Max Stern: Musste der Kunsthändler unter Druck verkaufen?
Benachrichtigung aktivierenDürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafftErlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviertWir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke
Anzeige
NS-RaubkunstDie Aufarbeitung des Falls „Galerie Max Stern“ wird zum Spagat zwischen Recht und Moral
Die Erben des jüdischen Kunsthändlers Max Stern streiten um ein Gemälde in deutschem Privatbesitz. Was spricht für einen Zwangsverkauf, was dagegen?
Anfang März 1937 verkaufte Max Stern das Ölgemälde von Andreas Achenbach an Hans Gille.
(Foto: Süddeutsche Privatsammlung)
Düsseldorf Die Aufarbeitung des Restitutionsfalls „Galerie Max Stern“ ist aufgrund der mageren Quellen aus den Vor- und Nachkriegsjahren schon schwierig genug. Noch komplizierter wird sie aber durch den Umstand, dass wir es mit einem Kunsthändler zu tun haben.
So wird zum Beispiel die Frage diskutiert, unter welchen Umständen Verkäufe, die Stern zwischen 1935 und September 1937 tätigte, als normale Geschäfte oder als Zwangsäußerungen betrachtet werden müssen.
Die an der Universität Leiden lehrende Juristin Evelien Campfens warf jüngst sogar die Frage auf, ob man bestimmte Verkäufe von Kunsthändlern nicht anders behandeln müsse als private Opfer, denen Werke geraubt wurden, mit denen sie eine persönliche Geschichte verbinden.
Sie schlägt vor, dass geschäftliche Transaktionen von Händlern, die nicht unter Zwang getätigt wurden, in den Washingtoner Prinzipien als eigene, neue Kategorie behandelt werden sollten. „Für diese müssen spezielle Regeln noch formuliert werden“, erläutert die ehemalige Generalsekretärin des Dutch Restitution Committee.
Auf der Fahndungsliste von Interpol
Die Auseinandersetzung um Andreas Achenbachs Gemälde „Kalabrische Küste – Scilla“ deutet an, wie schwierig es ist, zu einem Urteil zu kommen, das Moral und Recht ausbalanciert. Im Juli 2016 reklamierte die Stern-Foundation ihren Anspruch auf das Gemälde, während es im Baden-Badener Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts ausgestellt wurde.
Restitutionsgesetz
heißt soviel wie eine nicht verbindliche politische Absichtserklärung. So werden die Prinzipien der Washingtoner Erklärung von 1998 bezeichnet.
soll in Streitfällen zwischen deutschen Museen und Erben jüdischer Vorbesitzer schlichten und eine faire und gerechte Lösung im Sinne der Washingtoner Erklärung (1998) herbeiführen. Seit Langem kritisiert werden die Unverbindlichkeit ihrer Empfehlungen und ihre schwerfällige, intransparente Arbeit.
forderte vor diesem Hintergrund jüngst der Kommissionsvorsitzende Hans-Jürgen Papier, gefolgt von SPD und CDU.
hat regelmäßig gutgläubig Eigentum an dem in der NS-Zeit verfolgungsbedingt abhanden gekommenem Kulturgut erworben. Gegen ihn besteht daher nach geltendem Recht kein Rechtsanspruch auf Herausgabe.
eines Kunstwerkes lassen sich heute in den seltensten Fällen restlos aufklären. Die Beweislast dafür kann nicht dem Privatsammler aufgebürdet werden. Denn derjenige, der einen Anspruch stellt, muss beweisen, dass er den Anspruch hat
muss nach dem Grundgesetz zwingend gezahlt werden, wenn dem Privatsammler das Eigentum durch ein Restitutionsgesetz rückwirkend entzogen werden soll. „Ein starres Raubkunstgesetz ist nicht die Lösung. Jeder Fall ist anders“, sagt die Hamburger Anwältin Christina Berking, Insbesondere ließen sich die Provenienzen in kaum einem Fall restlos klären. Es müsse daher im Einzelfall nach einer flexiblen Lösung gesucht werden. „Eine Entschädigung des Sammlers durch den Staat ist Pflicht“, ergänzt die Partnerin der Kanzlei Buse Heberer Fromm, und betont: „Der Staat darf sich nicht seiner Verantwortung entziehen.“
Dem überraschten Privateigentümer, der das Werk im März 1999 gutgläubig auf einer Phillips-Auktion in London erworben hatte, wurde ein Fahndungsbefehl von Interpol präsentiert und eröffnet, dass das Bild als NS-verfolgungsbedingter Verlust der Galerie Stern auf der Datenbank Lost Art verzeichnet worden sei.
Wenige Monate später formulierte das Holocaust Claims Processing Office (HCPO), das die Stern-Stiftung nach außen vertritt, ein offizielles Restitutionsersuchen. Es sei zwar schwierig, Entwicklung und Ausmaß der Verfolgung Sterns genauer nachzuvollziehen, hieß es damals.
Doch es sei evident, dass das NS-Regime Sterns Geschäftstätigkeit ab August 1935 beendet sehen wollte. Im Frühjahr 1936 habe Stern bereits Vorbereitungen getroffen, Deutschland zu verlassen, um sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen.
Verkauft habe er das Bild laut der Kundenkartei, die im Archiv der National Gallery of Canada in Ottawa aufbewahrt wird, am 2. März 1937; vier Wochen später habe er auch seine Düsseldorfer Geschäftsräume veräußert. Am 13. September 1937 sei er endgültig aufgefordert worden, die Galerie abzuwickeln, und dann Ende Dezember emigriert.
Bitte um Rückgabe gelassen ignoriert
Der Sammler, vertreten von dem Berliner Anwalt Ludwig von Pufendorf, konnte die Bitte um Rückgabe gelassen ignorieren, da er das Bild nach deutschem Recht gutgläubig erworben hatte. Nicht einverstanden war er jedoch mit dem Eintrag auf Lost Art durch die Treuhänder der Stern-Stiftung, weil er sich dadurch als Eigentümer kriminalisiert sah.
Von Pufendorf spricht von einer „Eigentumsanmaßung“, die letztlich zur Folge hat, dass das Gemälde praktisch nicht mehr veräußert werden kann. Die Klage, die er beim Landgericht Magdeburg einreichte, liegt dem Handelsblatt vor.
Max Stern hätte das Achenbach-Bild im Rahmen des üblichen Geschäftsbetriebs verkaufen können, argumentiert von Pufendorf im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Das 1935 vom Präsidenten der Reichskammer für bildende Künste erteilte Berufsverbot ist nicht vollzogen worden.“
Die Rückseite der Kundenkarteikarte
von Hans Gille. Auf diesen Karten vermerkte Max Stern Ankäufe und Interessensbekundungen seiner Kunden. Da die Geschäftsunterlagen verloren gingen, sind sie eine der wertvollsten Quellen für die Provenienzforschung.
(Foto: Max Stern Archiv, National Gallery of Canada, Ottawa)
Er sei auch im März 1937 noch Mitglied der Kammer gewesen, wie einem internen Vermerk vom 15. März zu entnehmen sei. Und dies würde auch erklären, warum er im Magazin „Weltkunst“ 1936 und 1937 in jeder Ausgabe als Händler hätte inserieren können.
Dabei sei ihm zugutegekommen, dass Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht zu jener Zeit aus devisenpolitischen Gründen die Versuche des Regimes stoppte, jüdische Kunsthändler zur Geschäftsaufgabe zu zwingen, ergänzt der Jurist.
Willi Korte, deutscher Sprecher der Stern-Stiftung, hat eine andere Sicht auf die Dinge. Er verweist vor allem auf die zunehmende Bedrohung durch das Naziregime nach 1935. Mehrfach habe die Gestapo Düsseldorf bei der Reichskammer nachgefragt, wie es denn nun stünde um die Geschäftsaufgabe. Dies ginge aus den in Duisburg archivierten Gestapo-Akten hervor.
Bereits 1935 hatte Stern laut Korte begonnen, Vorkehrungen für seine eigene Flucht zu treffen, nicht zuletzt angesichts der Erfahrung, dass sich seine Schwester Gerda, verheiratet mit dem regimekritischen Journalisten Siegfried Thalheimer, schon im März 1933 aus Deutschland absetzen musste. Zunächst versuchte Max Stern, seine Galerie in die Hände des holländischen Altmeisterhändlers Nathan Katz zu legen, was jedoch misslang.
Vorkehrungen für einen Neustart
Seiner Schwester Hedi, die nach Palästina geflohen war, überwies Stern 1936 fast sein ganzes Geld für einen späteren Neustart im Ausland. „In Düsseldorf betrieb er unterdessen die Geschäfte, solange es ging, um seiner Familie einen möglichst guten Start im Exil zu ermöglichen“, erläutert Korte den Hintergrund des Achenbach-Verkaufs auf Nachfrage. Nur so habe er im Januar 1938 in London als Galerist wieder loslegen können.
Die Klage gegen den von der Stern-Stiftung veranlassten Lost-Art-Eintrag beruft sich auch auf das Verhalten des Kunsthändlers nach dem Krieg. So hätte Max Stern den Käufer mithilfe seiner Kundenkartei ausfindig machen und Anspruch auf das Bild stellen können. Das habe er aber nicht getan, obwohl er zu jener Zeit mit großer Akribie eine große Zahl von Rückerstattungs- und Entschädigungsansprüchen geltend gemacht hatte.
Dem Auktionshaus Lempertz zufolge, das im November 1937 den Galeriebestand versteigerte, stellte Stern nach Kriegsende jedoch bewusst nur Ansprüche auf Gemälde, die auf der Versteigerung zurückgingen und zusammen mit Bildern aus seiner Privatsammlung von der Gestapo konfisziert und teilweise verkauft wurden.
Gewinnt der Sammler des Achenbach-Gemäldes das Verfahren am Landgericht Magdeburg, müsste nicht nur der Eintrag in Lost Art gelöscht werden. Dann dürfte der Betreiber der Plattform, hinter der das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste und damit höchster politischer Wille steht, auch seine Eintragungskriterien einer Revision unterziehen müssen. Im Grunde stünde die Datenbank zur Disposition, weil eine Plausibilitätsprüfung nicht mehr ausreichen würde.
Die Situation ist verfahren. Recht und Moral beißen sich. Die Idee der Datenbank Lost Art basiert auf den sogenannten weichen Gesetzen (soft laws) – so werden die elf Washingtoner Prinzipien aufgrund ihrer rechtlich nicht bindenden Natur auch genannt. Der Staat kann zwar öffentliche Museen und Archive dazu anhalten, die Prinzipien zu befolgen, nicht aber Privatsammler.
Deshalb kehrt nun die Forderung nach einem Restitutionsgesetz zurück. Wenn es kommt, dann hätte es zur Folge, dass alle Restitutionsbegehren nur noch streng juristisch entschieden werden könnten. Und das hätte bei der häufig lückenhaften Quellenlage die Ablehnung vieler Rückgabeansprüche zur Folge. Die Washingtoner Prinzipien hätten dann ausgedient.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.