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Peter Sloterdijk wird 70Mit einer Prise Ironie
Peter Sloterdijk findet seine Themen jenseits des Mainstreams: Der Philosoph der Nation ist der Störer der geistigen Ruhe. Heute wird der erste Intellektuelle der Republik 70 Jahre alt.
Wenn man so will, ist Sloterdijk selbst zu einem bunten Hund der Gesellschaft geworden, der sich hinlegt, wo er will.
(Foto: imago/Stephan Wallocha)
München Linke halten ihn für einen Rechten, Rechte für einen Linken, er selbst nennt sich „linkskonservativ“. Schon der Versuch dieser Art von Gehirngeografie zeigt: Peter Sloterdijk ist ein Mann zwischen den üblichen Frontlinien, ein philosophischer Poet der Überraschung. Das hat ihn zum ersten öffentlichen Intellektuellen des Landes gemacht. Deshalb liest man ihn oder hört ihm zu.
Im Grunde ist der mitteilungsfreudige Geisteswissenschaftler – Sohn einer Deutschen und eines holländischen Matrosen – jenem Kynismus verpflichtet, den er 1983 in seinem ersten Erfolgsbuch „Kritik der zynischen Vernunft“ abgehandelt hat.
Kyniker vermittelten im antiken Griechenland die Idee von der Selbstbescheidung und größtmöglichen Unabhängigkeit, und am nachhaltigsten wird das illustriert durch die Anekdote von der Begegnung zwischen Herrscher („Ich bin Alexander, der große König“) und Denker („Und ich bin Diogenes, der Hund“). Dieser Diogenes von Sinope, der sich als Erster überhaupt „Kosmopolit“ nannte, ist für Sloterdijk ganz offenbar ein Asozialer mit Ehrgeiz, den er bewundert.
Vita Peter Sloterdijk
1947 wird Sloterdijk in Karlsruhe geboren. Nach Promotion und einem Aufenthalt im Ashram wird er Autor. 2001 bis 2015 ist Sloterdijk Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Bekannt wird er mit dem „Philosophischen Quartett“ im ZDF. Seine „Kritik der zynischen Vernunft“ von 1983 ist eines der meistverkauften philosophischen Bücher. 2016 erschien sein neues Werk „Was geschah im 20. Jahrhundert?“ Für das Handelsblatt hat er unter anderem einen Essay über die Kanzlerschaft von Angela Merkel verfasst. Auch diesmal greift er in eine aktuelle gesellschaftliche Debatte ein: Mit einer Art „Wörterbuch der Moderne“ will er Schlüsselbegriffe der Debatte um Migration und Populismus zeitgemäß definieren.
Der Philosoph konstatiert eine Überforderung des Westens durch die Flüchtlingswelle, weil wir noch tief in der Logik der Stammesgesellschaft verhaftet seien. Gleichzeitig seien unsere Nationalstaaten aber derart ausdifferenziert, dass eine Verständigung fast nur noch durch massenmediale Erregungsrituale möglich sei. Sloterdijk fordert eine Überwindung des derzeit vorherrschenden Fatalismus. Die Zielländer von Migration müssten ihre Verantwortung annehmen und in den Herkunftsregionen der Flüchtlinge für erträgliche Lebensbedingungen sorgen. Für alle, die von der Weltgesellschaft überfordert sind, werde es ethnisch-kulturelle Schutzzonen geben müssen.
Wenn man so will, ist Sloterdijk selbst zu einem bunten Hund der Gesellschaft geworden, der sich hinlegt, wo er will. Mit fast 50 Büchern (aktuell: „Nach Gott“) und Dutzenden Aufsätzen vermittelt der Autor des Suhrkamp-Verlags den Feuilletons und Kongressen der Republik seine Erkenntnisse.
Er ist ungewöhnlich sprachmächtig, die Bilder donnern auf das Publikum hernieder, und oft bildet er erstaunliche Assoziationsketten, wo der Unbefangene wenig Zusammenhänge sieht. Der Universalgelehrte schöpft aus einem tiefen Wissensfundus.
Doch er verbleibt dabei nicht im Elfenbeinturm, sondern sucht die Nähe zu den Lesern. Ihnen will er vermitteln, was kompliziert und schwer verständlich ist. Mit einem genau dosierten Quantum Provokation spielt Sloterdijk dabei jene Rolle, die im alten Athen Philosophen oblag: Sie wandelten über den Marktplatz und zogen Bürger ins Gespräch.
So entstand Meinungsbildung, so wurden Herrschende herausgefordert. Immerhin brachte er das schwierige Thema sogar – zusammen mit Rüdiger Safranski – auf eine Agora der Moderne, ins Fernsehen.
Von 2001 bis 2012 moderierten die beiden zu Mitternacht im ZDF „Das Philosophische Quartett“, was dem öffentlich-rechtlichen Traumschiff gut anstand, den Marktanteils-Darwinisten in der Senderzentrale aber nicht ausreichte. Das war erkennbar ein Fehler und eine Entscheidung, die den Moderatoren nicht gerecht wurde.
„Ein neues Denken für die Sprache“
An diesem Montag wird Peter Sloterdijk, der große Freie des deutschen Kulturbetriebs, 70 Jahre alt. Schon vorher wurde er zwei Tage lang mit einem Symposium am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe geehrt, seiner Heimatstadt, die Lebensmittelpunkt blieb, sieht man mal vom Zweitwohnsitz in der Provence ab. ZKM-Vorstand Peter Weibel lobte, der Jubilar habe „dem Denken eine neue Sprache und der Sprache ein neues Denken“ verliehen.
Es gab insgesamt 18 Reden zum Thema: „Von Morgenröten, die noch nicht geleuchtet haben“, ein Problemkreis, der gut zum Kanon Sloterdijks passt. So befand der Berliner Medienprofessor Norbert Bolz, Sloterdijk bestehe das „Abenteuer der Isolationsangst“ – und das in einer Zeit, die abweichende Meinungen stärker bestrafe als abweichende Handlungen.
Diese Isolation im Meinungsmainstream sucht sich Sloterdijk, langjähriger Professor und Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung, geradezu mit großer Treffsicherheit. Das gehört sozusagen zu seiner „Marke“. Das sichert die Popularität des Kulturwissenschaftlers, dessen Geburt wegen einer Rhesus-Inkompatibilität schwierig war, der danach an einer schweren Gelbsucht litt.
Sloterdijk wuchs ohne Vater auf und studierte später in München und Hamburg Philosophie, Geschichte und Germanistik. Sein erster Essay galt dem Philosophen Michel Foucault, und einige Zeit verbrachte er im Ashram im indischen Pune. Beleg für seine Vielseitigkeit ist auch, dass er das Libretto der Oper „Babylon“ von Jörg Widmann geschrieben hat.
Sloterdijk thematisiert, was andere bemänteln. Er aktualisiert, was zur Schweigemasse des Landes gehört. Er ist der Störer der geistigen Ruhe.
Das ist sein Selbstbild, das zum Image geworden ist. Diese Herangehensweise hat ihm zuletzt den Ruf eines „neuen Rechten“ eingebracht, obwohl er im Rechtspopulismus in Wahrheit nur ein weiteres Symptom für den Niedergang der Aufklärungskultur sieht.
Sloterdijk steht zu seinen 1968er-Wurzeln, zum Heranwachsen mit der Frankfurter Schule und der Kritischen Theorie, aber er behält sich das Recht vor, sich weiterzuentwickeln und nicht an alten linken Ideologien zu hängen. Seit einiger Zeit hält er es lieber mit einem „elastischen Konservativismus“.
Er, der sich in der „Sphären“-Trilogie (1998-2004) mit Globalisierung auseinandergesetzt hat, wendet sich gegen jede Form der Fremdbeherrschung, etwa gegen „Fiskalkleptokratie“. Deshalb forderte er 2009 eine „Revolution der gebenden Hand“ – Reichere sollten nicht mehr Zwangssteuern zahlen, sondern freiwillig spenden.
Das sei die richtige Art, mit den Leistungsträgern umzugehen. Sloterdijk ist immer originell, für den Politikbetrieb jedoch meist eine Zumutung. Die Idee von den gebenden Händen fand natürlich nicht den Weg in irgendein Parteiprogramm, sie sorgte aber erwartbar für ziemlich viel Aufruhr. Das ist der Provokateur aus Karlsruhe gewohnt, das ist Teil seiner Wirkungsmacht.
Zuletzt stritt das politische Berlin heftig über seine Äußerung zur Flüchtlingsfrage, Deutschland könne „überrollt“ werden: „Wir haben das Lob der Grenze nicht gelernt.“ Sloterdijk grenzte sich danach scharf gegen die Alternative für Deutschland (AfD) ab, hielt aber an der Formulierung „Lügenäther“ fest, womit die elektronische Presse gemeint war. Es fehlt ihm hier an geistig Unabhängigen, am Mut vor den Lagern der Meinungsführer.
Trump? „Ein Oligarch“
Sloterdijk hat sich immer wieder mit der Ökonomie beschäftigt und dabei wenig Gutes entdeckt. So sieht er in der allgegenwärtigen Schuldenwirtschaft eine „Desorientierung von historischen Größenordnungen“ – und Banken und Staaten fehle es an „Pfandklugheit“. Den US-Präsidenten Donald Trump hält er für einen „Oligarchen“, einen von jenen Wirtschaftsführern, die derzeit die Politik beeinflussen.
Gegen die verquere Weltlage hat der unbequeme Philosoph aber auch, ganz praktisch, einen Rat parat: Eine Prise Ironie könne nicht schaden. Humor bedeute nun mal, doziert Sloterdijk, „die Fähigkeit, die niedrigsten Dinge aus großer Höhe zu sehen und die großen Höhen aus den tiefsten Niederungen“.
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