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Museen im Lockdown Dresdener-Museumschefin Marion Ackermann: „Die Autonomie der Kunst steht in Frage“

Die renommierte Museumsleiterin spricht über das autoritäre Zusperren der Museen, über den fehlenden politischen Diskurs in Coronazeiten und den dreisten Juwelenraub im Grünen Gewölbe.
04.03.2021 - 15:05 Uhr Kommentieren
„Auch ein Museum verändert sich in der Pandemie. Wir können nicht nur unser Programm abspielen“, sagt die Generaldirektorin der Staatlichen Museen Dresden. Quelle: SKD/David Pinzer
Marion Ackermann

„Auch ein Museum verändert sich in der Pandemie. Wir können nicht nur unser Programm abspielen“, sagt die Generaldirektorin der Staatlichen Museen Dresden.

(Foto: SKD/David Pinzer)

Düsseldorf Marion Ackermann ist Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und damit womöglich Deutschlands einflussreichste Museumsleiterin. So schwer die vergangenen Monate im Lockdown und nach dem Diamantenraub im historischen Grünen Gewölbe auch waren, so leidenschaftlich steht sie für ihre Ideen ein.

Das Jahresmotto ihrer 15 Häuser, „Einsamkeit und Empathie“, spiegelt sich genauso in den für das laufende Jahr geplanten Ausstellungen wie in einer Postkartenaktion der Mitarbeiter. Dabei verschickten die Beschäftigten Karten mit beliebten Motiven aus den SKD-Museen als Aufmunterung an die Bewohner in Dresdner Altersheimen.

Marion Ackermann sagt: „Die überall zu beobachtende Solidarität der Menschen während der Pandemie ist doch ein so schönes Signal. Das wollten wir mit unserer Aktion verstärken.“

Frau Ackermann, seit Monaten sind auch die Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden wegen des Lockdowns geschlossen. Wie fühlt sich das für Sie an?
Marion Ackermann: Es ist für mich eine Zeit der zwei Geschwindigkeiten. Da ist einerseits der erzwungene Stillstand. Andererseits empfinde ich eine unglaubliche Beschleunigung, und zwar mit Blick auf die Vielzahl der aufgeladenen gesellschaftlichen Debatten.

An was denken Sie im Speziellen?
An Black Lives Matter, an die Diskussion über die koloniale Vergangenheit Europas, an die Kontroversen zum Verhältnis mit Russland – unsere Demokratie wird gerade konfrontativ sehr breit erfasst. Und damit auch die Museen, die genau das ja abbilden wollen: Den Diskurs und die Historie, verknüpft mit aktuellen Debatten, die uns in die Zukunft begleiten.

Klingt auch für eine Generaldirektorin nach einer besonders anstrengenden Zeit?
So ist es auch. Wir müssen unentwegt und jetzt noch konzentrierter konzeptionell am Museum der Zukunft arbeiten. Aber dafür gibt es auf anderen Gebieten eine neue Leichtigkeit. Die internationale Zusammenarbeit mit anderen Häusern geht per Video viel schneller und effizienter, und auf Konferenzen sind jetzt irgendwie alle gleich. Es findet per Bildschirm eine Art Demokratisierung des Kulturbetriebs statt, Hierarchien verlieren stark an Bedeutung.

Durch die Performance bei der Jahrespressekonferenz der SKD richtete sich der Blick auch auf lokale Künstler. Quelle: Oliver Killig
Enrico Sutter „A Still Live“

Durch die Performance bei der Jahrespressekonferenz der SKD richtete sich der Blick auch auf lokale Künstler.

(Foto: Oliver Killig)

Museen galten vor der Schließung nicht als Hot Spots, die im Verdacht standen, die Ausbreitung des Corona-Virus entscheidend zu begünstigen. Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?
Nicht unbedingt ungerecht behandelt. Aber dass wir auf staatliche Anordnung zur Stilllegung unseres Betriebs ohne jeden Spielraum für individuelle Maßnahmen vorsichtiger Wiedereröffnung gezwungen werden, ist nicht leicht zu verarbeiten. Immerhin steht damit die Autonomie der Kunst und der Wissenschaft, die gesetzlich verankert sind, in Frage. Dieser autoritäre Ansatz schmerzt bei aller Freude über die Solidarität in der Museumsszene und der gesamtgesellschaftlichen Hilfsbereitschaft vieler Menschen.

Sie sprechen das Autoritäre durch die Politik an. Denken Sie da auch an die oft diskutierte vermeintlich fehlende Legitimation der Anordnungen durch die Parlamente?
Grundsätzlich hat die Politik meines Erachtens die erste Welle im vergangenen Jahr gut bewältigt. Da waren schnelle und pragmatische Entscheidungen gefragt und richtig. Jetzt, seit der zweiten Welle, haben sich leider viele notwendige Debatten zu Tabus entwickelt.

Was meinen Sie genau?
Zum Beispiel die Diskussion, ob es für Geimpfte Privilegien geben kann und soll. Wir möchten, dass Menschen, von denen keine Gefahr ausgeht, möglichst rasch wieder in unsere Häuser zurückkehren können. Wir brauchen zielgruppenspezifische Lösungen auf allen möglichen Feldern und Ebenen, nicht nur für die Museen. Stattdessen wird mit vermeintlicher Gerechtigkeitslogik argumentiert, wonach für alle das Gleiche gelten soll. Wir versuchen in unseren Museen doch auch immer wieder feindifferenzierte Angebote für die verschiedensten Zielgruppen zu schaffen, beispielsweise mit wachsendem Erfolg für Kinder. Und gerade durch diese vielen verschiedenen Angebote inspirieren wir gesellschaftlichen Diskurs und stoßen Debatten an, gerade hier in Dresden.

Sie spielen auf die Pegida-Demonstrationen in Dresden an?
Unter anderem ja, aber es geht vor allem grundsätzlich darum, miteinander im Austausch zu bleiben, echte Dialoge zu führen, Kontroversen auszuhalten und radikale Perspektivwechsel auch innerhalb der Institution zu befördern. Jetzt ist gerade jede Diskussion und Kommunikation in einem direkten Austausch verstummt. Und wir können noch gar nicht absehen, wie das die Gesellschaft verändert.

Schauplatz der Sonderausstellung war das Japanische Palais. Quelle: SKD/ Foto: Oliver Killig
"Kinderbiennale Dreams & Stories"

Schauplatz der Sonderausstellung war das Japanische Palais.

(Foto: SKD/ Foto: Oliver Killig)

Das aktuelle Jahresmotto der Museen in Dresden lautet „Einsamkeit und Empathie“. Einsamkeit erklärt sich zu Corona-Zeiten von allein, aber warum Empathie?
Es gab bei meinem Start in Dresden eine Diskussionsveranstaltung zum Thema: Wie gehen wir mit Andersdenkenden um? Wie mit Immigranten, Geflüchteten? Von den konstruktiv Denkenden war am häufigsten das Wort Toleranz zu hören. Von den ausländerfeindlich gesinnten Personen im Saal wurde ich sofort ausgepfiffen, als ich sagte, das sei mir zu wenig. Denn zu Toleranz muss in jedem Fall Empathie hinzukommen. Auch ein Museum verändert sich in der Pandemie. Wir können nicht nur unser Programm abspielen. Wir wollen bei dem vorherrschenden Gefühl, bei der Einsamkeit der Menschen ansetzen. Darauf reagieren wir mit Empathie: mit einem Programm, das wir künftig anders erzählen, um Brücken zu den Emotionen der Menschen herzustellen. So ergab sich das Jahresmotto.

Wo ist die museale Empathie am deutlichsten sichtbar?
Ich finde: bei unseren speziellen neuen Angeboten für Kinder. An unserer Kinderbiennale nahmen 2018 über 50.000 Kinder und 50.000 Erwachsene teil. Da lernten alle Konzeptkunst, Performance und Partizipation spielerisch kennen. Insbesondere die Kinder waren im Lockdown die Leidtragenden. Deshalb hoffe ich sehr, dass wir die zweite Kinderbiennale mit dem Thema „Embracing Nature“ im September eröffnen können. Und dass die Kinder wieder in ihr soziales Leben zurückfinden.

Stichwort Eröffnung: Wann rechnen Sie mit der Wiedereröffnung der Museen?
Im Gespräch mit der Politik scheint es gerade um Ostern zu gehen. Doch das könnte zu einem zu großen Andrang führen. Eine den Zustrom kanalisierende Öffnung wünschen wir uns, am besten zeitlich von Ostern entzerrt für den 25. März. Und inhaltlich dann am liebsten mit der Ausstellung im Albertinum „STILL ALIVE. Werke aus der Schenkung der Sammlung Hoffmann“, die die Vergänglichkeit thematisieren. Neben dem Albertinum dürfen natürlich die Gemäldegalerie Alte Meister und das Residenzschloss als die großen Publikumsmagneten dann nicht fehlen.

Museen müssen sich wandeln. Zurzeit weitet sich der Blick auf die eigene Kunst von der euro- zur polyzentrischen Perspektive. Wie sieht das bei den SKD aus?
In Ausstellungen wie „Sprachlosigkeit. Das laute Verstummen“ im Japanischen Palais nehmen wir eine dezidiert polyzentrische Perspektive ein. Die Einbeziehung von Osteuropa ist darüber hinaus entscheidend: Die Geschichte von August dem Starken wird hier nur aus sächsischer Perspektive erzählt – und zwar heroisch ungebrochen. Aus polnischer Perspektive ist er aber tendenziell eine eher negativ besetzte Figur, dafür wird sein Sohn sehr positiv gesehen. Auch die Litauer wollen sich an die litauisch-polnisch-sächsische Geschichte erinnern. Unsere neue multiperspektivische Erzählung von August dem Starken und seinem Sohn in den Audioguides steht kurz vor der Vollendung.

Die Ausstellung mit dem restaurierten Gemälde (hier während der Freilegung des Bild im Bild an der Wand) konnte in den Herbst verschoben werden. Quelle: SKD, Foto: Wolfgang Kreische
Johannes Vermeer „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“

Die Ausstellung mit dem restaurierten Gemälde (hier während der Freilegung des Bild im Bild an der Wand) konnte in den Herbst verschoben werden.

(Foto: SKD, Foto: Wolfgang Kreische)

Behandeln Sie, gerade in Dresden, auch den Ost-West-Konflikt, der um die Würdigung der Kunst-Avantgarde in der DDR schwelt?
Wir suchen im Moment eine neue Konstruktion, wie man die Geschichte der Ost-Moderne anders beschreiben kann. Die Wahrnehmung hier vor Ort ist eine andere als im Westen. Viele Ostdeutsche befürchten, dass durch die jüngsten Ausstellungen ein neuer falscher Kanon entsteht. Um nicht die Sicht unserer Institution einzunehmen, suchen wir einen Fluchtpunkt außerhalb.

Was heißt das?
Wir haben uns etwa das Konzept der Künstlerin Else Gabriel zum Vorbild genommen: das immaterielle „Äthermuseum“, das mit Schichtung, Löschung, Überschreibung, Verstärkung von Erinnerung arbeitet. Und wir legen eine globale Perspektive auch auf die DDR-Zeit an. Zum Beispiel fragen wir: Wie ist die Havanna-Biennale von Kuba in der DDR rezipiert worden?

Für all das brauchen die SKD einen belastbaren und gleichsam stabilen Etat. Wie sieht die finanzielle Bilanz für das Krisenjahr 2020 aus?
Seit der Wiedereröffnung im Mai hatten wir einen erstaunlich intensiven nationalen Sommertourismus auch mit Jüngeren und Familien. Wirtschaftlich sind wir recht gut über die Runden gekommen. Für die ersten beiden Monate der Schließung haben wir Erstattungen bekommen. Danach blieben wir durch moderierte Öffnungen wirtschaftlich in der Balance.

Wie konnte das gelingen?
Grob gesagt nehmen die SKD in normalen Jahren zehn Millionen Euro durch Besucher ein und wenden zehn Millionen Euro auf für Sicherheit und Aufsichten. Als weniger kamen, öffneten wir nur Teilbereiche unserer Häuser. Außerdem haben wir uns ein Sparprogramm auferlegt und machen 2021 nur noch sieben große und besonders intensive Ausstellungen: Weniger ist mehr! Doch der erneute Lockdown und die Planungsunsicherheit belasten uns.

Die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) steht vor der ausgeraubten und nun ausgestellten Vitrine im Juwelenzimmer im Residenzschloss. Quelle: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild
Marion Ackermann im historischen Grünen Gewölbe

Die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) steht vor der ausgeraubten und nun ausgestellten Vitrine im Juwelenzimmer im Residenzschloss.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Stehen weitere Ausgleichszahlungen in Aussicht?
Für die Schließungen seit November durften wir beim Bund einen Antrag stellen.

Wie hat der spektakuläre Juwelenraub von 2019 die Bilanz beeinträchtigt?
Das war eine gigantische Krise für uns alle. Die zweite Krise mit Corona kam, als wir die erste noch nicht abgeschlossen hatten. Bei der Sicherheit bedarf es der Anstrengung andauernden Nachrüstens, das bezieht sich auf die Abwehr krimineller Handlungen im Digitalen wie der brachialen physischen Gewalt. Die Werkzeuge, die beim Einbruch in das Historische Grüne Gewölbe zum Einsatz kamen, waren der Feuerwehr gestohlen worden. Sie sind dafür gedacht, in deformierte Autos vorzudringen, um Menschenleben zu retten. Mit solchen Gerätschaften ist fast nichts mehr unüberwindbar.

Haben Sie noch Hoffnung, dass Augusts Juwelengarnituren wiedergefunden werden?
Ja, weil sich Juwelen anders als die ebenfalls geraubte und später eingeschmolzene Berliner Goldmünze nicht in Nichts auflösen können. Es ist sicher eine Frage der Zeit.

Halten Sie es für unwahrscheinlich, dass die geraubten Hochkaräter inzwischen umgeschliffen und zu kleineren Diamanten verarbeitet wurden?
Es erscheint wenig aussichtsreich, diese sofort erkennbaren Steine einfach umzuschleifen. Deshalb habe ich unmittelbar nach dem Einbruch auch sofort an die Täter appelliert und versucht, deutlich zu machen, dass die Objekte nicht verwertbar sind. Weder als komplette Garnituren, weil sie weltweit bekannt sind, noch, indem man die einzelnen Diamanten herauslöst. August der Starke hat Juwelengarnituren mit besonderen Schliffen aus dem 18. Jahrhundert gesammelt, man müsste also jeden Stein neu schleifen. Der Aufwand dafür würde sich bei diesen Steinen, die eher klein und nicht besonders rein sind, also Einschlüsse haben, kaum lohnen.

Ein Privatdetektiv brachte zuletzt einen Mäzen ins Spiel, der den Dieben 1,3 Millionen Euro zahlen möchte für die Rückgabe des Diebesguts. Und weitere private Kunstfreunde erhöhten den Betrag schließlich gar bis auf 5 Millionen Euro. Was halten Sie davon?
Dieses Angebot wird außerhalb der SKD anwaltlich betreut und steht bis Ende März. Die Täter werden irgendwann sicher versuchen, die Beute zu Geld zu machen. Über alles, was hilft, die wertvollen Juwelen wiederzubekommen, freue ich mich natürlich.

Frau Ackermann, wir danken Ihnen für dieses Interview.

Mehr: Privatmuseum in Berlin: „Wir wollen höchste Qualität“. Die Sammlerfamilie Bastian plant ein neues Haus für die Kunst

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