Benachrichtigung aktivierenDürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafftErlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviertWir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke
Anzeige
Philosoph Slavoj ŽižekDer Antikonformist
Slavoj Žižek ist einer der originellsten und populärsten Denker unserer Zeit. Ob Occupy-Bewegung oder Hollywood-Streifen – es hagelt Ideologiekritik. Seine Kunst: die Beiläufigkeit des genialen Moments. Ein Porträt.
T-Shirt als Erkennungszeichen des Bewegungsdrangs.
(Foto: Jimmy Kets/Reporters/laif)
So ungefähr muss es zugehen, wenn der Ausbruch eines Vulkans unmittelbar bevorsteht: permanente Bewegung, große Unruhe erfasst den Raum, alles vibriert vor entfesselter Energie. Slavoj Žižek, Philosoph, Kulturtheoretiker und Psychoanalytiker, ist an diesem Tag in seiner Wohnung in Ljubljana vier Stunden lang im hochgradigen Unruhestand. Im Sekundenrhythmus traktiert er seine Nase mal mit der linken, dann mit der rechten Hand, zupft an seinem grauen T-Shirt wie an einem Kontrabass, reißt an den Jeans gleich einer Reißleine. Aus dem kompakten Körper fließt ein endloser Assoziationsstrom. Der „Starphilosoph“, der „einzige globale Philosophiestar“, „der Elvis der Kulturtheorie“, wie er genannt wird, ist in absoluter Erregung. Wieder einmal.
Es ist als wolle der ganze Žižek Hegels Satz: „Die Wahrheit liegt in der Bewegung” verkörpern. Wie eine Elektrospule funktioniert er: entweder null, (nur im Schlaf denkbar) oder eins: voll unter Strom. Die Intensität des Philosophieprofessors an der Universität von Ljubljana, der auch International Director des Londoner Birkbeck Instituts ist, überfordert nicht nur viele seiner ehrwürdigen Kollegen, sondern auch eine Öffentlichkeit, die oft nicht unterscheiden kann, ob sie da einer an der Nase herumführt, oder ob jemand nur einfach er selbst ist, ein authentischer Philosoph höchst eigener Güte, der sein streng formales Denken hinter einer Oberfläche exzentrischer Denkfolgen verbirgt.
Vielleicht sollte man es so sehen: Žižek, der rund 70 Bücher („Auf verlorenem Posten”, „Weniger als nichts”, „Was ist ein Ereignis?”) in 20 Sprachen veröffentlicht hat, kann nicht anders als sich permanent zu überhitzen, pausenlos zu räsonieren und dabei alles, was er über seine Säulenheiligen weiß – Hegel, Marx, Heidegger, Lacan und Freud – in eine akute Beziehung zur Aktualität zu bringen. Selbst seine berüchtigte Marotte, nur T-Shirts zu tragen, erklärt sich durch Überhitzung: „Selbst im tiefsten Winter geht’s nicht anders. Mir ist immer zu heiß.”
Denkanstöße zu vielfältigen Themen
Vielleicht stellt er sich deshalb so gerne auf den windigen Platz der Öffentlichkeit und gibt Denkanstöße. Zum Beispiel zu Griechenland: „Gibt es sie heute noch, die Volks- oder nationale Souveränität einer Demokratie angesichts einer unkontrolliert allmächtigen Troika?“ Dann wieder streift er in Gedanken den islamischem Terrorismus: „Wer nicht kritisch über die liberale Demokratie reden will, der sollte auch über den religiösen Fundamentalismus schweigen!” In Brüssel stellt er fest: „Die heutige Krise ist die des technokratischen Brüsseler Modells von Europa.”
Vita Slavoj Žižek
Slavoj Žižek wurde am 21. März 1949 in Ljubljana, Slowenien geboren. Er studierte Philosophie und Soziologie an der Universität in Ljubljana und Psychoanalyse an der Universität Paris. Gegenwärtig ist er an der Universität Ljubljana Professor für Philosophie und International Director am Birbeck-Institute for the Humanities an der University of London.
Seine erste englischsprachige Buchveröffentlichung The Sublime Object of Ideology erschien 1989, inzwischen hat er rund 70 Bücher in 20 Sprachen veröffentlicht, zuletzt (bei Suhrkamp) „Weniger als nichts: Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus“. Seit den achtziger Jahren hat Žižek zahlreiche Gastprofessuren im Ausland inne, so an der Columbia University, New York (1995), in Princeton (1996) und an der New School for Social Research, New York (1997). Von 2000 bis 2002 leitete er eine Forschungsgruppe am kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Er war jahrelanger Herausgeber der Zeitschrift der slowenischen Lacan-Schule „Wo Es war.“
Am liebsten allerdings setzt er sich mit der Ideologie des Neoliberalismus und des Kapitalismus auseinander: „Der autoritäre Kapitalismus asiatischer Provenienz ist der Gewinner der Krise. Er ist heute die größte Gefahr für Demokratie und Menschenrechte.“ Den Kapitalismus westlicher Prägung hält er für unreformierbar, weil reformunwillig. Genüsslich seziert er Zitate deutscher (Tietmeyer) oder internationaler Finanzexperten (Monti), die warnen, „das permanente Plebiszit der globalen Märkte dem Plebiszit der Parlamente unterzuordnen.“ Das erkennt der Antikonformist Žižek als „obszönes“ Symptom: „Die globalen Märkte werden vom Neoliberalismus als demokratischer betrachtet als Parlamentswahlen.“
Zwar steht er, der bewusst kein geschlossenes Denksystem offeriert, in ehrwürdigen philosophischen Gesellschaften wie der Internationalen Schelling-Gesellschaft in höchstem Ansehen. Berühmt aber ist er wegen seiner politischen, kulturtheoretischen, auch filmtheoretischen Eingriffe. Ob Occupy Wall Street, ob Hollywoods Blockbuster Kung Fu Panda oder die TV-Serie The Wire: Es hagelt Ideologiekritik.
Manchmal aber, wenn‘s dann doch um Hegel oder Lacan gehen soll, zieht er sich vom Marktplatz in den Elfenbeinturm der reinen Theorie zurück. Der Psychoanalytiker Žižek begründet das so: „Wir Philosophen sollten eigentlich die strengsten Zensoren unserer eigenen Träume sein.” Oft reicht ihm das als Programm jedoch nicht. Meist ist er ein Philosoph der Straße.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.