Neue Bücher zur Flüchtlingskrise Wer hat Angst vor dem Islam?

Viele Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sind Muslime.
Düsseldorf Es ist ein offener Schlagabtausch, über 122 Seiten. Ein Briefwechsel voller Ressentiments und pauschaler Vorurteile – und mit einem wahren Kern:
Lieber Hamed, ein neues Deutschland könnte neue Tugenden gebrauchen. Und arabische Asylanten könnten die deutschen Tugenden um arabische Tugenden bereichern. Was mich zu der Frage bringt: Gibt es überhaupt arabische Tugenden?
Liebe Grüße, Hans
Lieber Hans, diese Denkweise ist mal wieder typisch deutsch. Selbstverständlich gibt es arabische Tugenden: Gastfreundschaft, Bescheidenheit, Lebensfreude und Humor. Gerade jetzt braucht ihr Deutschen diese Tugenden, dann klappt es auch mit dem syrischen Nachbarn. (...) Lass uns über das reden, was uns beide in Zukunft verbinden könnte. Was könnte das sein?
Hamed
Hamed, das ist der islamkritische ägyptische Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, Hans der Unterhaltungsautor Hans Rath. Ihre Briefe lassen sich in dem Büchlein „Ein Araber und ein Deutscher müssen reden“ nachlesen, das im Herbst vergangenen Jahres entstanden ist. Eigentlich wollten sich beide per E-Mail über eine Buchidee zur Flüchtlingskrise austauschen. Aus der Korrespondenz ist dieses bemerkenswerte Buch geworden. Bemerkenswert, weil sich hier zwei auf unterhaltsame Weise über die Flüchtlingskrise streiten, um Lösungen aufzutun. Das gab es bisher in dieser Form noch nicht.
Die beiden diskutieren über alles, was im weitesten Sinne mit Flüchtlingen zu tun hat: Über die AfD und die Terrormiliz IS, den Islam und die Anschläge von Paris, die Angst der Deutschen vor dem Fremden. Über „Bio-Deutsche“ und „Neu-Deutsche“. Über deutsche Gründlichkeit und arabisches Temperament.
Es ist ein kluges und streitlustiges Buch, eines, das den Leser herausfordert, nachdenklich stimmt und gleichzeitig Spaß macht. Das liegt am Wortwitz, am Erzähltempo und daran, dass der Diskurs der Autoren sehr persönlich ist. Und endlich darf man über diese ernsten Themen – Flüchtlingskrise und Integration – auch lachen. Hamed erzählt, wie er neu nach Deutschland kam: „Jeder Deutsche schien mir wie ein Sachverständiger zu sein, der alles weiß, alles hinterfragt, alles beim Alten lässt. Oft hörte ich den Satz: ‚So was macht man nicht!’ Ich habe nie ver‧standen, was es ist, das man nicht ‧machen darf, und wer das bestimmt. Und wer verdammt ist ‚man’? Gibt es so was wie einen deutschen Common Sense?“
Deutschland verändert sich – die Flüchtlingskrise macht es nötig. Doch wie? In welche Richtung? Zu welchen Deutschen müssen wir werden? Welche Rolle spielt dabei der Islam? Antworten auf diese Fragen sucht auch das Buch „Und das ist erst der Anfang“, das Anja Reschke herausgegeben hat.
Für die „Tagesthemen“ kommentierte die Journalistin die Reaktionen, die sie bei der Sendung „Panorama“ zur Flüchtlingskrise bekam: Sie beschreibt die „Verrohung der Sprache“ und den „Ausverkauf humanitärer Werte“ und fragt: „Ist Deutschland wieder so weit, dass man Menschen ungestraft als ,Dreck’ bezeichnen kann“, weil sie eine andere Religion haben?
Nun hat sie darüber ein Buch herausgegeben, eine Sammlung von Aufsätzen zur Flüchtlingskrise. Darin lässt sich nachlesen, was Fluchtursachen sein können, wie Deutschland und Europa zu den Flüchtlingen stehen und wie sie sich aufeinander zubewegen müssen.
In einem Kapitel geht es um ein „Leitbild für Deutschland“ im Zuge der Flüchtlingskrise, das als Ziel „Die gleichberechtigte Teilhabe aller Bürger“ ausgibt. Geschrieben hat es die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan. Sie kommt zu dem Schluss: Deutschland ist davon noch weit entfernt. Zwar finden knapp 70 Prozent der Bevölkerung laut einer Studie, dass Muslime mehr Anerkennung entgegengebracht werden sollte. Doch diese Anerkennung sei nur abstrakt. Denn „mehr als ein Viertel der Befragten in Deutschland denkt, dass Muslime aggressiver seien als sie selbst, und nur jeder Zweite glaubt, dass Muslime genauso bildungsorientiert seien wie ihre eigenen Gruppe“. Deutschsein und Muslimsein würden als Gegensätze wahrgenommen.
Wir Deutsche, schreibt die Autorin, sehen uns selbst als vielfältig, offen und tolerant. Doch „empirische Realität“ verändere keine Haltung. Die großen Vorbehalte gegen den Islam zeige das Beispiel Pegida.
Beide Bücher erweitern den Blick auf ein Problem, für das erst noch Lösungen gefunden werden müssen. Dabei hilft vielleicht eine Passage aus „Ein Araber und ein Deutscher müssen reden“:
Moment mal, mein Lieber, selbstverständlich braucht es Menschen wie Dich, um diese zukünftige Gemeinschaft zu bauen. Also reiß Dich zusammen – typisch deutsche Fähigkeit übrigens –, weil: Ich setze auf Dich!
Hans
Lieber Hans, es war mir klar, dass Du als rechthaberischer Deutscher das letzte Wort haben wollen würdest. Aber den Spaß lasse ich Dir nicht. Merkst Du eigentlich nicht, dass die Worte „zusammen“ und „reißen“ sich grundsätzlich ausschließen? Eure Sprache ist der beste Beweis dafür, dass ihr euch das Leben ohne Not schwermacht. Aber vielleicht ist es das, was Deutschland am besten kann: zusammenbringen, was nicht zusammengehört, und somit wunderbare Lösungen für Probleme finden, die man vorher leicht hätte vermeiden können. Das macht Hoffnung. Aber auch Angst!
Mach’s gut, mein Lieber! Die schwierigste Zeit steht uns erst bevor.
Hamed