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Paris PhotoDen Deutschen 619 Mal ins Gesicht geschaut

August Sanders Porträtwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ wurde erst durch posthume Neuabzüge richtig bekannt. 619 Fotografien zählt ein kompletter Satz. Ein Exemplar bietet nun sein Urenkel an.Christiane Fricke 21.11.2024 - 07:53 Uhr aktualisiert Artikel anhören
Julian Sander zeigt auf der Paris Photo die komplette Fotoserie seines Urgroßvaters August Sander, „Menschen des 20. Jahrhunderts“. Schauplatz ist eine 36 Meter lange Wand im Grand Palais. Foto: Sean Hemmerle; VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Düsseldorf. Es gibt einen Stand auf der Messe „Paris Photo“, den man so schnell nicht vergessen dürfte: die 36 Meter lange Wand im Grand Palais, auf der Julian Sander das posthum abgezogene Opus Magnum seines Urgroßvaters August Sander (1876–1964) abrollt: den kompletten Satz seiner Epoche machenden Porträtserie „Menschen des 20. Jahrhunderts“. Dabei ging es August Sander darum, eine ganze Gesellschaft, mit allen ihren Mitgliedern aus den unterschiedlichsten Berufen und Milieus, abzubilden.

Auf 619 Fotografien in sieben Gruppen wurde das Werk nachträglich beziffert, das Sander seit den 1920er-Jahren als Langzeitprojekt verfolgte, aber 1964, als er starb, unvollendet hinterlassen musste. Es gab zwei Rekonstruktionsversuche, die jeweils bei Schirmer Mosel veröffentlicht wurden: den ersten, 1980 durch August Sanders Sohn Gunther Sander, und einen zweiten, den die SK-Stiftung Kultur in Kooperation mit Gerd Sander, Sohn von Gunther und Vater von Julian Sander, 2001 in sieben Bänden vorlegte.

Parallel zu den Forschungsarbeiten für den zweiten Rekonstruktionsversuch hatte sich Gerd Sander vorausschauend die Berechtigung für die Anfertigung von sieben Sätzen zusichern lassen. Die Abzüge nebst Retuschen fertigte damals sein Assistent Jean-Luc Differdange von original Glasplatten-Negativen im Labor der SK-Stiftung an.

Zwei Exemplare der sieben Konvolute wurden zwischenzeitlich verkauft, 2012 eines im Nachgang zur 30. Biennale de São Paulo an eine Schweizer Privatsammlung und ein weiteres 2015 an das Moma in New York. Über den Preis bewahrte Julian Sander seinerzeit Stillschweigen. Er nannte jedoch die Summe, die er für ein drittes, dem Markt angebotenes Exemplar ansetzen würde: 3,2 Millionen Euro.

Heute stehen für einen kompletten Satz 2,5 Millionen Euro im Raum, umgerechnet 4000 Euro pro Blatt, rechnet Maren Klinge vor. Sie betreut bei Julian Sander den Nachlass seines Vater.

Verständlich, dass Julian Sander keinen Aufwand scheute. Seinen Auftritt auf der Paris Photo flankiert er mit einer englischsprachigen Publikation, die er nebst einem 16-seitigen Leporello in einer auffällig gestalteten Banderole präsentiert. Der Clou: Sämtliche 619 Fotos sind abgebildet, wobei die Reihenfolge der 2001 publizierten Abfolge folgt: von der dem Berufsstand des Bauern gewidmeten ersten Gruppe, der sogenannten „Stammmappe“, bis zu den „letzten Menschen“ der siebten Gruppe, den Idioten, Kranken und Irren.

Das Architektenehepaar [Dora und Hans Heinz Lüttgen], 1926 fotografiert von August Sander, in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts abgezogen von seinem Enkel Gerd Sander. Foto: Estate Gerd Sander; VG Bild-Kunst Bonn 2024

Erkennbar ist diese Reihenfolge keineswegs auf Anhieb, da Julian Sander die Leserichtung nach durchnummerierten Gruppen und Mappen stört, indem er die Serie von innen nach außen fortschreitend spiralförmig abrollt. So zwingt er dazu, sich das vermeintlich Bekannte einmal wieder genauer anzusehen und sich auf neue Bildnachbarschaften einzulassen.

August Sander zählt zu den einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Die Voraussetzung dafür schufen seine Nachkommen, indem sie sein Werk überhaupt erst einmal sichtbar machten. Im Gegenzug wurden und werden sie von ihm genährt – inzwischen in der fünften Generation, die Kinder von Urenkel Julian Sander mit eingerechnet. Es ist jedoch nach wie vor schwierig, sich einen Überblick über die posthumen Neuabzüge und Auflagen zu verschaffen, die im Laufe der Jahrzehnte aus dem Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ hervorgingen.

Die Galerie hat, Klinge zufolge, Fortschritte mit der Datierung der Abzüge gemacht, die von August selbst und von Gunther angefertigt wurden. Bezüglich der Editionen ist, soweit sie es sieht, „alles deutlich von Gerd gekennzeichnet“. Es sei „nur“ noch eine Frage der entsprechenden Katalogisierung und Erfassung im System.

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Entscheidend ist die Geschichte des Abzugs

Julian Sander erwähnt auf Nachfrage ein seit geraumer Zeit fertig geschriebenes Handbuch, für das ein Verleger jedoch noch gefunden werden müsse. Er selbst, ausgebildeter Programmierer, kam zwischenzeitlich auf die Idee, ein Werkverzeichnis in Form einer digitalen Datenbank anzulegen, das jederzeit aktualisiert werden kann.

Basis ist ein analoges, in mehr als 100 Aktenordnern abgeheftetes Archiv von Kontaktabzügen und ihnen zugeordneten Informationen, mit deren Hilfe sein Vater Gerd die 2001 publizierte Rekonstruktion vorantrieb. Diese „Datenbank“ soll jedoch nicht auf einer Website zu Hause sein, sondern für alle sichtbar auf der Blockchain gespeichert werden.

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