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KulturgutschutzgesetzDas bürokratische Monster
Unklare Formulierungen erschweren die Anwendung des neuen Kulturgutschutzgesetzes. In vielen Fällen wird ein legaler Weiterverkauf alter Kunst unmöglich. Händler riskieren mitunter Haftstrafen.
Figur der „Grünen Befreierin“ auf einem Lotossockel.
Die Bronze aus Westtibet (15. Jahrhundert) wurde für 48.000 Euro (ohne Aufgeld) im Dezember 2016 bei Van Ham zugeschlagen.
(Foto: Van Ham Kunstauktionen)
Düsseldorf Für die vorübergehende Einfuhr eines wertvollen Aquarells von George Grosz fühlte sich unlängst der Zoll am Grenzübergang Belgien-Deutschland nicht zuständig. „Wir verkaufen hier nur Maut-Tickets!“, bekam Henrik Hanstein zu hören. Der Chef des Kölner Auktionshauses Lempertz wollte das großformatige Blatt nach Deutschland bringen, um es als eines seiner Toplose der jüngsten Moderne-Auktion zu versteigern. Er möge doch in Köln zum Zoll gehen, wurde Hanstein empfohlen.
Kurz bevor Anfang August das Kulturgutschutzgesetz in Kraft treten sollte, hatte Monika Grütters den Passus einer vorübergehenden, auf höchstens zwei Jahre begrenzten Einfuhr in das Gesetzeswerk einfügen lassen. Damit sollte das betreffende Werk vor einem Eintragungsverfahren in die Liste national wertvollen Kulturguts bewahrt werden, wenn es wieder ausgeführt werden sollte (Artikel 24 Abs. 8). Doch die sogenannte „Laisser-passer-Regelung“ hakt bei der Umsetzung und gebiert eine unverhältnismäßige Bürokratie. Wie soll der Kunsthändler belegen, dass er das Werk tatsächlich erst soeben über die Grenze brachte? Indem er sich mit einer Tageszeitung in der einen und dem Werk in der anderen Hand an die Grenze stellt und ein Selfie macht?
Schlimmer als die Bürokratie wiegt nur die Unsicherheit. Es gibt einerseits Zollbeamte, die das „Laisser-passer“ beim Wort nehmen und eine Deklaration verweigern, weil sie sich auf den freien Warenverkehr innerhalb der EU berufen. Das andere Extrem verkörpern die Behörden in Hamburg und Baden-Württemberg. Sie finden, dass Objekte in den zwei Jahren der vorübergehenden Einfuhr sehr wohl als national wertvolles Kulturgut eingetragen werden können. Damit aber wäre die Laisser-passer-Regelung praktisch sinnlos. Nicht ohne Grund ist in England und Frankreich die Eintragung in die Liste erst nach 50 Jahren Verweildauer im Land möglich.
Unbestimmte Rechtsbegriffe
Vollzugsdefizite und eine disparate Rechtsauslegung in den Bundesländern behindern die Umsetzung des neuen Kulturgutschutzgesetzes. Rechtsanwalt Sebastian Graf von Wallwitz sprach kürzlich in München von einem Gesetz „voller unbestimmter Rechtsbegriffe“, die erst durch die Gerichte ausgelegt und definiert werden müssten. Und die Handreichung, von der sich Behörden und Handel mehr Rechtssicherheit versprechen, soll erst Ende Februar 2017 kommen, ein Dreivierteljahr nach Inkrafttreten des Gesetzes.
Das umstrittene Kulturgutschutzgesetz
Das Kulturgutschutzgesetz ist am 1. August 2016 nach einer längeren öffentlichen Diskussion in Kraft getreten. Dahinter steht Kulturstaatsministerin Monika Grütters.
Die neue Regelung soll Zweierlei verhindern: Den Handel mit Antiken aus Raubgrabungen und den Handel mit national wertvollem Kulturgut.
Bürokratischer Mehraufwand für Behörden, Handel und Sammler
Schwammige Definition dessen, was national wertvolles Kulturgut ist
Ungleichbehandlung der Sorgfaltspflichten bei Einfuhren aus UNESCO-Vertragsstaaten und EU-Ländern
Unpraktische und lückenhafte Datenbanken der Kulturgutgesetze der UNESCO- und EU-Länder
Kein Verlass auf Negativ-Testat und Laisser-Passer-Regelung wegen Widerrufsmöglichkeit und uneinheitlicher Auslegung
Verunsicherte Sammler, die ihre Leihgaben zurückhalten
Probleme bereitet das ebenfalls in letzter Minute ins Gesetzeswerk eingefügte Negativ-Testat. In einer Kannvorschrift obliegt es den Ländern, hier die Sachverständigenkommission einzuberufen. Jedes Land kann diesen Passus beliebig auslegen oder auch darauf verzichten. Einzig Nordrhein-Westfalen erteilte bislang Negativ-Testate für Objekte, die nicht für einen Eintrag in die Liste infrage kommen und dementsprechend ausgeführt werden dürfen. Während der Handel in Hessen auf die Einführung eines einheitlichen Formulars vertröstet wurde, wollte man in Hamburg die Werke wie in einem Eintragungsverfahren durch die entsprechende Sachverständigenkommission laufen lassen. Diese wird indes (wie in anderen Bundesländern auch) nach einem neuen Verteilungsschlüssel neu zusammengesetzt, weshalb es zu Verzögerungen kommt.
Inzwischen hat die Bundesregierung das vereinheitlichte Formular für ein Negativ-Testat auf den Weg gebracht. Und siehe da, es berücksichtigt auch den sehr pragmatischen Vorschlag des Münchener Auktionators Rupert Keim, jenen Kunstwerken, die vor Inkrafttreten des Gesetzes ins Ausland gebracht wurden, ebenfalls eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen, damit sie wieder nach Deutschland zurückgeholt werden können. Dafür aber enthält das Formular am Schluss eine Kröte, die das Ganze wieder nichtig macht. Die Behörden können nämlich ihr Plazet widerrufen, wenn die Erkenntnislage es erfordert.
George Grosz: „Soirée“ („Ecce Homo“) von 1922
Das Aquarell wurde bei Lempertz im Dezember 2016 für 360.000 Euro (ohne Aufgeld) einem rheinischen Privatsammler zugeschlagen. Die Arbeit kam aus belgischem Privatbesitz und sollte vorrübergehend eingeführt werden.
(Foto: Lempertz; VG Bild-Kunst, Bonn 2016)
Bauchschmerzen bereiten dem Handel auch die Sorgfaltspflichten bei Einfuhren. Kulturgut, das sich bis Inkrafttreten des Gesetzes rechtmäßig in Deutschland befunden hat, ist davon nicht betroffen. „Wie sieht es aber aus, wenn es – wie üblich in der Praxis – keinen Nachweis für die ,Rechtmäßigkeit’ gibt?“, fragte der Chef des Kölner Auktionshauses Van Ham, Markus Eisenbeis, in einem Brief an die Leiterin der Kulturabteilung im Kulturministerium des Landes NRW, Hildegard Kaluza.
Als Beispiel dient Eisenbeis alte italienische Kunst, die aufgrund der Italiensehnsucht der Deutschen seit der Goethezeit ihren Weg ins Land gefunden hat. Der Versuch, die Datenbank Kulturgutschutz-Deutschland und die Webseite der Unesco im Hinblick auf die italienische Rechtsprechung zu befragen, fördert mehrere Hundert Seiten Dokumente in verschiedenen Sprachen, sogar auf Arabisch zutage.
Ihre Tücken hat auch das Instrument der eidesstattlichen Erklärung, die der Sammler gegenüber dem Auktionator oder Händler abgibt. Für die rechtmäßige Einfuhr eines Objekts aus einem Unesco-Staat, das sich vor dem 26. April 2007 bereits in Deutschland befand, kann an Eides statt gebürgt werden. Nicht aber für ein Werk aus einem EU-Staat, das sich bereits vor 1993 im Land befand. In diesem Fall ist ein Beweisdokument gefordert.
Aber welches Museum mit Altbeständen oder welcher Sammler mit einem unter Umständen über Generationen vererbten Familienbesitz kann auf entsprechende Belege noch zurückgreifen? Bis Sommer 2016 musste der Handel seine Unterlagen zehn Jahre aufbewahren. Nun gelten für den Handel Aufbewahrungspflichten von 30 Jahren. Für Privatpersonen gibt es keine Aufbewahrungspflicht. Es soll aber 24 Jahre rückwirkend eine rechtmäßige Einfuhr belegt werden. Wem das nicht gelingt, hat unrechtmäßig eingeführt. Das Objekt kann sichergestellt werden, oder der Händler macht sich strafbar, wenn er es in Verkehr bringt, und riskiert bis zu zehn Jahre Haft.
Renaissance-Pokal
Mit Ausfuhrgenehmigung für den Export innerhalb der EU.
(Foto: Van Ham Kunstauktionen)
Im Übrigen kann der Händler eine eidesstattliche Erklärung aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht einfach weitergeben; zum Beispiel an einen potenziellen Bieter, der sich für einen eventuellen zukünftigen Wiederverkauf damit absichern möchte. Das bedeutet: Das Kunstwerk ist entweder unverkäuflich, oder der künftige Verkäufer macht sich strafbar. Die Situation ist vertrackt auch für den Nachlassverwalter, der sich um die Hinterlassenschaften eines kinderlosen Ehepaars kümmert und weder eine rechtmäßige Einfuhr belegen noch eidesstattlich versichern kann, dass sich das Werk vor 1993 in Deutschland befunden hat.
Der Handel zieht Konsequenzen
Ungeklärt ist der Status eines Altmeisters aus Italien, der auf einer Auktion in Frankreich erworben wurde und nun in einem deutschen Auktionshaus eingeliefert wird. „In Frankreich gab und gibt es keine Verpflichtung, die legale Einfuhr nachzuweisen“, erläutert Van-Ham-Chef Eisenbeis in einem weiteren Brief an das Kultusministerium. Die Ausfuhr bedarf dort auch keiner Genehmigung. Wie soll die legale Ausfuhr aus Italien belegt werden?
Hinzu kommt, dass ältere Dokumente, wenn sie denn vorhanden sind, die betreffenden Gegenstände nur sehr summarisch, meist ohne Foto oder Maßangaben beschreiben. „Wie soll hier eine zuverlässige Zuordnung erfolgen?“, fragt Eisenbeis. Und wie soll ein deutscher Händler eine chinesische oder russische Ausfuhrgenehmigung inhaltlich prüfen, wie für ihre Echtheit garantieren?
Unterdessen werden im Handel Konsequenzen gezogen. Lempertz wird Asiatika zukünftig in seiner Brüsseler Dependance versteigern. Und auch das Auktionshaus Nagel, das 80 Prozent seines Umsatzes mit Asiatika macht und auf diesem Gebiet Marktführer in Deutschland ist, verlagert sein Geschäft – zumindest für die von auswärts eingeführten Objekte – ins Ausland. Der Galerist Michael Krome hat seinen Sitz von Berlin nach Luxemburg verlagert. Einen norddeutschen Händler zieht es mit einer Filiale ins Tessin, und in Wien hat die Düsseldorfer Galerie Beck & Eggeling eine Dependance gegründet. Es gilt, wettbewerbsfähig zu bleiben, auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Besteuerung.
Derweil kommen aus Berlin erste Signale für eine Korrektur – noch vor der ins Auge gefassten Evaluierung nach zwei Jahren. Möglicherweise in dem Bewusstsein, dass das neue Gesetz massiv gegen den freien Warenverkehr innerhalb der EU verstößt. Die Pressestelle von Monika Grütters ließ jedenfalls verbreiten, dass die EU-Kommission ein öffentliches Konsultationsverfahren zur Schaffung einer EU-weit einheitlichen Einfuhrregelung für Kulturgut aus Nicht-EU-Staaten eingeleitet hat.
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