Kunst auf Papier Handzeichnungen faszinieren immer mehr Sammler

Die Stehenden Rüstungen aus der Serie der Rüstkammer-Phantasien von 1866 wurden für 3,3 Millionen Euro zugeschlagen (Ausschnitt).
Berlin Die Handzeichnung ist die subtilste und facettenreichste Gattung der Bildenden Kunst. Von der spontanen Skizze bis zum vollständig ausgeführten Kunstwerk, vom ersten Entwurf bis zur detaillierten Vorzeichnung umfasst die aus freier Hand ausgeführte Zeichnung alle Darstellungsformen. Ihre Technik reicht von der schlichten Bleistiftstudie bis zu bildhaften, mit dem Pinsel überarbeiteten Werken.
Auf dem Kunstmarkt spielt sie in den letzten zehn Jahren eine herausragende Rolle. Das liegt zum Teil an den zweistelligen Millionensummen, die seit 2009 Zeichnungen von Raffael, Michelangelo, Leonardo, Mantegna und Rubens in Auktionen erlöst haben. Es ist aber auch das Resultat einer breiteren Marktakzeptanz und einer kontinuierlich wachsenden Gruppe von Sammlern, die sich der Kunst auf Papier verschrieben haben.
Schon 2013 registrierte Sotheby’s einen Zuwachs von 50 Prozent mehr Kunden in den Auktionen von Altmeister-Zeichnungen, vor allem aus Asien. Schon zu dieser Zeit waren es auch Sammler zeitgenössischer Kunst, die sich für die Handzeichnung Alter Meister begeisterten.
Im Jahrzehnt zuvor hatte das kalifornische Getty Museum das Ansehen der Gattung mit millionenschweren Ankäufen italienischer Renaissance-Blätter gefördert. 2010 richtete die Messe in Maastricht eine neue Sektion für Papierarbeiten ein, in der Handzeichnungen dominierten.
2017 verkündete die Datenbank Artprice, dass sich innerhalb von zehn Jahren die Nachfrage von Sammlern für Altmeister-Zeichnungen um 60 Prozent, für die zeitgenössische Zeichnung um 25 Prozent erhöht hat. In jüngerer Zeit zeigen auch die Auktionen moderner Kunst, dass Käufer sich nicht von Tuschfederzeichnungen abhalten lassen, nur weil die Lichtempfindlichkeit deren Präsentation einschränkt – zumal die Rahmung mit UV-Licht abweisendem Glas profunden Schutz gewährt.

Die Zeichnung eines stehenden jungen Mannes wurde im Dezember 2018 bei Christie‘s für 11,4 Millionen Pfund zugeschlagen (Ausschnitt aus einem steilen Hochformat).
Ein ikonisches Pastell von Edvard Munch führt die Liste der teuersten je versteigerten Handzeichnungen an: „Der Schrei“ wurde im Mai 2012 bei Sotheby’s für 119 Millionen Dollar vom New Yorker Finanzier Leon Black ersteigert. Nicht zu vergessen sind auch die Spitzenpreise für die in China hoch geschätzte nationale Tuschmalerei, die 2011 in den 65 Millionen Dollar für die Darstellung eines auf Pinienzweig thronenden Adlers von Qi Baishi gipfelte.
Der jüngste Triumph der Zeichnung war die Auktion von acht Werken der Moderne aus einer alten Familiensammlung, die am 3. März 2021 bei Christie’s 25 Millionen Dollar einspielten: Allein Vincent van Goghs Feder-Porträt „La Mousmé“ erlöste 10,4 Millionen Dollar.
Interessant war eine ebenfalls im März von Christie’s in Paris abgehaltene Auktion mit Zeichnungen italienischer, französischer und niederländischer Meister des 16. und 17. Jahrhunderts aus der Sammlung eines Genfer Ehepaars, das sich in den 1980er- Jahren von Charles Ryskamp, dem Direktor der New Yorker Pierpont Morgan Library, beraten ließ. Den höchsten Preis erzielte hier mit 400.000 Euro die Federzeichnung „Der Kampf der Zeit mit der Jugend“ von Jacques Quesnel. Der sehr rare und mangelhaft dokumentierte Künstler war bis 1629 in Paris tätig.
Der Preis ist ein Beleg für die Aufwertung der französischen Altmeister-Zeichnung, die eine Tendenz der letzten zehn Jahre ist. Der Aufschwung begann im Januar 2013, als eine Landschaftszeichnung von Claude Gelée, die auf 500.000 bis 800.000 Dollar geschätzt war, bei Christie’s in New York auf 6,1 Millionen Dollar stieg. Seitdem fallen immer wieder charakteristische Werke von Jean-Antoine Watteau, François Boucher, Jean-Honoré Fragonard und J.A.D. Ingres auf, die bisweilen auch ihre Schätzpreise übertrumpfen.

Das Blatt erzielte 2012 bei Sotheby‘s den Rekordpreis von 29,7 Millionen Pfund.
Nach wie vor spielt die italienische Zeichnung der Renaissance und des Barock die Hauptrolle in diesem Sammelgebiet. In bester Erinnerung sind die Rekordpreise für Kreidezeichnungen von Raffael, der als Gigant der Handzeichnung mehrfach die jüngere Auktionsgeschichte prägte.
1984 erlöste die Studie eines Apostelkopfs zu dem Gemälde „Die Verklärung Christi“ 3,6 Millionen Pfund. Zwölf Jahre später stieg dasselbe Blatt abermals bei Christie’s auf 5,3 Millionen Pfund. Diese Rekorderlöse in einstelliger Millionenhöhe stellte Leon Black gleich zweimal auf den Kopf. Für den Kopf einer Muse bot der Privat Equity-Unternehmer bei Christie’s im Dezember 2009 29,2 Millionen Pfund.
Diese Rekordsumme übertraf Black nochmals leicht, als er Raffaels Kopf eines jungen Apostels aus der Sammlung des britischen Landschlosses Chatsworth im Dezember 2012 bei Sotheby’s mit 29,7 Millionen Pfund zur teuersten Zeichnung der Welt machte.
Canalettos Krönung des Dogen
Die seit ihrer Entstehung anhaltende Wertschätzung der italienischen Renaissance lässt die Preise für museale Zeichnungen „durch die Decke“ gehen. Eines der jüngsten Beispiele ist die detaillierte Federzeichnung „Der Triumph Caesars“, die bis vor kurzem noch als Kopie nach Andrea Mantegna galt, aber im Januar 2020 bei Sotheby’s in New York als eigenhändiges Werk für 11,6 Millionen Dollar versteigert wurde.
Auch bei italienischen Zeichnungen späterer Epochen gibt es heiß begehrte teure Werke. Etwa die lavierten Federzeichnungen eines Hauptvertreters des 18. Jahrhunderts, Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto, die selten auf dem Markt erscheinen. Hier liegt der Rekordpreis bei 2,6 Millionen Pfund für „Die Krönung des Dogen“, die der Londoner Händler Jean Luc Baroni im Juli 2017 bei Sotheby’s für 2,6 Millionen Pfund, damals 3 Millionen Euro, erwarb und 2018 auf den Maastrichter Messe mit moderatem Aufschlag für 3,9 Millionen Euro offerierte.

„Die Krönung des Dogen” kam im Juli 2017 bei Sotheby's auf den Rekordpreis von 2,6 Millionen Pfund. Käufer war der Londoner Händler Jean Luc Baroni.
Auch Giovanni Domenico Tiepolo, von dem im Dezember 2019 bei Christie’s sechs Federzeichnungen aus einem Commedia dell’arte-Zyklus für Preise zwischen 420.000 und 995.000 Pfund versteigert wurden, gehört zu den Marktfavoriten.
Im Gegensatz zu diesen hochdotierten Meistern gibt es im Bereich der Barockzeichnung noch Möglichkeiten für den Sammler, der hier nicht mit Milliardären oder Weltmuseen konkurrieren muss. Immer wieder kommen Zeichnungen der produktiven Bologneser Annibale Carracci und Giovanni Francesco Barbieri unter den Hammer, die im Preisniveau unter 50.000 Euro zu haben sind.
Aber auch diese Künstler werden meist höher bewertet als die meisten Handzeichnungen der niederländischen Schule, die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts eine starke Marktpräsenz hatten. Inzwischen erscheinen sie eher als Füllwerke in internationalen Auktionen, zumal die Mehrzahl der Blätter der Landschaftsdarstellung verpflichtet ist.
Zuspruch für deutsche Zeichner des frühen 19. Jahrhunderts
Ausnahmen gibt es allerdings auch hier. So erlöste die Kreidezeichnung eines stehenden jungen Mannes von Lucas van Leyden im Dezember 2018 bei Christie’s starke 11,4 Millionen Pfund. Die Zeichnungen und Grafik dieses eminenten Renaissance-Künstlers waren schon zu seiner Zeit weltberühmt und wurden selbst in Raffaels Werkstatt kopiert.
Was deutsche Meister betrifft, hat sich das Interesse, nicht zuletzt dank amerikanischem Zuspruchs, stark auf die Zeichnung des 19. Jahrhunderts verlagert. Davon kann das Berliner Auktionshaus Bassenge immer wieder marktprägende Beispiele versteigern.

Für die Zeichnung zweier welker Ahornblätter fiel der Hammer bei 1,7 Millionen Euro mit Aufgeld. So viel war für eine Zeichnung der deutschen Romantik noch nie bezahlt worden.
Bei Bassenge reüssierten vor allem Beispiele des frühen 19. Jahrhunderts bis zum Rekordpreis von netto 1,7 Millionen Euro für die Federzeichnung welker Ahornblätter von Friedrich Olivier, die wie andere Lose in früheren Auktionen in ausländischen Privatbesitz gingen. Das war im November 2014 und ist bis heute eine Rekordnotierung.
Zwei Jahre später folgte der Zuschlag von 1,7 Millionen Euro für eine ähnliche Darstellung von Oliviers Künstlerfreund Julius Schnorr von Carolsfeld. Die amerikanischen Museen hatten in dieser Zeit schon mit gezielten Ankäufen deutscher Romantiker-Zeichnungen die internationale Marktposition dieser Blätter gesteigert.
Zu den Dauersellern deutscher Kunst gehören die Arbeiten von dem fleißigsten aller Zeichner, Adolph Menzel, dessen Wahlspruch „Kein Tag ohne Zeichnung“ lautete. Entsprechend breit ist das zeichnerische Oeuvre und sind es mit ihm die Preise. Bleistift-Skizzen sind schon ab etwa 15.000 Euro zu haben, aber die Notierungen können auch in die Millionen gehen wie die furiose Deckfarbenmalerei stehender Rüstungen, die im November 2014 in Berlin bei Grisebach für 3,3 Millionen Euro in Schweizer Privatbesitz ging.
Christie’s Spezialist Benjamin Perronet schätzt an dieser Gattung: „Es liegt etwas sehr Unmittelbares in der Zeichnung und man kann nur einen physischen Eindruck von ihr gewinnen, wenn man sie in Händen hält“. Das ist der Fall beim klassischen Sammler, der sie in Mappen verwahrt und immer mal ans Licht hebt, um sie zu bewundern. Aber auch der Kunstfreund, der sie an einer lichtempfindlichen Stelle aufhängt, kann sie in gleicher Intensität genießen.
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