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KunstfälschungenVon hinten durch die „kalte Küche“

Am siebten Verhandlungstag um den Kölner Kunstfälscher-Prozess brachten die Staatsanwälte das Verfahren aus dem Takt. Am Ende verzichteten sie jedoch darauf, weitere Beweisanträge zu stellen.Christiane Fricke 20.10.2011 - 12:04 Uhr Artikel anhören

Die Anwältin Jordana Wirths (l) und die Angeklagten Helene B. (Mitte) und Wolfgang B. (r) beim Prozess-Auftakt im Landgericht Köln. Foto: Henning Kaiser

Foto: dpa

Köln. Am siebten Verhandlungstag um den Kölner Kunstfälscher-Prozess taten die Staatsanwälte endlich das, was alle von ihnen erwartet hatten. Sie brachten den Fahrplan einer Veranstaltung durcheinander, in der bislang alle Beteiligten relativ einmütig auf ein zügiges und vorzeitiges Ende des Verfahrens hingearbeitet hatten. Plötzlich servierte Staatsanwältin Kathrin Franz ein in französischer Sprache verfasstes Schreiben mit Briefkopf von Thomas und Jeanette S., aus dem hervorgehen soll, dass 1999 damit begonnen wurde, eine Sammlung Thomas und Jeanette S. aufzubauen.

Schriftstück bringt den ‚Deal’ ins Wanken

Das Schriftstück hat das Zeug zum Sprengsatz. Weder war die Existenz einer dritten, mutmaßlich fingierten Sammlung bekannt noch ging man von einer offenbar viel weiter gehenden Kooperation zwischen der angeklagten Jeanette S., ihrer Schwester Helene und deren Ehemann Wolfgang Beltracchi aus. Würde dieses Beweismittel anerkannt, dann käme die schon am dritten Prozesstag gefundene, durch umfassende Geständnisse ermöglichte „Verständigung“ ins Wanken.

„Wir brauchen einen Übersetzer“, erklärte der Vorsitzende Richter Wilhelm Kremer. „Ich bau mir doch keine Revisionsfalle“. Was folgte, war eine heftige Auseinandersetzung, in der die Rechtsanwälte in höchster Erregung auf die bereits getroffene, strafmindernde „Verständigung“ pochten.

Richter Kremer schien verärgert. Er mache keine „halbgaren Sachen“, erklärte er nach einer Pause, in der Angeklagte und Verteidiger ihre Köpfe über das ominöse Schriftstück beugten. Die Staatsanwälte sollten die neuen Beweismittel beantragen.

Versuch, eine neue Provinienz aufzubauen

Vom Dementi durch den Freiburger Rechtsanwalt Gerson Trüg, das Schreiben sei nicht von seiner Mandantin Jeanette S. verfasst, ließ sich Staatsanwältin Kathrin Franz nicht beeindrucken. Auch wenn es nicht von ihr verfasst worden sei, es sei versucht worden, diese neue Provenienz aufzubauen, beharrte sie. Das war der Moment, in dem sich Ferdinand Gillmeister, der Verteidiger von Helene Beltracchi, einschaltete. „Dann ist die Absprache nicht mehr gültig. Das wäre ein Skandal, wenn jetzt die Staatsanwaltschaft entgegen der Absprache noch in Teilbereichen wieder in die Beweisaufnahme eintreten will, während die Verteidigung mit entsprechenden Beweisanträgen nicht mehr gehört würde“, wandte er erregt ein. Reinhard Birkenstock, Verteidiger von Wolfgang Beltracchi, erinnerte daran, dass es in diesem Verfahren nur um die angeklagten Fälle geht und bat Franz, dies zu überdenken.

Störfeuer der Staatsanwälte

Richter Kremer warf ein, er bilde sich ein, vom Tatbestand der „Bande“ etwas zu verstehen. Allerdings sagte er auch, er wisse nicht, ob der Vorstoß der Staatsanwälte kurz vor dem Zieleinlauf nötig sei. Er wolle es geregelt ablaufen lassen. Oberstaatsanwalt Dirk Böshagen beschwichtigte: „Auch wir wollen in den Bahnhof einlaufen“. Er habe allerdings noch ein Problem: ein Bild, die Max Ernst-Fälschung „Tremblement de Terre“ und noch ein weiteres Bild, das er in das Verfahren einführen wolle. „Dann ist es das aber auch.“

Vorschlag zur Güte 

Richter Wilhelm Kremer machte daraufhin listig einen „Vorschlag zur Güte“: Wolfgang Beltracchi könne ja gestehen, Okay, die habe er auch gefälscht. Das aber brachte Anwalt Ferdinand Gillmeister auf die Palme. Nein, Staatsanwältin Franz suche Argumente dafür, den Vorwurf der Bande auf Fälle auszudehnen, für die sich ein bandenmäßiges Vorgehen nicht nachweisen ließe, erklärte er.

Richter Kremer schien nun keine Lust mehr zu haben und erinnerte leicht verärgert an die Verständigung. Die Staatsanwälte wären von hinten durch die „kalte Küche“ gekommen. „Entweder wir haben eine Absprache: Oder nicht, dann machen wir bis zu meiner Pensionierung Beltracchi“, warf er ein. Neun bis zehn Jahre Haft drohten, wenn der Fall von A bis Z aufgeklärt wird. Bei einer Verständigung würden Abschläge von 20 Prozent bis zu einem Drittel der Höchststrafe gemacht. Das wolle er „an dem Punkt mal sagen“, betonte Wilhelm Kremer.

Erhärten, dass eine Bande am Werk war

„Das ist immer das Risiko“, erklärte später Rechtsanwalt Gillmeister das Wesen einer Verständigung. Recht gesprochen würde auf der Grundlage der Geständnisse. Im Übrigen habe Wolfgang Beltracchi für jedes Bild eingestanden. „Was hätten Sie denn gemacht, wenn der gesagt hätte, Dérain kann ich nicht?“, fragte der Anwalt. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft wären in wesentlichen Anklagepunkten in die Beweisnot gekommen, wenn die Angeklagten nicht gestanden hätten. Deshalb seien die erheblichen Abschläge zugunsten seiner Mandantin durchaus gerechtfertigt, meinte Gillmeister. In der Anklage war noch völlig offen gelassen, wer die Bilder gemalt hatte.

Als Beobachter gewinnt man den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft sich nicht sicher ist, ob die bisherige Beweisaufnahme für die Verurteilung eines bandenmäßigen Betrugs ausreicht. Deshalb sieht es so aus, als wolle sie zum Beleg weitere Fälle heranziehen, die nicht zur Anklage kamen. Das müsste zulässig sein. Letztlich geht es darum zu erhärten, dass die Beschuldigten bandenmäßig gearbeitet haben. Andererseits hatte man sich geeinigt, dass die Geständnisse nur die angeklagten Fälle betreffen sollten.

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Alle wollen „in den Bahnhof einlaufen“

Längst fragt man sich, ob da nicht viel Theater gemacht wird. Wollen nicht alle, Staatsanwälte, Gericht und Verteidiger, planmäßig „in den Bahnhof einlaufen“, also das Verfahren wie abgesprochen vorzeitig beenden? Es wird wohl so kommen. Am Ende der Verhandlung stellte die Staatsanwaltschaft nämlich keinen Beweisantrag mehr. Dirk Böshagen schaute vielsagend ins Publikum und meinte: „Wir wollen zeigen, dass hier hart gearbeitet wird.“ Ein Urteil wird für den 27. Oktober erwartet.

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