundert noch einen Buchverlag zu gründen? Papier zwischen zwei Pappdeckel zu pressen, während die Welt schon darauf wartet, was nach Twitter kommt. Die Gegenwart spielt auf dem Smartphone, die Zukunft ist eine Virtual Reality. 2014 erwirtschaftete der gesamte deutsche Buchmarkt 9,5 Milliarden Euro, nicht mal ein Fünftel dessen, was Google schafft. Buchhandlungen schließen, Verlage geben auf. Dabei sind die Verkaufszahlen überraschend stabil. Jedes Jahr erscheinen an die hunderttausend Bücher. Und immer wieder wagen sich neue Verleger ins Geschäft. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels zählt heute immerhin 16 Verlagsmitglieder mehr als vor fünf Jahren. Vom großen Sterben kann keine Rede sein. Die Frage ist eher, wie man lebt.

„Es geht um das Buch“

Zusammen verkaufen die rund 3000 Verlage in Deutschland jährlich Bücher im Wert von 5,5 Milliarden Euro. 70 Prozent davon entfallen auf die 23 größten Unternehmen wie Random House, Fischer oder Rowohlt. Mehr als hundert Verlage zählt dagegen die Kurt-Wolff-Stiftung zu ihrem Freundeskreis, sie kümmert sich explizit um kleine, unabhängige Verlage. Wer dort dabei sein will, darf nicht mehr als fünf Millionen Euro Umsatz machen. Der Rauswurf droht nur sehr wenigen. „Man gründet keinen Verlag, um reich zu werden“, sagt Jörg Sundermeier, Mitglied im Vorstand der Stiftung. „Es geht um das Buch.“

Darum geht es auch Selma Wels. Wenn die Verlegerin über den Roman „Deliduman“ spricht, sieht man irgendwann nicht mehr, dass ihr Fenster auf einen dunklen Hof rausgeht und dass dahinter nasser Schnee fällt. Dann wähnt man sich in einem Land, in dem es manchmal so heiß ist, dass sie auf den Verkehrsinseln Sprinkleranlagen installieren, damit der Rasen nicht verbrennt. Als ein Freund von Caglar, dem jungen Ich-Erzähler, einen Unfall baut, weil er einem Mädchen hinterhergeguckt hat, meint Caglar, das Wasser auf der Straße sei Schuld. Und natürlich sein Onkel, der ein korrupter Bürgermeister und Mitglied der türkischen Regierungspartei ist. Emrah Serbes hat eine Geschichte geschrieben über die Proteste im Gezi-Park, 2013 in Istanbul – ein Buch über die Liebe und das Erwachsenwerden.

Ein Beitrag zur Integration

Selma Wels will deutschen Lesern zeigen, dass türkische Autoren über dieselben großen Themen schreiben wie die Autoren jeder anderen Schriftstellernation auch. In der Türkei ist Serbes ein Star, in Deutschland kennt ihn kaum einer. „Vorurteile“, sagt Wels, „gibt es auch bei Belesenen.“ Natürlich habe man nichts gegen Türken, man steige gern zu ihnen ins Taxi und habe einen Lieblingsdönerladen. Aber Literatur? Allenfalls steht ein Orhan Pamuk im Regal, der hat ja den Nobelpreis gewonnen. Mit dem Binooki-Verlag, glaubt Wels, leisten sie und ihre Schwester auch einen Beitrag zur Integration.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein kleiner Verlag einen Autor groß macht. Frank Witzel zum Beispiel, der im vergangenen Jahr den Deutschen Buchpreis gewann, hat sein Manuskript nirgendwo unterbekommen, bevor Matthes & Seitz „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ druckte. „Die kleinen Verlage können Stoffe machen, an die sich die Großen nicht herantrauen, weil sich kleine Auflagen für sie nicht lohnen“, sagt Sundermeier. So sind sie es oft, die Lyrik, Essays und Fragmente verlegen – schwer Verdauliches, lange Vergessenes und zuweilen Wunderschönes.

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