Kunstsammlung Hess Wurde Campendonks „Bild mit Tieren“ zu Unrecht restituiert?

Das Gemälde wurde Ende 2019 restituiert und mit Hilfe öffentlicher Gelder für das Leopold-Hoesch-Museum in Düren zurückerworben.
Düsseldorf Ende 2019 wurde Heinrich Campendonks Gemälde „Tiere/Bild mit Tieren“ an die Erbin der jüdischen Kunstsammler Alfred und Tekla Hess restituiert und für 550.000 Euro mit Hilfe öffentlicher Gelder für das Leopold-Hoesch-Museum in Düren zurückerworben. Der Berliner Rechtsanwalt Ludwig von Pufendorf bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Rückgabe.
Von Pufendorf sieht Parallelen zur voreiligen Restitution der gleichfalls aus der Hess-Sammlung stammenden „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner durch den Berliner Senat im Jahr 2006. Die damals unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefällte Entscheidung, das Bild aus dem Brücke Museum an Anita E. Halpin, die Enkelin der Vorbesitzer, zurückzugeben, ist bis heute umstritten.
Im Fall des Campendonk-Gemäldes wurde das Leopold-Hoesch-Museum bereits 2005 mit der Restitutionsforderung der Hess-Erbin konfrontiert. 2017 entschied sich Düren, das Bild gemäß den 1998 vereinbarten „Washingtoner Prinzipien“ zurückzugeben und Verhandlungen aufzunehmen. Doch der Prozess wurde für eine weitere Überprüfung unterbrochen, als im Sommer 2018 im Kerber Verlag von Pufendorfs Dokumentation zur Restitution von Ernst Ludwig Kirchners Straßenszene, „Erworben Besessen Vertan“, erschien.
Im Kern geht es in diesem Buch um den Versuch nachzuweisen, dass Kirchners Straßenszene nicht verfolgungsbedingt verloren gegangen sein kann. Jetzt arbeitet von Pufendorf an der zweiten Auflage und möchte die Einsicht in die der Campendonk-Restitution zu Grunde liegenden Gutachten und Forschungsunterlagen gerichtlich erzwingen.
Museumsdirektorin Anja Dorn hatte „neuere Erkenntnisse“ und datenschutzrechtliche Bedenken als Begründung für die Ablehnung vorgebracht, wollte sich dazu auf Nachfrage jedoch wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern. Die Klage gegen die Stadt Düren, die von Pufendorf Ende Dezember 2020 vor dem Verwaltungsgericht Aachen erhob, liegt dem Handelsblatt vor.

Das ebenfalls aus der Hess-Sammlung stammende Bild aus dem Brücke Museum wurde 2006 restituiert und noch im selben Jahr bei Christie's für 38 Millionen Dollar versteigert. Es hängt heute in der Neuen Galerie New York (Ausschnitt).
Der Provenienzforscher Kai Artinger hat für die Stadt Düren den Fall des Campendonk-Bildes aufgearbeitet und das langwierige Procedere in einem Buchbeitrag veröffentlicht. Demnach wurde das expressionistische Tierbild so wie Kirchners Straßenszene und weitere Teile der Hess-Sammlung im Kunsthaus Zürich eingelagert, bis sie 1937 zu Verkaufszwecken an den Kölnischen Kunstverein verschickt wurden.
Insgesamt gingen 70 Werke auf die Reise, angeblich, wie Tekla Hess 1958 eidesstattlich versicherte, auf Druck der Geheimen Staatspolizei des NS-Regimes. Eine Darstellung, die bereits der Provenienzforscher Andreas Hüneke 2005 in seinem Gutachten über den „Fall Hess“ für ziemlich unwahrscheinlich hielt, was Artinger anmerkt.
Wie Campendonks „Bild mit Tieren“ nach seiner Ankunft in Köln auf den Kunstmarkt gelangte, ist laut Artinger „nicht eindeutig belegbar“. Es bestünde jedoch „der begründete Verdacht“, dass es gestohlen wurde. Indizien zufolge hatte ein Mitarbeiter des Kunstvereins Werke aus der Sammlung Hess, darunter wohl auch das „Bild mit Tieren“, an sich genommen und an den Maler Peter Herkenrath und einen Kunsthändler weiterverkauft.
Vermutlich hat das Bild Köln gar nicht verlassen. Denn im Sommer 1947 tauchte das Gemälde in der Kölner Galerie Dr. Werner Rusche, einem Kunden des Kunsthändlers, wieder auf. 1950 verkaufte es schließlich die Düsseldorfer Galeristin Hella Nebelung an den Dürener Fabrikanten Felix Peltzer, dessen Witwe es fünf Jahre später dem Leopold-Hoesch-Museum schenkte.
Für die Frage, ob die Restitution berechtigt war, spielt die eidesstattliche Erklärung seitens Tekla Hess, sie sei durch die Gestapo zur Versendung der Bilder nach Deutschland gezwungen worden, eine zentrale Rolle. „Für die Gestapo-Bedrohung gibt es in der gesamten erhalten gebliebenen Korrespondenz der Sammler-Witwe keinen Hinweis“, argumentiert von Pufendorf. Noch dazu habe ihr Sohn Hans Hess 1961 seinen Antrag auf Rückerstattung der Sammlung auch deshalb zurückgenommen, weil er „keine Beweise für einen „Entziehungstatbestand“ vorlegen konnte.
Der Stadt Düren reicht das nicht. Sie möchte an der eidesstattlichen Versicherung von Tekla Hess so lange nicht rütteln „wie sie nicht durch Gegenbeweis oder zumindest ganz erhebliche, unbestrittene Fakten nachhaltig erschüttert wird“. Sie hätten den Sachverhalt umfassend geprüft, erläutert Museumsdirektorin Dorn auf Nachfrage.
Schwere Vorwürfe
Von Pufendorf kämpft unterdessen weiter gegen eine Restitutionspraxis, die sich seiner Ansicht nach über Erkenntnisse hinwegsetzt, die deutlich gegen eine Rückgabe sprechen. Da das Bild nicht verfolgungsbedingt nach Köln gelangt sei und nach dem Zusammenbruch von 1945 noch vorhanden gewesen wäre, könnte sich sich an der öffentlichen Eigentümerschaft nichts geändert haben. Für ihn besteht angesichts der Vorgehensweise in Düren der dringende Verdacht, dass dort „unter Veruntreuung öffentlicher Gelder widerrechtlich restituiert“ wurde.
Ein schwerer Vorwurf, den die Stadt Düren zurückweist. Die Ergebnisse ihrer sorgfältigen Recherche zum Leben von Tekla Hess, zum Leben ihres Sohns Hans Hess, zur Provenienz der Arbeit „Tiere/Bild mit Tiere“ von Heinrich von Campendonk und die vorliegende eidesstattliche Erklärung von Tekla Hess, aber auch die Restitutionen an die Familie Hess in Berlin und Ludwigshafen sowie die Stellungnahme der Kulturstiftung der Länder zum Dürener Fall hätten „für einen verfolgungsbedingten Kulturgutverlust gemäß der Washingtoner Prinzipien“ gesprochen, argumentiert Dorn. „Das Bündel dieser Gründe lag der politischen Entscheidung zu einer Restitution zugrunde.“
Am Ende führt Argumentieren nicht weiter. Denn in Anlehnung an die Grundsätze des Wiedergutmachungsgesetzes der Nachkriegszeit empfiehlt die Handreichung zur „Gemeinsamen Erklärung“ eine Beweislastumkehr. Dafür reicht es aus, dass den Nachkommen der Hess-Familie das Werk während des NS-Regimes nur vermutlich „verfolgungsbedingt entzogen“ wurde. Denn letztlich weiß man nicht, wann genau und wie das Bild zwischen 1937 und 1945 abhanden kam.
Das Leopold-Hoesch-Museum hätte diese Vermutung zu widerlegen. Das hat es nicht getan. Mit der „Gemeinsamen Erklärung“ hatten sich Bund, Länder und Gemeinden im Nachgang zur „Washingtoner Konferenz“ von 1998 selbst verpflichtet, Nazi-Raubkunst zu identifizieren und so rasch wie möglich restituieren zu wollen.
Einsicht im öffentlichen Interesse
Für Ludwig von Pufendorf geht es am Ende um mehr als das Campendonk-Bild oder um Kirchners Straßenszene: Er kritisiert auch die Restitution des Kirchner-Gemäldes „Urteil des Paris“ aus dem Ludwigshafener Wilhelm-Hack Museum. Außerdem haben die Vertreter der Familie Hess Ansprüche auf drei weitere Expressionisten aus nordrhein-westfälischen Sammlungen angemeldet. Die Untersuchungen laufen noch.
Unabhängig davon dürfte es freilich im Interesse der Öffentlichkeit sein, dass Restitutionsforscher Einsicht in die Gutachten nehmen können. Diese wurden schließlich mit öffentlichen Geldern bezahlt.
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