Kunstmarkt Deutsche Galerien fürchten schwere Umsatzeinbußen

Der Galerist Philipp von Rosen hat das Ende der Ausstellung in eine unbestimmte Zukunft verlegt. So bleibt die Chance, dass die Arbeiten von Yelena Popowa nach dem Shutdown noch zu sehen sein werden.
München Es ist in diesen Wochen gespenstisch ruhig auf dem Gelände der ehemaligen Leipziger Baumwollspinnerei, dem Galerieviertel der sächsischen Messestadt. Christian Seyde von der Galerie Kleindienst sprach am vergangenen Mittwoch von absoluter Stille. Nicht nur in den loftartigen Galerieräumen, sondern auch in seinem elektronischen Briefkasten – abgesehen von einer Flut marktschreierischer Newsletter. Die Zahl der Anfragen ist auf null gesunken.
März bis Juni – das ist die Zeit, in der die Galerie bislang immer ihren größten Umsatz machte. Für April war eine Ausstellung mit neuen Arbeiten von Tilo Baumgärtel geplant. Der Star der sogenannten Neuen Leipziger Schule ist schon seit Längerem international gefragt.
Der Ausfall würde Kleindienst hart treffen. Die Verschiebung in den Herbst ist mit einigen Fragezeichen versehen. Der Nimbus der atelierfrischen Bilder wird dann nicht mehr so ganz erfüllt sein. Und im September, berichtet Seyde, eröffnet die Galerie Eigen + Art eine Ausstellung mit Neo Rauch. Kein gutes Timing. Seit gestern denkt Kleindienst über einen Mai-Termin nach.
Einen zusätzlichen Schlag versetzte der Galerie ein Kunde aus den USA. Aus Angst und Unsicherheit vor den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ist er vom Kauf eines 50.000 Euro teuren Bilds zurückgetreten.
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Für die Galerie, deren Jahresumsätze knapp unter einer Million Euro liegen, lief das Geschäft vor der Krise sehr gut. Aber auch Reserven schmelzen wie Schnee in der Sonne, wenn der Shutdown zu lange dauert und die wirtschaftliche Erholung ausbleiben sollte. „Letztes Jahr um diese Zeit hätte ich nicht so ruhig dagesessen“, sagt der Leipziger Galerist.
Aber jetzt bleibt Seyde nichts anderes übrig. Ganz Deutschland ist im Stillstand, daran ändern auch die vor wenigen Tagen beschlossenen Lockerungsmaßnahmen der Regierung wenig. Denn auch wenn die Galerien geöffnet sind, es fehlen die Kunden.
Die Anbieter befürchten für 2020 einen Umsatzrückgang von 30 bis 40 Prozent. Für das darauffolgende Jahr erwarten sie eine spürbare wirtschaftliche Delle, kein Zurück zum „business as usual“, wie eine Rundfrage des Handelsblatts bei zahlreichen Galeristen ergab.
„Nicht alle Galerien werden diese Durststrecke überleben“, sagt Birgit Maria Sturm, Geschäftsführerin des Bundesverbands Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG).
Wie überall in der Wirtschaft sind derzeit kleine Anbieter besonders stark bedroht. Laut einer Umfrage des Verbands erwirtschaften etwa 50 Prozent deutscher Galerien einen Umsatz von nur 50.000 bis 200.000 Euro im Jahr. Einnahmen von über 500.000 Euro erzielen 14 Prozent der Unternehmen.
Ähnlich ist es in Frankreich, wo der Verband Comité professionnel des galeries d‘art nach einer Befragung seiner Mitglieder die Schließung von etwa einem Drittel aller Galerien als Folge der Pandemie prognostizierte.

Der 2013 entstandene Scherenschnitt erscheint heute wie ein Sinnbild des Lockdowns (Ausschnitt).
Was hilft, sind die Rettungspakete der Bundesregierung und der Länder, von denen auch zahlreiche Galerien profitiert haben. Auch die Galerie Klemm‘s in Berlin erhielt rund 14.000 Euro. Das war wie ein Aufatmen, hilft aber bei monatlichen 6500 Euro Mietkosten nicht auf die Dauer.
Die hohen Mieten, insbesondere in den Innenstädten, könnten eine Welle von Insolvenzen innerhalb des mittelständischen Gewerbes auslösen, warnen die Gründer von Lumas, Herausgeber und Vertreiber von Foto-Editionen in hohen Auflagen.
Stefanie Harig und Marc Ullrich forderten in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin einen Pakt für gewerbliche Mieten, in dem die Vermieter auf einen Großteil der Miete verzichten sollten, Mieter so viel zahlen, wie es ihnen möglich ist, und der Rest aus einem Rettungsinstrument des Staates dazugegeben werden sollte.
Projekte auf Eis gelegt
Sebastian Klemm ist gemeinsam mit Silvia Bonsiepe Eigentümer der Galerie Klemm‘s. Der Berliner hat sich darauf eingestellt, dass Firmensammlungen, Fördervereine wie „PIN.Freunde der Pinakothek der Moderne“ oder institutionell ungebundene Initiativen wie „outset“ infolge der schrumpfenden Wirtschaft weniger kaufen. Ihnen fehlt das Geld beziehungsweise die Mäzene.
Für eine Galerie wie Klemm‘s, die in diesem Jahr mit dreißigprozentigen Umsatzrückgängen rechnet und sich in diesem Jahr auf 700.000 Euro Umsatz einstellt, bedeutet das Senkung von Kosten und Investitionen.
„Manches Projekt könnte dadurch auf Eis gelegt werden“, so der Galerist zum Handelsblatt. Gerade Künstler, die noch nicht den Status einer Marke haben, bekämen dadurch weniger Chancen.
Warten auf das Ende des Lockdowns
Noch sind fast alle Kunstmessen abgesagt. Einige Frühjahrsveranstaltungen wie etwa die Art Cologne oder auch das Gallery Weekend in Berlin sind in den Herbst verschoben worden.
Das sieht Silke Thomas, Mitinhaberin der Galerie Thomas in München, skeptisch. Es gäbe eine zu hohe Konzentration der Messen von September bis November. „Normalität herzustellen durch Messen als Kunstmarktplattformen ist sicher gut und wichtig. Aber es wird den Clash der Angebote geben“, so die Münchnerin.
Für Galeristin Thomas ist es noch zu früh, über einen Aderlass der Galerien zu reden. Sie erinnert sich an die Finanzkrise von 2008, als binnen einer Nacht die Banken stürzten. „Es kam letztlich nicht zum dramatischen Preisverfall auf dem Kunstmarkt. Wir haben aber gesehen, dass sich Sammler auf klassische Werte besinnen.“
Da passt ihre aktuelle Ausstellung wie ein Rettungsboot auf stürmischer See: „Munch bis Uecker – Meisterwerke von der Klassischen Moderne bis zur zeitgenössischen Kunst“ wartet auf das Ende des Lockdowns, das sich jetzt für Geschäfte bis 800 qm Größe abzeichnet und für ihre Galerie zutrifft.

Kunst ohne Publikum in der Galerie Thomas in München
Optimistisch äußerte sich auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters, wenn sie im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ feststellte: „Die bildbetonte Branche kann sich im Netz, das ja selbst vom Visuellen lebt, gut präsentieren. Der Kauf eines Kunstwerks ist nicht allein vom Besuch in der Galerie abhängig, sondern vom Vertrauen zwischen Galeristen, Künstler und Kunden.“
Die Basis dazu kann aber nur in kontinuierlicher Galeriearbeit entstehen, wie die Erfahrung von Johannes Sperling zeigt. Mit einem Jahresumsatz von etwas über 100.000 Euro hat die Münchener Galerie Sperling keine großen Aktionsspielräume.
Noch im Februar eröffnete sie die Ausstellung „Adventure Room“ der Performance-, Film- und Installationskünstlerin Anna McCarthy. Ohne Vernissage und Besichtigungschance vor Ort wäre der Dialog mit einem kaufinteressierten Sammler wohl nicht entstanden.
Sperling hofft in diesen Zeiten mehr denn je auf das Geschäft. Aber er stellt auch klar, dass derzeit jedes Geschäft vor dem Shutdown angebahnt wurde. Klappt der Verkauf nicht, wäre die aufwendige Ausstellung umsonst gewesen.
Schrumpfende Budgets
Zwischen Furcht und Zuversicht schwankt der Kölner Galerist Philipp von Rosen. Am 13. März eröffnete er die Ausstellung „Landscapes of Power“ mit Arbeiten von Yelena Popova. Seitdem betrat keiner mehr die Räume. Von Rosens größte Befürchtung ist, dass das für Kunstkäufe zur Verfügung stehende Budget privater Sammler durch eine Rezession schrumpfen könnte. „Ich rechne mit Einschnitten“, sagt er.
Von Rosen handelt gerade nicht mit den viel zitierten Blue Chips. Die Kunst seiner Galerie kostet zwischen 1500 und 80.000 Euro. „Aber auch in schwierigen Zeiten bleibe ich meinem Programm treu, und Videokunst, einer meiner Schwerpunkte, ist nicht gerade leicht zu vermitteln.“
Der Kölner versteht sich als Ausstellungsmacher, der das Kulturleben bereichert. Er hält es für „völlig absurd, dass Verlage und Buchhändler von dem vergünstigten Mehrwertsteuersatz profitieren, Galeristen aber nicht“.
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von sieben auf 19 Prozent für Kunstgüter vor sechs Jahren beschreibt auch der BVDG als eine Ursache, dass bereits in den letzten Jahren zahlreiche Galerien schließen mussten. Der Verband appelliert an die Politik, angesichts der bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands das Thema wieder auf die Agenda zu setzen.
Mehr: Art Market Report: Der Kunstmarkt geht in eine ungewisse Zukunft
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.