Kunstfestival in Kairo Frauen stoßen in Ägypten den Kulturwandel an

Das abgebildete Gemälde ist Teil der Installation „The 40th Day“.
Kairo Kann Kunst die Gesellschaft verändern? Man könnte diese Frage für naiv halten, wird sie doch in den durchkommerzialisierten Kunstszenen immer häufiger resigniert mit Nein beantwortet. In Ägypten versucht seit einigen Jahren die private Initiative Art d’Égypte aber genau das: gesellschaftliche Prozesse mit und durch Kunst in Gang zu bringen. Bereits zum dritten Mal fand im Herbst das Festival der Initiative unter dem Titel „Reimagined Narratives“ statt.
Wer in diesen Tagen durch die Al-Muizz-Straße mit ihren Basaren und historischen Gebäuden schlenderte, wurde Zeuge, wie sich das über 1000 Jahre alte Stadtviertel in eine Kunstmeile verwandelte.
Ähnlich wie in Münster während der Skulpturenprojekte oder in Kassel während der Documenta gab es in historischen Häusern Kunst von 28 einheimischen Künstlern zu sehen; Freiwillige machten Führungen und beantworteten Fragen. Einmal im Jahr wird so zeitgenössische Kunst zum Teil eines Stadtviertels in Kairo.
Das ist umso bemerkenswerter, als Ägypten trotz des arabischen Frühlings eine Diktatur ist. Seit 2011 folgten auf Husni Mubarak die Muslim-Brüder mit Mohammed Mursi und auf ihn Abd Al-Fattah as-Sisi im Präsidentenamt. Jedes Mal zog das Militär im Hintergrund die Strippen. Denn ohne die Generäle geht politisch nichts im Land. Das gibt im Gespräch jeder Einheimische zu. So weit ist also alles beim Alten.
Was sich jedoch in den letzten Jahren in der städtischen Gesellschaft geändert hat, ist das kulturelle Klima. Plötzlich scheinen neue Dinge möglich. Und es sind ausgerechnet Frauen, die unter den Muslim-Brüdern marginalisiert wurden, die das Heft in die Hand nehmen: Art d’Égypte wird ausschließlich von Frauen getragen.

Seit 2005 organisiert die studierte Kuratorin Ausstellungen in Ägypten und Dubai, um zeitgenössische ägyptische Kunst und Künstler zu präsentieren.
Gründerin, Kopf, Herz und Motor der Initiative ist Nadine Abdel Ghaffar, die mit ihrem Enthusiasmus ihre gesamte Umgebung ansteckt. Sie konnte sogar den Imam des Mausoleums und Hospitalkomplexes Qalawun nicht nur davon überzeugen, eine Kunstausstellung in den geweihten Räumen zuzulassen. Es war sogar möglich, etwa in Form von Ghada Amers „Borqa“ (Burka) eine eindeutig politische Arbeit auszustellen: Das symbolträchtige Kleidungsstück ist hier aus Dessousstoff gefertigt und bildet in der Mundöffnung aus Brüsseler Spitze das arabische Wort „Angst“. Unter Einsatz von Charme und Wortgewalt gelang es Ghaffar, einige solch subversiver Arbeiten durchzusetzen.
Die Eigenheiten der ägyptischen Kultur sind ihr ein zentrales Anliegen. „Für Ägypten wollten wir Kunst in einem Zusammenhang zeigen, der die Lebenswirklichkeit einbezieht“, erklärt sie. „Wir wollen also an die Tradition anknüpfen. Und der White Cube gehört nicht dazu.“ Eine Anspielung auf das klassische Ausstellungskonzept, das Kunst am liebsten vor weißen Wänden zeigt. Die Einbindung der urbanen Struktur und der zumeist jugendlichen Bewohnerinnen der jeweiligen Stadtviertel als Vermittler macht das Festival glaubwürdig und führt zu Akzeptanz in der Bevölkerung.

Die gewobene Arbeit von Heba Y. Amin ist das Negativ der ersten Fotografie, die 1839 auf dem afrikanischen Kontinent gemacht wurde.
Der Bau- und Tourismusunternehmer Samih Sawiris ist Spross der wohl reichsten Familie des Landes und engagiert sich mit seiner Familienstiftung für die Art d’Égypte. In Deutschland wurde er zuletzt durch die Übernahme der Reste von Thomas Cook bekannt. Als Kopte ist er Mitglied einer Minderheit, die in Ägypten lange unterdrückt wurde. Sawiris lobt: „Es geht hier nicht nur um die Kunst, sondern es ist das Zusammenwirken von Kunst und Altertümern, die bisher nie für die gesamte Gesellschaft nutzbar waren. Dass diese Häuser jetzt geöffnet werden, ist ein Verdienst dieser Initiative.“
Kunst sei gar nicht so sein Metier, gibt Sawiris zu. Er denkt in größeren Zusammenhängen: „Kunst ist ein unglaublich wichtiger Bestandteil der Gesellschaft, und die jungen Künstler sind ein wichtiger Teil der jungen Generation.“ Dem Regime der Muslim-Brüder konnten er und seine Familie nichts abgewinnen.
Doch auch den säkularen Regierungen attestiert der Unternehmer Defizite: „Wir hatten leider in der jüngeren Vergangenheit nur religiöse Kunst und Kultur. Ich finde, so etwas wie das hier ist eine neue Gegenbewegung.“ Regimekritik enthalte die Initiative keineswegs: „Das hat keinen politischen Hintergrund, sondern einen gesellschaftlichen.“ Als hinge das eine nicht mit dem anderen zusammen. Doch die Grenzen sind fließend zwischen Freiheit der Kunst und politischer Freiheit.

Ghada Amer verwendet in seiner Arbeit Stoff für Dessous.
Einer der Sponsoren des Events ist BMW. Der deutsche Autokonzern ist seit vielen Jahren weltweit im Kunstsponsoring aktiv, nicht nur bei glamourösen Veranstaltungen wie der Art Basel in Basel, Miami und Hongkong, sondern unter anderem auch bei der Kochi-Muziris-Biennale in Indien.
Thomas Girst, dem Leiter des Kulturengagements der BMW Group, sind die ethischen Fragen im Zusammenhang mit einer Förderung in nicht demokratischen Ländern durchaus geläufig. „Wir glauben an Austausch und Dialog“, erklärt er. „Die Kunst hat sich hier Freiräume erkämpft, Haus um Haus und Straße um Straße.“ Mit diesen martialischen Worten versucht der Kulturmanager zu vermitteln, wie mühselig die Arbeit der Organisatorinnen in einer traditionalistischen Gesellschaft ist. „Den mutigen Frauen hinter Art d’Égypte ist es gelungen, selbst in einer Moschee im alten Kairo Künstlerinnen auszustellen, deren Werke die Zustände im Land zumindest hinterfragen.“
Der Grat ist schmal zwischen gesellschaftlichem Engagement und Unterstützung eines brutalen Regimes, dessen sind sich die Beteiligten bewusst. „Sich vor Ort ein Bild zu machen, kritisch wie differenziert, das ist es, worauf es ankommt“, fasst Girst seine Motivation zusammen.
Die Reise wurde von BMW ermöglicht.
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