Koloniale Raubkunst in Berlin Der Kampf um die Paradestücke verschärft sich

Diese drei Bronzen waren 2018 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) in einer Vitrine ausgestellt.
Hamburg Die Diskussion über eine moralisch fundierte Verpflichtung, Kulturgut aus kolonialer Zeit an die Herkunftsländer zurückzugeben, wird auch in Deutschland immer lauter. Dabei hätte diese Auseinandersetzung um das „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“, wie es vom Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bezeichnet wird, heute schon viel weiter sein können. Denn die Diskussion dazu begann bereits vor Jahrzehnten, flaute aber immer wieder ab.
Das allerdings nicht zufällig. Bénédicte Savoy, die vehement für die Restitution afrikanischer Artefakte streitet, hat die Tricks und Taktiken der deutschen Museen, um eine umfassende Restitutionsdebatte zu verhindern, in ihrem jüngsten Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“ detailreich beschrieben.
Im Zentrum der Streitigkeiten stehen dabei schon seit Jahren, stellvertretend für alle anderen Objekte, die hochbedeutenden Bronze-Skulpturen aus dem ehemaligen Königreich Benin, die von den Briten erbeutet und ab 1897 über den englischen Kunstmarkt in alle Winde zerstreut wurden.
Allein 440 Arbeiten davon landeten in Berliner Museen. Sie sollten, so die ursprüngliche Planung, in dem neuen Humboldt-Forum Berlins als Paradeobjekte ausgestellt werden. Das scheint aber nun, seit dem neuen Aufflammen der Debatte um Raubkunst fragwürdiger denn je.
Savoy hat aus Protest über die geplante Präsentation im Humboldt-Forum den Expertenrat des neuen Kulturzentrums bereits 2017 mit Aplomb verlassen, die andauernde Intransparenz der Objekt-Provenienzen war für sie ein unerträglicher Skandal. Das gab Schlagzeilen, die auch generell zur Befeuerung der Auseinandersetzung um die Restitution beitrugen.
Dennoch, die schon lange verhärteten Fronten scheinen wieder fluide geworden zu sein. Kulturstaatministerin Monika Grütters ist „für größtmögliche Transparenz bei den Beständen aus kolonialen Kontexten“, damit auf dieser Basis ein „angestrebter Dialog mit den Herkunftsgesellschaften“ beginnen kann.

Blick in die Schauwerkstatt Benin im GRASSI Museum für Völkerkunde in Leipzig im Dezember 2018.
Das Sammlungsgut soll über die Deutsche Digitale Bibliothek zukünftig leicht zugänglich sein. Das allerdings kommt spät, sehr spät, denn Nigeria begann bereits 1972, seine in Europa verstreuten historischen Objekte, die aus dem ehemaligen Königreich Benin stammen, in äußerst freundlich formulierten Anfragen auch aus Deutschland zurück zu fordern. Es ging Nigeria dabei um nichts weniger, als die Rückgewinnung seiner eigenen Kulturgeschichte, seiner kulturellen Identität.
Hans-Georg Wormit, der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, stellte im Juni 1972 fest, dass „gerade völkerkundliche Sammlungen (geeignet sind), den Gedanken der Völkerverständigung zu vertiefen. Aus dieser Sicht läßt sich nicht sagen, daß Kunstgegenstände tunlichst in ihren Ursprungsländern aufbewahrt und ausgestellt werden sollten.“ Diese Argumentationslinie hat schon 1972 nicht jeder verstanden, erst recht nicht Nigeria.
Politisch korrektes Statement
Dem aktuellen Nachfolger im Amt Wormits, Hermann Parzinger, ist das sehr wohl bewusst. Seine Haltung ist eine andere, denn er antwortet auf Nachfrage des Handelsblatts zu den Vorwürfen der Verzögerung in politisch überaus korrekter Formulierung: „Ich freue mich, dass wir nun mit entsprechender politischer Unterstützung von Bund und Ländern gemeinsam mit der Kulturstaatsministerin und anderen deutschen Museen zügig eine nationale Strategie zum Umgang mit den Benin-Bronzen erarbeiten können, die ausdrücklich auch Restitutionen ermöglichen soll.“
Warum das aber bislang nicht passierte, darauf geht Parzinger, seit 2008 Präsident der Stiftung, nicht ein. Aber er betont, „dass es auch zu Rückgaben kommen sollte.“ Sein Ansatz ist der Dialog: „Lösungen kann es nur durch ein vertrauensvolles Miteinander geben. Mit der Schaffung des Legacy Restoration Trust in Nigeria und den kürzlichen Bekenntnissen der deutschen Politik hat der Prozess nochmals Tempo aufgenommen.“

"Lösungen kann es nur durch ein vertrauensvolles Miteinander geben."
Ob aber nicht schon bald der nächste Stau das von Parzinger beschworene Tempo bedroht, wird wohl erst die Geschichte zeigen. Die Diskussion jedenfalls wird zunehmend hektischer. Denn was soll nun im neuen Humboldt-Forum, Deutschlands Zentrum für Kultur, Kunst und Wissenschaft, ab Herbst überhaupt ausgestellt werden?
Die originalen Benin-Bronzen, oder Kopien, oder sollen die dafür vorgesehenen Plätze frei bleiben, um auf ein ungelöstes Problem hinzuweisen? Bis zur Eröffnung jedenfalls wird das aufgenommene Tempo der diversen Kommissionen wohl nicht reichen, um schon an einem Ziel angekommen zu sein, das im Übrigen noch nicht genau definiert ist.
Der Generalintendant des Humboldt-Forums, Hartmut Dorgerloh, sorgte neulich für Wirbel mit seinem Statement, nach dem ein größerer Teil der Bronzen seiner Meinung nach restituiert werden sollte. Zu entscheiden haben dies allerdings andere.
Und auch der nigerianische Botschafter in Berlin hat seine Chance in der Diskussion erkannt. Für ihn geht es um das „Anstandsgefühl der Deutschen“, dass sie jetzt unter Beweis stellen könnten, wie er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung protokollieren ließ, um gleich zu ergänzen, dass es für ihn nicht nur um die Bronzen aus Benin geht, sondern gleichzeitig auch um die Ife-Bronzen und Nok-Terrakotten.
Konsens in weiter Ferne
Neuerdings melden sich auch neue, ganz andere Stimmen, die behaupten, dass in Afrika die Restitution zunehmend kritischer gesehen wird. Die Ethnologin Heike Behrend gab in einem Interview in WELT zu bedenken, die Kritiker seien in Afrika jene, die nicht der von westlichem Vorbild geprägten Elite angehörten. Das habe mit einem radikalen christlichen Revival zu tun, das zum Teil von Kirchen aus den USA beeinflusst sei, wodurch sich das Verhältnis zur eigenen Tradition neu definiert und radikalisiert habe.
„Tatsächlich lehnen viele dieser Christen die eigenen Traditionen als ‚satanisch‘ ab. Das gilt auch für die Objekte, die sie mit diesen Traditionen verbinden.“ Eine größere Spannungsbreite ist in einer Diskussion kaum möglich. Ein echter gesellschaftlicher Konsens scheint noch in weiter Ferne.
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