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KolonialismusEin Schrumpfkopf befeuert eine Debatte

Der Umgang mit Kulturgütern ist schwierig. Das zeigen auch die Diskussionen nach der Versteigerung eines Schrumpfkopfes durch Lempertz.Christiane Fricke 25.10.2018 - 13:12 Uhr Artikel anhören

Die Kopftropäe wurde einem belgischen Sammler für 19.356 Euro zugeschlagen.

Foto: Katalog Lempertz

Berlin. Ob ein Schrumpfkopf zur Ware werden darf? Henrik Hanstein, Chef des Kölner Auktionshauses Lempertz war sich zwar selbst nicht sicher, schritt aber nicht ein, als seine Experten die Trophäe in die Auktion nahmen. Unberührt von moralischen Bewertungen wurde am Mittwoch in der Brüsseler Filiale die Kopftrophäe des Jivaro-Volkes (Ecuador/Peru) für 19.356 Euro inkl. Aufgeld und damit weit über dem oberen, auf 10.000 Euro veranschlagten Schätzpreis zugeschlagen.

Das große Echo, das die Versteigerung des Schrumpfkopfes hierzulande auslöste, ist keineswegs von Nachteil. Denn die Debatte bringt weiter Bewegung in eine Kontroverse, die das Land etwas angeht, auch wenn die private Sammeltradition auf dem Gebiet der Stammeskunst hierzulande sehr viel geringer ausgeprägt ist als in Belgien oder Frankreich. Diese Länder haben sich nicht grundlos zu Drehscheiben des Handels mit ozeanischen und insbesondere afrikanischen Kulturgütern entwickelt. Kein Wunder also, dass sie mit dem Thema gelassener umgehen.

Keine juristische Lösung

In Deutschland wurde vor zwei Jahren das Kulturgutschutzgesetz verabschiedet, auch um den Handel mit geraubten Kulturgütern zu verhindern. Lösungen für den rechtmäßigen Umgang mit kolonialen Artefakten oder Stammeskunst hält das kiloschwere Gesetzespaket jedoch nicht bereit. Er ist eher eine Frage von Anstand und Moral. Wie sollen die ehemaligen Kolonialmächte mit der Kunst und den Artefakten aus den Ländern in Afrika, Asien und Amerika umgehen? Deutschland hat in seinen Museen große Sammlungsbestände in Vitrinen und Lagerräumen, und davon stammen immerhin bis zu zwei Drittel aus kolonialen Kontexten. (s. Handelsblatt 17.5.)

Nun mag es sich bei dem Schrumpfkopf weder um ein geraubtes noch um ein koloniales Kulturgut handeln. Aber was Seniorchef Henrik Hanstein aus Anlass der bevorstehenden Auktion im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung (18.10.) allgemein zum Thema ethnologischer Kulturgüter äußerte, deckt sich in einigen Punkten mit den Argumenten derer, die den Forderungen nach einer Rückgabe dieser Kategorie von Artefakten kritisch gegenüberstehen. In einem aber mag man ihm rückhaltlos zustimmen, nämlich seinem Vorschlag, in Afrika „so etwas wie das Pariser Musée du Quai Branly“ zu bauen und es aus europäischen Sammlungen zu bestücken.

Aus einer Raubkunstausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.

Foto: Paul Schietekat/ Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Es ist nun keineswegs so, dass in Fachkreisen die Idee eines mit auswärtigen Beständen ausgestatteten Museums nicht bereits ventiliert würde. Gerade erst machte die Benin Dialogue Group eine entsprechende Lösung für die umstrittenen Benin-Bronzen publik. Wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz am Dienstag mitteilte, verständigte man sich darauf, „dass in Benin City ein neues Museum mit einer regelmäßig wechselnden Ausstellung von Kunstwerken aus dem ehemaligen Königreich Benin errichtet werden soll“. Europäische und nigerianische Museen würden Werke als Leihgaben zur Verfügung stellen.

Der Gedanke eines mit Hilfe auswärtiger Exponate bestückten Museums vor Ort führt mitten ins Zentrum des Problems, das der Berliner Anwalt Winfried Bullinger mit Blick auf den Schwarzen Kontinent bereits vor vier Wochen auf den Punkt brachte. „Wir finden mehr und höherwertige Kulturgüter in den Sammlungen der westlichen Welt als in Afrika.“ Seine Schlussfolgerung lässt sich jedoch verallgemeinern: „Jede Herkunftsgesellschaft, jeder Staat hat einen Anspruch darauf, dass es kulturelle Gegenstände in angemessener Zahl vor Ort gibt“, formulierte der Jurist im Rahmen einer Veranstaltung, die von der Berliner Kanzlei CMS Hasche Sigle zum Thema der Provenienzlücke anberaumt worden war.

Tempel des Amun, Jebel Barkal, Karima, Sudan 2014. Die Ausgrabungsstätte ist von höchster historischer Bedeutung. Laut Führer vor Ort wurden bereits zu Kolonialzeiten interessante Stücke für die Verbringung nach Europa entnommen.

Foto: Winfried Bullinger

Das Argument, dass die historischen Artefakte aus ehemaligen Kolonialgebieten und Übersee in den viel besuchten westlichen Museen mehr Menschen erreichen würden als am Ursprungsort, lässt Bullinger nicht gelten. Er selbst bereist als Fotograf seit über 30 Jahren insbesondere die ostafrikanischen Länder, wo er etwa in Khartoum (Sudan) oder in Addis Abeba (Äthiopien) erlebte, wie groß das Interesse an der eigenen Kultur ist. Damit auch weiter von der Landeshauptstadt entfernt lebende Stämme Zugang zu ihren Kulturgütern erhalten, regt Bullinger an, über dezentrale Präsentationsmöglichkeiten nachzudenken.

Rückgabe an Standards knüpfen

Auch von dem Einwand, zurückgegebene Werke würden im Handel landen oder wie es Hanstein formulierte, sofort „vertitscht“ werden, distanziert sich Bullinger. Er lasse völlig außer Acht, dass in den afrikanischen Staaten sehr unterschiedliche Verhältnisse herrschen. In der Tat sei es in der Vergangenheit in bestimmten Regionen zu Plünderungen in Nationalmuseen gekommen wie etwa im Kongo oder in Nigeria. Aber dies sei kein Generalargument, um den Afrikanern den Anspruch darauf abzuerkennen, Werke ihrer eigenen Kultur zu verwahren. „Man kann die Rückgabe ja an Standards knüpfen und vereinbaren, dass man sich mit den betreffenden Objekten nicht am Handel beteiligt“, schlägt Bullinger vor.

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Richtig ist, dass die Korruption, die den Handel ermöglicht, ein großes Problem darstellt. Doch auch dieses Argument geht nach Ansicht des Juristen von simplifizierenden Annahmen aus. Sie wird den unterschiedlichen Realitäten auf dem afrikanischen Kontinent nicht gerecht.

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Von zwei Seiten lässt sich der Einwand betrachten, der private Markt fördere Raubgrabungen, die es wiederum nicht gäbe, wenn der Handel unterbunden würde. Manchmal ist aber auch das Gegenteil richtig. Dann nämlich, wenn Funde im Rahmen von Bauvorhaben auftauchen. „Wenn niemand sie aufkauft, werden sie vernichtet“, gibt der Anwalt zu bedenken.

Plädoyer für genaues Hinsehen

An dem Argument, dass Sammler das Kulturgut bewahren, ohne die es verloren ginge, ist nach Auffassung Bullingers „etwas dran“. Bestimmte rituelle Objekte seien beispielsweise im Kongo im 19. Jahrhundert nicht aufbewahrt worden. „Weil sie jedoch exportiert wurden, gibt es sie noch.“ Umgekehrte Beispiele liefern die Ahnenstatuen der Yoruba. Sie wurden von ihren Nachfahren gefüttert und gepflegt.

Henrik Hanstein glaubt, dass die Kolonialismusdebatte für den Markt keine Folgen hat. Das interessiere die heutigen Afrikasammler gar nicht, das sei ein staatliches Problem. „Dem Privatsammler darf die Herkunftsgeschichte aber nicht egal sein“, hält Bullinger entgegen. „Man kann sie nicht einfach ausblenden, auch wenn andere den Raub oder Mord begingen.“ Die Sammler haben davon profitiert.“ Man muss detailliert hinsehen und die Umstände verstehen.“

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